Im Dienst der Lebenden und der Toten

Plötzlicher Herztod, häusliche Gewalt, spektakuläre Todesfälle – das Arbeitsfeld der Rechtsmediziner ist riesig. Die neue Vortragsreihe »Interdisziplinäre Rechtsmedizin« erklärt, warum Rechtsmedizin nicht nur mit Recht und Medizin zu tun hat.

Ohne interdisziplinäre Zusammenarbeit geht in der Rechtsmedizin gar nichts: „In unserem Institut arbeiten Mediziner, Pharmazeuten, Molekularbiologen, Botaniker, Chemiker, Physiker und Juristen zusammen“, listet der Rechtsmediziner Marcel Verhoff die breite Fachkompetenz seiner Kolleginnen und Kollegen auf. Um gleich hinzuzufügen, dass die Expertise der Frankfurter Rechtsmediziner noch von weitaus mehr Disziplinen angefragt werde – etwa der Psychologie, Sozialwissenschaft, Zahnmedizin und Archäologie. Im Studium der Archäologie bilden Rechtsmediziner Studierende praktisch in forensischer Anthropologie und Osteologie aus, demonstrieren also, wie historische Skelettfunde identifiziert werden können.

Für Verhoff, den Direktor des Rechtmedizinischen Instituts am Universitätsklinikum Frankfurt, wurde es deshalb Zeit – mit seinen Kollegen in einer interdisziplinären Vorlesungsreihe erstens den neuesten Stand der Forschung seines Fachs vorzustellen, zweitens Studierende der Natur- und Sozialwissenschaften auf mögliche Arbeitsfelder in der Rechtsmedizin aufmerksam zu machen und drittens interessierte Laien über Dichtung und Wahrheit seines Metiers aufzuklären.

„Tot ist tot. Oder nicht?“, beginnt die Vorlesungsreihe mit Fragen, wie Tod definiert ist, warum er als Prozess beschrieben werden kann und wann dieser zu Ende ist. In den folgenden Vorträgen werden, so Verhoff, „die Basisthemen“ der Rechtsmedizin behandelt: von Leichenöffnungen zur Klärung der Todesursache über toxische Analysen und Abstammungstests bis hin zur DNA-Diagnostik an Spuren. Dabei spielen auch die Schwerpunkte der Frankfurter Rechtsmedizin eine Rolle: etwa die forensische Osteologie, also die Untersuchung und Beurteilung aufgefundener Knochen; die Entomologie, deren Frankfurter Expertise bundesweit und darüber hinaus gefragt ist – sie bestimmt das Alter von Insekten, die auf Leichen gefunden werden, um Hinweise auf den Todeszeitraum zu erhalten; schließlich die DNA-Analyse beim plötzlichen Herztod: Wenn Autopsie und toxikologische Analysen keine Todesursache erkennen lassen, kann die „molekulare Autopsie“, also die genetische Analyse von Blutproben eines Toten auf ein angeborenes Risiko für den plötzlichen Herztod hinweisen. Diese Erkenntnis hilft wiederum den Lebenden: Nahe Verwandte eines am plötzlichen Herztod Verstorbenen können sich auf den Gendefekt untersuchen und gegebenenfalls medikamentös behandeln lassen.

Überhaupt sind es die Lebenden, betont Verhoff, denen sich die klinische Rechtsmedizin mit rund der Hälfte aller Untersuchungen zuwendet. „Das war doch nur ein harmloser Sturz“: Dass Körperverletzungen aufgrund strafbarer Handlungen wie häuslicher Gewalt und Kindesmisshandlung entstanden sind, kommt oft erst nur durch rechtsmedizinische Analysen ans Licht. Manches wird dabei nur erkannt, weil in Fallberichten die Erfahrungen früherer Fälle vorliegen. Dass medizinische Fallberichte in seinem Fach inzwischen als veraltet und überholt gelten, bedauert Verhoff. „Manche Fälle gibt es nur ein einziges Mal“ – ohne ihre minutiöse Rekapitulation gehe wichtiges Wissen verloren.

Im Verlauf der neuen Vortragsreihe werden nicht nur einzelne Themen der Rechtsmedizin behandelt, sondern auch ihr Zusammenspiel bei Fallanalysen aufgerollt: Begleitet wird ein Fall mit allen beteiligten Expertinnen und Experten in einem ersten Schritt vom Tatort, der Spurensicherung bis hin zur Obduktion; im zweiten Teil wird dann die Vernehmung über die Anklage, die Hauptverhandlung bis zum Urteil verfolgt. Das Ende der Vortragsreihe bildet das Thema „Rechtsmedizin in den Medien“, voraussichtlich mit einem prominenten Vertreter der Zunft. Welche Mythen über Rechtsmedizinerinnen und -mediziner werden in Krimiserien und -romanen produziert?

Wenn es nach Verhoffs Vorstellungen ginge, ist die Reihe „Interdisziplinäre Rechtsmedizin“ nur ein Anfang. Fortsetzen ließe sie sich mit Fragen wie „Wie geben Zähne über das Ableben eines Menschen Aufschluss?“ und „Wie hilft Profiling bei der Tätersuche?“ – im besten Fall auch mit Kolleginnen und Kollegen aus angrenzenden Fachdisziplinen. An Themen mangelt es den Rechtsmedizinern jedenfalls nicht.

Die Ringvorlesung Interdisziplinäre Rechtsmedizin findet ab dem 18. April wöchentlich dienstags von 18.15 bis 19.45 Uhr im Universitätsklinikum Frankfurt statt. Über Termine und Titel der jeweiligen Vorträge gibt der Webkalender Auskunft sowie das neue, umfangreiche Programm der Bürger-Universität.

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