Goethe, Deine Forscher: Eveline Wuttke, Wirtschaftspädagogin

Eveline Wuttke findet Fehler gut: „Natürlich nicht alle Fehler – niemand will, dass die Pilotin oder der Chirurg einen Fehler macht. Aber alle Lernenden sollten Fehler machen dürfen“, sagt sie – also insbesondere diejenigen, die eine Ausbildung absolvieren und eine berufliche Schule besuchen. Als Professorin für Wirtschaftspädagogik forscht Wuttke an der Goethe-Universität unter anderem zum Thema „Lernen aus Fehlern“: „Zusammen mit einem Mannheimer Kollegen habe ich beispielsweise untersucht, welche Einstellungen Lehrerinnen und Lehrer an beruflichen Schulen zu Fehlern haben“, berichtet sie; in den meisten Fällen haben Lehrer*innen eine positive Sicht auf Fehler, sie sehen sie als Chance, daraus zu lernen. Nur selten werden Fehler in Lernprozessen als Makel oder als störend wahrgenommen.

Anders sieht es aus, wenn man darauf schaut, wie Lehrende an beruflichen Schulen mit Fehlern von Auszubildenden umgehen, d. h. vor allem, wie gut ihre Rückmeldungen an die Lernenden sind. Hier zeigt sich, dass die Berufserfahrung eine entscheidende Rolle spielt: „Erfahrene Lehrkräfte können Schülerfehler besser erkennen und lernförderliche Rückmeldung geben; Berufsanfängerinnen und -anfänger sind dazu weniger gut in der Lage“, sagt Wuttke. An beiden Projekten wird deutlich, wie sie in der empirischen Lehr-Lern-Forschung vorgeht: Sie besucht mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern berufliche Schulen und erhebt Daten, befragt die Auszubildenden und die Lehrpersonen, testet sie, zeichnet ihr Verhalten im Unterricht auf Video auf und wertet diese Aufnahmen aus – wer macht hier welche Fehler, wie gehen Lehrpersonen damit um, wie beeinflusst dies das Lernen von Schülerinnen und Schülern?

Nicht nur Bestandsaufnahmen

Aber natürlich beschäftigt sich Wuttke in ihrer Forschung nicht ausschließlich mit Bestandsaufnahmen der Fehlerkultur. Sie fragt sich beispielsweise: Welchen Einfluss hat die Qualität einer Berufsausbildung auf die Kompetenz- und Identitätsentwicklung von jungen Erwachsenen? Welchen Einfluss haben die fachliche, fachdidaktische und die pädagogische Kompetenz der Lehrpersonen? Außerdem gibt Wuttke zu bedenken: „Rund 20 Prozent aller Azubis brechen ihre Ausbildung schon im ersten Jahr ab – auch wenn viele danach eine andere Ausbildung beginnen, sollten wir unbedingt drüber nachdenken, wie wir es erreichen, dass sich schon die Auszubildenden mit dem Unternehmen beziehungsweise mit dem von ihnen gewählten Beruf identifizieren, so dass die Abbruchquote sinkt.“

Auch mit dem Ende einer Berufsausbildung setzt sich Wuttke auseinander: Wenn sie der Frage nachgeht, auf welche Weise sich „gute“, das heißt valide Abschlussprüfungen gestalten lassen, oder wenn sie – wie in einem aktuellen Forschungsprojekt – untersucht, wie sich in Abschlussprüfungen die Fähigkeit von Berufsanfängerinnen und -anfängern messen lässt, berufliche Probleme zu lösen: „Diese werden ihnen nämlich begegnen, und mit einer abgeschlossenen Ausbildung erwarten sowohl Vorgesetzte als auch Kunden von ihnen, dass sie die Probleme lösen; in unseren Analysen zeigt sich aber, dass in Abschlussprüfungen im Allgemeinen nur Wissen abgefragt wird“, erläutert Wuttke. Damit lässt sich nicht gut vorhersagen, wie erfolgreich die Absolventen in ihrem Beruf sein werden.

Digitalisierung und Heterogenität

Sie hat in der Wirtschaftspädagogik zwei wichtige Strömungen beobachtet: „Nicht erst seit der COVID-19-Pandemie dreht sich in der beruflichen Bildung viel um Digitalisierung. Aber ‚überall schnelles Internet und einen Laptop für alle Auszubildenden‘, wie häufig gefordert – ganz so einfach ist es leider nicht“, sagt Wuttke, „sowohl Lehrende als auch Lernende müssen damit umgehen können, und es braucht ein didaktisches Konzept für den Einsatz von Digitalisierung im Unterricht. Als weiteres aktuelles, in der beruflichen Bildung allerdings altbekanntes Thema nennt sie Heterogenität: „In den letzten Jahren ist die Schülerschaft eher noch heterogener geworden. Das betrifft viele Bereiche, zum Beispiel die Leistungsfähigkeit, die sprachlichen Voraussetzungen und den familiären Hintergrund. Damit muss die berufliche Bildung umgehen.“

Für Eveline Wuttke ist das berufliche Lernen und Lehren aber bei Weitem nicht nur der Gegenstand wissenschaftlicher Studien und theoretischer Überlegungen. In ihrer Abteilung werden Lehrkräfte ausgebildet, die an kaufmännischen beruflichen Schulen unterrichten möchten. „Diese Studierenden erhalten ihre Kenntnisse in den wirtschaftswissenschaftlichen Fächern – z. B. BWL, VWL, Rechnungswesen – natürlich von unseren Kolleginnen der Wirtschaftswissenschaften am Fachbereich“, stellt Wuttke klar. Aber das reicht nicht aus: Angehende Lehrkräfte müssen auch lernen, wie man die Inhalte lehrt und deshalb im Studium auch Module in Pädagogik, Didaktik und Psychologie absolvieren – und zwar bei Eveline Wuttke und ihren Kollegen aus der Wirtschaftspädagogik. „Bei uns lernen die Studierenden zu lehren“, sagt sie. „Den geborenen Lehrer, die geborene Lehrerin gibt es nämlich nicht, das kann man lernen.“ Das möchte sie in ihren Lehrveranstaltungen weitergeben.

Stefanie Hense

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