Aktionsmonat zum »Afrikabild in den deutschen Medien und die Rolle der Wissenschaft« an der Goethe-Universität

Wann haben Sie das letzte Mal Nachrichten aus Afrika in den Medien gesehen? Berichte über Afrika, das zeigen Untersuchungen, haben in den letzten Jahrzehnten eher abgenommen. Solche großen Trends stellen auch ein Problem für die wissenschaftliche Beschäftigung dar, wie Hans Peter Hahn, Professor am Institut für Ethnologie der Goethe-Universität, im Rückblick auf seine eigene Beschäftigung mit dem Kontinent feststellt. Als Hahn vor 40 Jahren zum ersten Mal nach Afrika reist, ist er binnen kürzester Zeit begeistert und entschließt sich zur professionellen Beschäftigung mit dem riesigen Kontinent. „Ich musste aber bald lernen, dass man sich in einem Themenfeld bewegt, in dem man sich gewissermaßen rückwärts bewegen muss. Während beispielsweise ein Molekularbiologe sich vorwärts, von der einen neuen Entdeckung zur nächsten, bewegt, muss man sich als Afrikawissenschaftler an dem abarbeiten, was seit Jahrtausenden über den benachbarten Kontinent schon bekannt gewesen ist“, sagt Hahn.

Bereits seit Herodot, dem Vater der Geschichtsschreibung, habe Europa viel über Afrika erfahren können, aber mit diesem Wissen nie besonders viel angefangen. Im 21. Jahrhundert sei sogar die Situation eingetreten, bemängelt Hahn, dass die Öffentlichkeit in Europa den Eindruck vermittele: Wir wollen nichts wissen von diesem Kontinent, lasst uns lieber in Ruhe damit! Afrika solle lieber selbst für sich sorgen. Seine harsche Kritik macht Hahn vor allem auch an der medialen Berichterstattung fest: Die Zahl der Korrespondenten, die vor Ort berichten, sei in den letzten Jahrzehnten abgebaut worden, damit nehme die Intensität und Sorgfalt ab, mit der das Wissen über Afrika und seine Länder aufbereitet werde. Die Folgen seien mit Händen zu greifen: „Man wird schon mal gefragt: ‚Sie können doch Afrikanisch, oder?‘ Natürlich nicht, es handelt sich um einen Kontinent mit etwa 2000 Sprachen, um 54 Länder mit ebenso viel Hauptstädten“, sagt Hahn.

Die von Ladislaus Ludescher, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für deutsche Literatur und ihre Didaktik, kuratierte Wanderausstellung „Vergessene Welten und blinde Flecken. Die mediale Vernachlässigung des Globalen Südens“ ist Teil des von Hans Peter Hahn und seinen Mitstreiter*innen in der Afrikawissenschaft initiierten Aktionsmonats. Die Ausstellung zeigt deutliche Verzerrungen und Einseitigkeiten in westlichen Medien auf, europäische und nordamerikanische Themen dominieren die Berichterstattung, der Globale Süden findet kaum statt. Und wenn, dann meist mit Meldungen über Katastrophen und Kriege. „Das ist natürlich nur ein Symptom für ein breites Bündel an Ursachen: Es fängt damit an, dass Nachrichten aus Afrika einfach teuer sind. Wenn man einen Journalisten etwa nach Nigeria schickt, muss man für seine Anreise, Unterbringung und nicht zuletzt seine Sicherheit tiefer in die Tasche greifen als für eine vergleichbare Recherche im Mittleren Westen der USA.“

