Goethe, Deine Forscher: Sol Lago, Romanistin

Sol Lago, Romanistin | Foto: privat

Erwacht ist Sol Lagos Interesse am Sprachenlernen nie: „Das war immer da. Sprachenlernen, das war für mich immer so was wie Essen oder Laufen, und ich kann mich nicht erinnern, dass es mal eine Zeit gab, in der ich keine Fremdsprache gelernt hätte“, sagt sie. Ihr Kontakt zu verschiedenen Sprachen war immer vorhanden: Lago ist in Buenos Aires geboren und aufgewachsen, Spanisch ist also eindeutig ihre Muttersprache. Der deutsche Ausdruck „Muttersprache“ führt in ihrem Fall allerdings in die Irre: Lago hat mit ihrem Vater, mit ihren beiden jüngeren Geschwistern, mit Spielkameradinnen und -kameraden, mit ihrer ganzen Umgebung auf Spanisch kommuniziert. Bis auf eine Ausnahme: Ihre Mutter, die aus Belgien stammt, hat mit Lago immer Französisch gesprochen.

Dass Lago von der Grundschule an Englischunterricht erhielt, lag am argentinischen Schulsystem – dass sie darüber hinaus in einer vierten Sprache unterrichtet wurde, ist dem Zufall geschuldet. Genauer gesagt, dem Pragmatismus ihrer Eltern: „Meine Eltern hatten keine spezielle Beziehung zu Deutschland, aber die beste Grundschule in der Nähe unserer Wohnung war nun mal eine deutsche Schule“, erinnert sich Lago, „also haben sie mich dahin geschickt.“

Aus der Selbstverständlichkeit, mit der sie schon als Kind Sprachen lernte, ist inzwischen ein wissenschaftliches Interesse geworden, das einen Schritt weitergeht: Als Professorin für Sprachwissenschaft Französisch und Spanisch an der Goethe-Universität und insbesondere als Leiterin des „Romance Lab“, des Labors für romanische Sprachen, beschäftigt sich Lago damit, wie ein solcher Lernprozess im Detail abläuft. Dieser spezifische Interessensschwerpunkt war allerdings nicht immer bei ihr vorhanden: „Ich habe schon als Kind Fremdsprachen gelernt, und ich fand das immer einfach“, berichtet Lago. Deswegen habe sie es nicht so wichtig gefunden, welche Aspekte für das Lernen einer Sprache wichtig sind.

Eingerostete Deutsch-Kenntnisse

An der US-amerikanischen University of Maryland hatte sie eine sprachwissenschaftliche Doktorarbeit geschrieben, dabei allerdings auch schon neurologische Messverfahren angewandt und Veranstaltungen in Kognitionswissenschaft belegt, bevor sie sich während ihrer Postdoc-Zeit an der Universität Potsdam erstmals mit dem Phänomen Mehrsprachigkeit beschäftigte. Weil ihre Deutschkenntnisse inzwischen reichlich eingerostet gewesen seien, habe sie damals quasi von Neuem Deutsch lernen müssen, „und das fand ich überhaupt nicht mehr leicht“, berichtet Lago. Also habe sie sich gefragt, wie der Lernprozess im Detail ablaufe und warum er für sie inzwischen mit erheblicher Mühe verbunden gewesen sei – ihr Forschungsinteresse, das sie seither nicht losgelassen hat, war damit erwacht.

An der Goethe-Universität geht sie ihm anhand der Untersuchungen im „Romance Lab“ nach. Dabei setzt sie insbesondere ein „Eye Tracker“-System ein, das mit einer Infrarotkamera die unwillkürlichen Augenbewegungen von Sprachlernenden aufzeichnet: „Wir beobachten in unserem Sprachlabor Menschen, denen ein Satz in der Fremdsprache präsentiert wird und stellen fest, dass ihre Blicke sich an manchen Wörtern besonders lange aufhalten oder auch mehrmals zu diesen zurückkehren“, erläutert Lago. Das seien gerade die Sprachbestandteile, mit denen sich das Gehirn intensiv beschäftigen müsse, damit ein fremdsprachlicher Satz Sinn ergebe. „Interessanterweise sehen wir in diesen Experimenten, dass die Reaktion des Gehirns davon abhängt, ob die Testpersonen zuvor Unterricht in einer anderen Sprache erhalten haben“, kommentiert Lago. „Dieser Zusammenhang lässt sich möglicherweise nutzen, die Didaktik des Fremdsprachen-Unterrichts weiterzuentwickeln.“

Umgekehrt hat sie auch untersucht, wie das Gehirn Sätze bildet. Das passiere unbewusst: Menschen sprächen einfach, ohne dass sie sich über den Vorgang Gedanken machten, sagt Lago. „Wir haben also aufgezeichnet, wie die Menschen Sprache hervorbringen“, erläutert sie, „und wir haben bestimmt, wie viel Zeit sie dafür benötigen, die einzelnen Teile eines Satzes auszusprechen.“ Je schwieriger das für das Gehirn sei, desto länger dauere es, „und um diese Schwierigkeit einzuschätzen, sind wir jetzt nicht mehr nur auf die Aussagen der Testpersonen angewiesen“, fügt Lago hinzu.

Elektrische Aktivität des Gehirns?

Um herauszufinden, auf welche Weise das menschliche Gehirn Sprache verarbeitet, möchte sie künftig auch ein Verfahren anwenden, das sie schon während ihrer Promotion an der University of Maryland eingesetzt hat: Ergänzend zu Bild- und Tonaufzeichnungen plant Lago, EEGs ihrer Probandinnen und Probanden zu erstellen, also die elektrische Aktivität von deren Gehirnen zu messen und aufzuzeichnen. „Außerdem habe ich meine Forschung bisher ausschließlich auf traditionelle experimentelle Ergebnisse gestützt“, ergänzt Lago, „in Zukunft möchte ich dabei auch auf Methoden der Informatik zurückgreifen, so zum Beispiel auf ‚Large Language Models‘ und auf virtuelle Realitäten. Ich freue mich darauf, dies gemeinsam mit meinen Kollegen im kürzlich bewilligten Sonderforschungsbereich NegLaB ‚Negation in Language and Beyond‘ zu tun.“

Sprachen zu lernen, ist seit fast vierzig Jahren fester Bestandteil ihres Lebens – aktuell stehen (wieder) Deutsch und das in einem Teil Indiens gesprochene Marathi auf Lagos To-Learn-Liste: Ihr Mann, ein Kognitionswissenschaftler, kommt aus Indien, und da seine Eltern kein Englisch sprechen, kann sich Lago bislang nicht mit ihnen verständigen: „Dabei ist Sprachenlernen für mich der Weg, Menschen zu begegnen und sich in eine Gesellschaft zu integrieren.“

Stefanie Hense

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