Anke Spory ist seit diesem Jahr die neue Pfarrerin der Evangelischen Studierendengemeinde. Die promovierte Theologin ist Alumna der Goethe-Universität. Sie hat Erfahrungen an vielen Orten und in unterschiedlichen Arbeitswelten gemacht.
Kurz nach ihrem Amtsantritt kommt der erste Lockdown, das universitäre Leben ist damit plötzlich ein anderes. Anke Spory übernimmt im Januar 2020 in der ESG die Nachfolge von Ruth Habermann. Mit viel Geduld, aber auch Gespür für die Bedürfnisse der Studierenden in einer Zeit, in der vor allem neue soziale Kontakte kaum zu knüpfen sind, hat sie bereits einige Projekte auf den Weg gebracht: Im Sommer das „Fenster zum Hof“, eine Konzertreihe im Innenhof des Hauses Sioli 7, oder danach die Suppenküche als Ort des Miteinanders, wenn auch mit dem gebotenen Abstand. Die Räumlichkeiten der ESG hat sie für Studierende geöffnet, die in Zeiten geschlossener Gebäude dringend einen analogen Arbeitsplatz suchen.
Anke Spory ist Pfarrerstochter – da liegt die Vermutung nahe, dass ihr Weg von Anfang an vorgezeichnet ist. Doch nach dem Abitur ist sie erfahrungshungrig, macht ein soziales Jahr in Belgien und schreibt sich danach erst einmal für Sozialwissenschaften an der Universität Göttingen ein. Sie zweifelt jedoch an der Studienwahl und spürt, dass sie eine größere Herausforderung reizt: Sie wechselt nach Frankfurt für ein Studium der Theologie. Dass Anke Spory seit Anfang dieses Jahres die neue Studierendenpfarrerin der ESG ist, erscheint so zumindest auf den ersten Blick nur folgerichtig: Die gebürtige Wiesbadenerin kann sich noch gut an die Zeit im AfE-Turm und auf dem quirligen Campus Bockenheim erinnern. Doch der Fachbereich Evangelische Theologie zieht Anfang der 90er Jahre nach Frankfurt-Hausen und teilt sich dort, etwas abgelegen, mit der Kunstgeschichte ein Gebäude. Anke Spory hat die Frankfurter Zeit gleichwohl als sehr lebendig in Erinnerung behalten: „In Frankfurt war das Studium sehr sozialwissenschaftlich ausgerichtet. In einer eher weltlich orientierten, kulturell sehr vielfältigen Stadt kann man als evangelische Theologin den Zuspruch der Gläubigen nicht als gegeben voraussetzen. Man muss sich aktiv ein eigenes Netzwerk aufbauen.“ Ihr Studium setzt sie dann in Heidelberg fort, in einer Stadt, in der Religion weitaus spürbarer die Gesellschaft prägt.
Als Theologin bei der Deutschen Bank
Was soweit wie ein linearer Lebenslauf anmutet, ist dann doch ein Weg mit vielen Kurven und Umleitungen: Als Spory um 2000 herum ihr Vikariat in Darmstadt abschließt, sieht es nicht gut aus mit freien Stellen in den Pfarrämtern. Die frischgebackene Theologin entscheidet sich für einen Sprung in eine andere Welt und bewirbt sich als Trainee bei der Deutschen Bank. Sechs Jahre arbeitet sie dort in der Personalabteilung, um dann doch wieder den Weg ins Gemeindeamt in Friedberg anzutreten. „Ich habe gemerkt, dass ich für den Bürojob doch nicht geschaffen bin.“ Allerdings möchte sie die Zeit in der Bank nicht missen, empfindet den Kontakt mit Ökonomen und Juristen als sehr befruchtend: „Ich kann mich heute bei Begegnungen mit Menschen aus diesen Berufen viel besser auf ihre Denk- und Kommunikationsformen einstellen.“
Als sie das erste Kind erwartet, entscheidet sie sich gemeinsam mit ihrem Mann für einen Wechsel ins Ausland. In London findet ihr Mann eine Anstellung als Ökonom. „Die Zeit in London hat mir gezeigt, wie offen Kirchen sein können: Mein liebstes Erlebnis war in der Westminster Abbey, wo vor dem Gottesdienst die Besucher mit warmen Worten empfangen werden. Niemand wird dort zu einem Glaubensbekenntnis genötigt.“