Einen weiteren und wahrscheinlich auch gewichtigeren Grund sieht Hahn in der Betrachtung Afrikas als Ort der permanenten Enttäuschung: Es sei niemals das, wofür es von Europa gehalten werde. Ein Kontinent, der sich habe einfach kolonisieren lassen, warte plötzlich mit Unabhängigkeitsbewegungen auf. Afrika habe sich aus westlicher Sicht ökonomisch zu entwickeln, aber einmal gebaute Fabriken würden nicht genutzt, verrotten, niemand kümmere sich. Anstatt, dass sich neue Demokratien entwickelten, sehe man seit Jahren einen Staatsstreich nach dem nächsten. Hahn kritisiert, dass bei diesem monotonen Zusammenspiel aus Erwartung und Enttäuschung nicht genau genug hingeschaut werde: So werde übersehen, dass es in Afrika seit der Gründung der „Organisation afrikanischer Einheit“ zwar Bürgerkriege, aber keine großen zwischenstaatlichen Kriege mehr gegeben habe. „Wenn man als Afrika-Experte diesen Kontinent einmal für etwas loben möchte, stößt man quasi auf Widerstände.“ Hahn geht es nicht nur darum, den Blick auf den Nachbarkontinent zu verändern, zu weiten, sondern zugleich auch darüber zu reflektieren, dass die behauptete Alterität einem anderen Denken Platz macht: dass Afrika immer auch schon Teil von Europa gewesen ist. Hahn berichtet von einer wissenschaftlichen Tagung an der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, bei der er auf die Merkwürdigkeit stieß, dass dort kaum an Anton Wilhelm Amo erinnert wird. Amo, ursprünglich aus Ghana stammend, war im 18. Jahrhundert der erste afrikanische Philosoph, der in Deutschland an verschiedenen Standorten geforscht und gelehrt habe. Aber gerade dort, wo seine Ausbildung stattgefunden habe, in Wolfenbüttel, nehme man sich dieser interessanten Biographie nicht wirklich an.

Das Zentrum für interdisziplinäre Afrikaforschung (ZIAF) an der Goethe-Universität ist, berichtet Hahn mit gewissem Stolz, kürzlich evaluiert worden. Die Drittmitteleinwerbung, die Breite der Forschung, aber auch die Zahl an Partnerschaften sei positiv begutachtet worden. Wohl sei dem ZIAF aber ins Stammbuch geschrieben worden, dass man seine Arbeit an der Goethe-Universität noch etwas bekannter machen solle. Dafür habe man nun den Aktionsmonat „Afrikabild in den deutschen Medien und die Rolle der Wissenschaft“ ins Leben gerufen, der im Juli startet. Hahn erhofft sich eine stärkere Resonanz und Wahrnehmung nicht nur vonseiten der Forschung, sondern der ganzen Universität, „Afrika spielt eine große Rolle auch in Fächern, wo man es vielleicht nicht direkt erwarten würde.“ Die Veranstaltungen des Aktionsmonats wenden sich aber ausdrücklich auch an eine interessierte Öffentlichkeit. „Für viele Menschen dürfte auch interessant sein zu hören, dass es gerade einen regelrechten Boom des Faches Germanistik in Afrika gibt. Wenn auf einmal Nietzsche an einer Universität der Elfenbeinküste rezipiert wird, eröffnet das ganz neue fruchtbare Perspektiven für die Geisteswissenschaften hier und dort.“

Aktionsmonat »Afrikabild in den deutschen Medien und die Rolle der Wissenschaft«

Das Zentrum für interdisziplinäre Afrikaforschung (ZIAF) veranstaltet im Juli 2024 verschiedene Formate, die sich mit dem medial vermittelten Afrikabild in Deutschland auseinandersetzen. Den Auftakt macht eine Wanderausstellung »Vergessene Welten und blinde Flecken. Die mediale Vernachlässigung des Globalen Südens«, die vom 2. bis zum 22. Juli 2024 im Foyer des I.G. Farben-Hauses der Goethe-Universität Frankfurt (Norbert-Wollheim-Platz 1, 60323 Frankfurt am Main) zu sehen sein wird.

