Sabine Hossenfelder ist theoretische Physikerin und beschäftigt sich mit Quantengravitation. Sie erhält immer wieder Anfragen von Laien: Mit ihrem Beratungsservice für Hobby-Physiker schließt sie eine Lücke zwischen populärwissenschaftlicher und Fachliteratur.
Sabine Hossenfelder ist theoretische Physikerin und beschäftigt sich mit Quantengravitation. In dieser Eigenschaft denkt sie hauptsächlich nach. Dabei läuft sie auf dem Flur vor ihrem Büro im FIAS (Frankfurt Institute for Advanced Studies) am Campus Riedberg auf und ab und trinkt jede Menge Kaffee. Manchmal hält sie inne, um merkwürdig aussehende Figuren auf ihren Notizblock zu zeichnen.
So humorvoll und ein wenig selbstironisch beschreibt die 40-Jährige ihre Tätigkeit auf ihrem Physik-Blog. Obwohl ihr Forschungsgebiet weder anwendungsbezogen noch besonders anschaulich ist, erhält sie immer wieder Anfragen von Laien. »Das sind meist Leute im Pensionsalter, die etwas Physik oder eine Ingenieurwissenschaft studiert haben: Maschinenbau, Telekommunikationstechnik oder Informatik.
Oft bestehen bei ihnen elementare Missverständnisse über Physik. Und daraus haben sie sich ihre eigene Theorie zusammengekocht«, sagt die promovierte Physikerin. Solche Anfragen von Laien erhalten auch viele von Hossenfelders Kollegen. Die meisten scheuen Diskussionen mit ihnen. Auch Sabine Hossenfelder merkte schnell, dass die fachlichen Defizite der Hobby-Physiker zu groß sind, um mit ihnen fruchtbare Gespräche führen zu können.
»Wenn Sie bedenken, dass man 10 bis 15 Jahre Erfahrung braucht, um in einem Teilgebiet der Physik wirklich Bescheid zu wissen, ist es unwahrscheinlich, dass ein Laie grundlegende Fehler entdeckt. Das wäre genauso, wie wenn ich einem Herzchirurgen eine bessere Operationstechnik beibringen wollte«, meint sie.
Dennoch tat es der Physikerin leid, Anfragen abzuweisen, denn in ihrer kaum vorhandenen Freizeit engagiert sich die Mutter von Zwillingen seit vielen Jahren für die Wissenschaftspopularisierung. Angefangen hat es vor rund zehn Jahren mit einem Physik-Blog, den sie während eines Forschungsaufenthalts in den USA begann.
Dort schrieb sie zwar nicht über ihre eigene Forschung, weil die so schwer zu veranschaulichen ist, dafür aber über Themen, die sie in Fachzeitschriften gelesen und über die sie im größeren Kontext ihrer Forschung nachdachte: die Urknalltheorie, Schwarze Löcher, das Raum-Zeit-Kontinuum oder die Stringtheorie. Inzwischen gehört dieser Blog zu den meist gelesenen ihres Fachgebiets und hat vor allem Leser in Nordamerika.
Sie schreibt außerdem für so angesehene Zeitschriften wie »Scientific American« (Spektrum der Wissenschaft) und »New Scientist«. Die Idee, einen Beratungsservice für Hobbyphysiker zu gründen, hatte Sabine Hossenfelder vor zwei Jahren, als sie von Stockholm ans FIAS wechselte. Sie musste drei Monate ohne Einkommen überbrücken und suchte nach einer Möglichkeit, mit ihrem Fachwissen ein wenig Geld zu verdienen.
Unter der Rubrik »Talk to a Scientist« erklärt die Forscherin auf ihrem Blog die Modalitäten: Eine 20-minütige Beratung über Skype kostet 50 US Dollar. Manuskripte liest sie nicht. So ist die Beratung mit einem vertretbaren Zeitaufwand verbunden. Außerdem ist es durch den Blickkontakt beim Videotelefonat und die direkte Ansprach der Person leichter, dieser beizubringen, dass sie mit ihrer Theorie falsch liegt. Dazu Hossenfelder:
»Die Reaktionen waren bisher nicht so schlimm, wie man es sich vorstellen könnte. Nur manchmal findet jemand, wir Physiker seien elitär oder ich würde mir etwas auf meinen Doktortitel einbilden. Dabei ist das unter Kollegen völlig egal. Wir fragen noch nicht einmal danach.« Eine wichtige Funktion der Beratung sieht die Physikerin darin, die Lücke zwischen populärwissenschaftlicher und Fachliteratur zu schließen.
Diese Lücke könne man auch durch eifriges Googlen nicht überbrücken, weil man als Laie oft noch nicht einmal wisse, nach welchen Fachbegriffen man suchen solle. »Ich weise dann auf Fachliteratur hin. Die meisten Ratsuchenden sind auf dem Niveau von Studienanfängern. Manche vertiefen sich in die Materie und melden sich regelmäßig wieder.«
Inzwischen hat Sabine Hossenfelder ein halbes Dutzend Mitarbeiter und deckt mit ihrem Team nicht nur physikalische Themen ab, sondern auch Philosophie, Geophysik, Biologie und Neurowissenschaften. Allerdings werde die Beratung in Philosophie und Neurowissenschaften nicht so häufig angefragt, sagt sie. Manchmal wenden sich auch Studierende an sie. Wenn es um Beratung bei Abschlussarbeiten geht, lehnt sie ab. Aber wenn jemand Hilfe bei der Orientierung in ihrem Fachgebiet sucht, gibt sie gern einen kollegialen Rat – kostenlos, versteht sich.
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Der Physik-Blog von Dr. Sabine Hossenfelder ist zu finden unter:
backreaction.blogspot.com.
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Dieser Artikel ist in der Ausgabe 3.17 der Mitarbeiterzeitung GoetheSpektrum erschienen.