Spory nutzt die Zeit neben der Kinderbetreuung, um eine Promotion an der Universität Hamburg auf den Weg zu bringen. Ihr Thema lautet „Familie im Wandel“. Sie untersucht die theologischen Positionen im 20. Jahrhundert zum Zusammenleben von Mann und Frau. „Dass die Kirche lange Zeit Ehe und Familie als gottgegeben betrachtet hat, ist weder exegetisch noch historisch zu halten“, betont Spory. In der Bibel träten sehr heterogene Formen des Zusammenlebens auf. Die bürgerliche Ehe sei geschichtlich gerade einmal 200 Jahre alt, damit müsse sich die Kirche auseinandersetzen. Hat die Forschung ihr Verständnis als Pfarrerin geprägt? „Ja, ich denke, die nüchtern-rationale Betrachtung vieler Dinge ist ein wichtiger Baustein meiner beruflichen Identität. Ich bin aber keine Religionswissenschaftlerin, sondern Theologin. Ich gehöre einer Kirche an und initiiere Formen des Glaubens, die ich selber vorlebe.“
Gemeinschaft in Corona-Zeiten
Spory ist es wichtig, dass sie als Pfarrerin auf die Menschen zugeht, ihre Lebensformen und -räume kennt. „Als Pfarrerin in Gonzenheim habe ich viele Gespräche sogar im Supermarkt geführt“, erzählt sie. Dort trifft sie beispielsweise Leute, deren Partner sie beerdigt hat oder deren Kinder von ihr konfirmiert wurden. „Von sich aus hätten die Menschen mich sicher nicht angesprochen. Nach meinem Selbstverständnis möchte ich mit Menschen meiner Gemeinde ein Stück weit gehen.“ Dass die Studierenden immer nur für eine begrenzte Zeit Teil der Hochschulgemeinde sind, schreckt sie nicht ab. Dass kennt sie auch aus ihrer Zeit als Gemeindepfarrerin. „Nicht nur die Kerngemeinde zählt.“ Ganz begeistert ist Anke Spory von der Gemeinschaft, die bei der Suppenküche entstanden ist. „Studierende ganz unterschiedlicher Fachrichtungen kommen dabei ins Gespräch, lernen sich kennen und verabreden sich.“ Seit dem zweiten Lockdown muss dieser wöchentliche Termin ruhen, was Spory sehr bedauert. Aber die Pfarrerin plant bereits ihre nächste ESG-Schreibwerkstatt, die per Zoom stattfinden kann. Spory hat sich zusätzlich in Poesie- und Bibliotherapie ausbilden lassen und bietet unter anderem Kurse zum biografischen Schreiben an. Im nächsten Kurs wird es darum gehen, mit den Teilnehmenden das Schreiben eines Tagebuches zu versuchen. „Das Tagebuchschreiben hat eine lange theologische Tradition. Wir wollen das als stützende Methode nutzen, um sich selbst besser zu verstehen – jenseits der schnelllebigen Posts in Social Media“, erklärt sie.
Die Zusammenarbeit der Hochschulgemeinden auf dem Campus empfindet sie als ausgezeichnet. Mit dem gemeinsam getragenen „Haus der Stille“ gebe es einen Ort, an dem Vielfalt gelebt werden könne. Das zehnjährige Jubiläum des Ortes, das im November anstand, fiel leider auch Corona zum Opfer.
Nächstes Jahr soll in Frankfurt der Ökumenische Kirchentag stattfinden. Gemeinsam mit der Katholischen Hochschulgemeinde plant man bereits ein Programm, das unter dem Motto „Vergegenwärtigen – Erkennen – Handeln“ einen Beitrag zur Auseinandersetzung mit dem Holocaust und der Judenverfolgung in Frankfurt liefern soll. Falls bis dahin wegen Pandemie nur eingeschränkt öffentliche Veranstaltungen möglich sind, wird das Programm auf den Campus verlagert.
Einen lebendig(er)en Campus wünscht sich Anke Spory ohnehin: „Die Universität sollte nicht nur ein Lernraum, sondern auch ein Lebensraum sein“, betont sie. Dass Veranstaltungen in Präsenz und nicht nur digital stattfinden, ist im Augenblick zwar kaum möglich, aber sie hofft auf das nächste Jahr. Dann sollen in den Hof von Sioli 7 auch wieder Konzerte und die Suppenküche zurückkehren.
Dieser Beitrag ist in der Ausgabe 6.20 (PDF) des UniReport erschienen.