Prof. Luciano Rezzolla vom Institut für Theoretische Physik erklärt im Interview, warum mit dem Nachweis der Gravitationswellen eine neue Ära der Astrophysik beginnt. Als Theoretiker war er nicht direkt an den Messungen beteiligt, aber auch dank seiner Simulationen wussten die Kollegen am amerikanischen LIGO-Experiment genau, wie das extrem schwache Signal aussehen sollte, das sie im Rauschen suchten.
Wann haben Sie erfahren, dass Ihre Kollegen am LIGO-Experiment im September 2015 das erste Signal einer Gravitationswelle gemessen hatten?
Es gab Gerüchte. Dann habe ich etwa eine Woche vor dem Termin von der Pressekonferenz am 11. Februar erfahren. Sie fiel genau in meine letzte Vorlesung zur Allgemeinen Relativitätstheorie, in der ich die Gravitationswellen behandeln wollte. Ich habe vorher allen im Physik-Institut Bescheid gesagt, dass sie in meine Vorlesung kommen sollten. Dann habe ich zur festgesetzten Zeit unterbrochen und wir haben uns die Übertragung der Pressekonferenz in Washington zusammen live angeschaut.
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Was war Ihr erste Reaktion?
Das war für mich ein außerordentlicher Moment. Das Experiment war ja gerade erst mit empfindlicheren Detektoren ausgerüstet worden, nachdem es in der ersten Messperiode von 2002 bis 2007 keine Gravitationswellen entdeckt hatte. Wenn Sie die Präzision der Messinstrumente erhöhen, brauchen Sie noch eine Zeit für die Feinabstimmung. Das ist, wie wenn Sie bei einem Orchester die Musiker durch noch bessere Musiker ersetzen. Wenn die neue Besetzung zum ersten Mal zusammen spielt, erwarten Sie noch nicht den perfekten Sound, weil die Musiker sich erst aufeinander einstimmen müssen. Dass in dieser frühen Phase des Experiments schon ein eindeutiges Signal gemessen wurde, ist fast wie Magie.
Was bedeutet das Ergebnis für Sie als theoretischer Physiker?
Zunächst einmal wissen wir jetzt, dass wir die letzten 20 Jahre unseres Lebens mit der Suche nach Gravitationswellen nicht vergeudet haben. Es ist eine Sache, an etwas zu glauben, und eine andere, sie dann wirklich bestätigt zu wissen. Dann liefert dieses Experiment auch den ersten direkten Nachweis eines schwarzen Lochs. Bisher haben wir auf dessen Existenz immer nur indirekt schließen können. Nun aber haben wir ein direktes Signal, wie das Verklingen des gewaltigen Tons einer Glocke. Dieser wurde bei der Fusion zweier schwarzer Löcher zu einem noch massereicheren schwarzen Loch ausgesandt.
Entspricht das Signal Ihren Vorhersagen aus der Simulation?
Ja, es ist konsistent mit unseren Berechnungen. Allerdings prüfen wir jetzt noch Details. Insbesondere wollen wir wissen, ob es wirklich von schwarzen Löchern ausgesandt wurde. Theoretisch könnte es nämlich auch von sogenannten Gravasternen stammen. Das sind bisher hypothetische Himmelsobjekte, die gemäß der Allgemeinen Relativitätstheorie ebenfalls aus einem sehr massereichen Stern entstehen könnten – so etwas wie Schwestern der schwarzen Löcher. Wir versuchen derzeit, zwischen den ähnlichen Stimmen der beiden Schwestern zu unterscheiden.
Ihre Kollegen aus der Experimentalphysik haben erklärt, der Nachweis von Gravitationswellen sei der Beginn einer neuen Ära der Astrophysik…
… Ja, das sehe ich auch so. Ich vergleiche die bisherige Situation gern mit einer Bibliothek, in der man alle Bücher kennt. Und jetzt haben wir eine Geheimtür in eine verborgene Bibliothek gefunden. Darin stehen Bücher, von denen wir schon einmal gehört haben und jetzt endlich lesen können, aber auch andere, die ganz neu sind und vielleicht in fremden Sprachen geschrieben sind, die wir erst entschlüsseln müssen.
Was sind die wesentlichen Fragen, auf die Sie in dieser erweiterten Bibliothek Antworten zu finden hoffen?
Da ist zunächst die Frage nach der Entstehung schwarzer Löcher. Aus der jetzt gemessenen Gravitationswelle können wir schließen, dass in einer 1,3 Milliarden Lichtjahre entfernten Galaxie zwei schwarze Löcher miteinander verschmolzen sind. Mit ihren 36 und 29 Sonnenmassen waren sie schwerer als erwartet.
Zum anderen geht es darum, die Gammastrahlen-Ausbrüche im Universum zu verstehen. Wir vermuten – und können das auch in Simulationen zeigen -, dass die extrem energiereiche Strahlung beim Verschmelzen von zwei Neutronen-Sternen freigesetzt wird. Da bei der Fusion zweier Neutronensterne ebenfalls Gravitationswellen entstehen, kommt es jetzt darauf an, Ereignisse zu messen, in denen Gammastrahlen-Ausbrüche und Gravitationswellen gleichzeitig auftreten. Und dann interessiert uns noch der innere Aufbau der Neutronensterne. Sie könnten schichtartig aufgebaut sein, wobei wir vermuten, dass sie hauptsächlich flüssig, sehr heiß und eventuell supraleitend sind.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Eine Stärkung der Theoretischen Astrophysik in Deutschland. Neben meiner 20-köpfigen Gruppe an der Goethe-Universität gibt es nur noch die Gruppen an den Universitäten in Jena und Tübingen sowie das Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Potsdam. Wir bilden hier in Frankfurt hervorragende Doktoranden aus. Die meisten von ihnen gehen anschließend in die USA – nach Princeton oder an das California Institute of Technology. Ich wünsche mir, dass Sie in Deutschland eine Zukunft haben. Schließlich hat Albert Einstein die Allgemeine Relativitätstheorie, die mit den Gravitationswellen eine weitere Bestätigung gefunden hat, in Deutschland entwickelt.
Das Interview führte Anne Hardy.