Die Ausstellung stellt die wichtigsten Ergebnisse einer Langzeitstudie vor, in der die Berichterstattung in verschiedenen Leitmedien untersucht wurde. Hierzu gehört auch die Auswertung von über 5500 Sendungen der »Tagesschau« aus den Jahren 1996 und 2007 bis 2021. Die Daten zeigen deutlich, dass die Verteilung der Beiträge geographisch sehr unausgewogen ist. Während dem Globalen Norden überproportional hohe Aufmerksamkeit zufällt, werden zahlreiche Staaten des Globalen Südens an den Rand gedrängt oder teilweise sogar ignoriert. Die Ausstellungstafeln sowie die Studie selbst können auch unter folgender Adresse kostenlos eingesehen und heruntergeladen werden: www.ivr-heidelberg.de

Vom 18. bis 19. Juli 2024 findet eine Young Scholar’s Conference zum Thema »Afrika-Wissenschaftler*innen im deutsch-sprachigen Raum und Afrika-Wissen« am Campus Westend statt. Sie wird von Sylvestre Kouakou (Doktorand am Institut für Ethnologie) in Zusammenarbeit mit der Graduiertenschule GRADE und dem ZIAF organisiert und von den Freunden und Förderern der Goethe-Universität und dem ZIAF gefördert. Die Konferenz befasst sich unter anderem mit den Quellen des Afrika-Wissens in deutschsprachigen Ländern und der Rolle von sozialen Medien und Journalisten, aber auch mit der Wissensvermittlung zu Afrika im Schulunterricht und schließlich in der universitären Afrikaforschung. Welchen Beitrag leisten Afrika-Wissenschaftler*innen, um Stereotype über afrikanische Länder im deutschsprachigen Raum zu verringern?

Am 18. Juli 2024 wird in einer öffentlichen Podiumsdiskussion dieser Frage weiter nachgegangen. Der ZIAF Public Dialogue »Wissenschaft und das Afrikabild in der deutschen Öffentlichkeit. Welche Möglichkeiten der Beeinflussung?« richtet sich an ein breites Publikum und wird in deutscher Sprache der Frage nachgehen, welche Möglichkeiten es gibt, dem immer geringer werdenden Interesse der Öffentlichkeit an Informationen über Afrika und der häufig stereotypen Überbetonung von Krisen, Kriegen und Katastrophen entgegenzuwirken. Können wissenschaftliche Einsichten über Afrika die Berichterstattung positiv beeinflussen, sodass es wieder ein größeres Interesse an dem Kontinent gibt? Welche Instrumente und Formate gibt es, um über den rein universitären Bereich hinaus die öffentliche Wahrnehmung des südlichen Nachbarkontinents zu verbessern? Können Wissenschaftler*innen jenseits der klassischen journalistischen Medienarbeit eigene Beiträge leisten?

Auf dem Podium diskutieren Prof. Friederike Lüpke, Professorin für Afrikastudien an der Universität Helsinki und professorial research associate der School of Oriental and African Studies (SOAS), University of London, und Dr. Kokou Azamede, Dozent an der Universität Lomé, Fachbereich Deutschstudien/Kulturwissenschaft. Der Abend wird moderiert von Prof. Hans Peter Hahn, dem Geschäftsführenden Direktor des ZIAF.

Kontakt:
Dr. Stefan Schmid, ZIAF-Koordinator
s.schmid@em.uni-frankfurt.de
Tel. (069) 798-32097

Prof. Hans Peter Hahn
Geschäftsführender Direktor des ZIAF
hans.hahn@em.uni-frankfurt.de,
Tel. (069) 798-32072

Relevante Artikel

Bunte Wände – große Vielfalt

Studentische Initiativen und Fachschaften der Goethe-Uni stellen ihr Engagement vor. Ende Mai fand im Casino am Campus Westend der „Tag

Zehn Jahre Mitmenschlichkeit

Die Studentische Poliklinik der Goethe-Universität im Gesundheitsamt der Stadt Frankfurt hat im Juni ihr zehnjähriges Bestehen gefeiert. Bei der Jubiläumsfeier

Projekt E²piMINT auf der re:publica

Das erst kürzlich ausgezeichnete LernLabor-Projekt E²piMINT der Goethe-Universität wurde aus über 100 Bewerbungen zum Thema MINT ausgewählt und nach Berlin

Öffentliche Veranstaltungen

Ein vielschichtiges Verhältnis

Eine Sommeruniversität blickt aus postkolonialer Perspektive auf den Zusammenhang von Religion und europäischer Expansion. Das Wort „postkolonial“ ist in den

You cannot copy content of this page