Fragen an die Journalistin Jeanette Schindler, die für ihr Radio-Feature zum »Scheitern« in der Wissenschaft den Goethe-Medienpreis 2022 erhalten hat.
UniReport: Frau Schindler, wie sind Sie auf das Thema gekommen?
Jeanette Schindler: Als die Tübinger Firma CureVac mit der Entwicklung des Impfstoffes gegen das Corona-Virus zu scheitern drohte (was auch nachher so eintreten sollte), stellte ich mir die Frage: Was bedeutet das für die Forschenden? Welche Konsequenzen hat das nun für sie? Und was geschieht mit ihren bisherigen Ergebnissen? Es hat mich auch erschreckt, wie aggressiv die Gesellschaft darauf reagiert hat, dass die Wissenschaft mehrmals ihre Annahmen zum Corona-Virus ändern musste. Die Menschen hatten erwartet, dass das, was Christian Drosten sagt, für alle Zeit gilt. Dabei konnten man in dieser Zeit der Wissenschaft in Echtzeit beim Forschen zusehen. Sie hatten doch immer wieder betont, dass sie noch nicht viel über das Virus wissen. Mir kam das damals vor, als hätte Wissenschaft für viele Menschen so eine Art religiösen Status. Der allwissende Wissenschaftler.
War es schwierig, angesichts der Tabuisierung überhaupt Ansprechpartner*innen zu finden?
Ja, das war schwierig. Zum einen, weil ich ja gar nicht erfahren habe, wer gescheitert ist. Und wenn ich Forschende auf Scheitern anspreche, dann wollten sie nicht, dass das an die Öffentlichkeit gezerrt wird. Es gab aber schon 2021 Tagungen, die sich mit dem Thema befasst haben, zum Beispiel von der VolkswagenStiftung oder der Universität Erlangen.
Scheitern kann man ja ganz unterschiedlich auslegen: ein Scheitern in der Sache, also im eigentlichen Sinne, aber auch eine Nicht-Anerkennung seitens der Scientific community.
Das stimmt. Man muss sehr genau differenzieren, zwischen Scheitern, weil man eine riskante Hypothese verfolgt und dann mit der Annahme scheitert, also sich geirrt hat. Das gehört zum Forschen dazu. Oder, ob man scheitert, weil man an irgendeiner Stelle im Forschungsprozess einen Fehler gemacht hat. Aber beides sind Problemfelder, mit denen sich Hochschulen und Forschungseinrichtungen befassen müssen. Psychologin Maja Dschmuchadse an der Hochschule Zittau-Görlitz kritisierte zum Beispiel 2021, es gebe zu wenig unabhängige Kontrolle. Beispielsweise sollten wissenschaftliche Arbeiten nicht von denen begutachtet werden, die beteiligt waren. Sie hatte dazu mit Kollegen ein Positionspapier veröffentlicht, in dem sie auch die Machtverhältnisse an Hochschulen und Forschungseinrichtungen kritisiert haben. (Bericht zum Paper)
Die sogenannten Fuck-up-Nights sind beliebt im Bereich der Start-up-Szene, aber lösen nicht ganz das Problem, oder?
Nein, bei den Fuck-up-Nights in der Startup-Szene geht es meiner Ansicht nach um Performance. Solche Show-Veranstaltungen halte ich auch nicht für zielführend. Es geht ja nicht darum, Scheitern zu überhöhen, was ja auch wieder zu einer falschen Heroisierung führen würde, sondern um einen normalen Umgang mit dem Scheitern. Nach dem Motto: Scheitern passiert, es gehört dazu, aber besser ist es, nicht zu scheitern! Aber richtig ist, auch aus „gescheiterten Projekten“ kann man Ergebnisse ziehen und sie für die Zukunft nutzen.
Es gibt auch eine »falsche Heroisierung«, wie Prof. Julika Griem, Vizepräsidentin der DFG, sagt?
Genau, Frau Griem spricht da den Punkt an, wenn Scheitern zum smarten Punkt im Lebenslauf stilisiert wird. Aber ihr geht es letztendlich auch um einen verantwortungsvollen Umgang mit Forschungsgeldern. Ich verstehe, dass sehr gut abgewogen werden muss, wofür zum Beispiel die DFG dieses Geld investiert. Es gibt aber nun auch den Vorwurf, dass zu wenig in innovative Forschungsideen investiert wird, weil sie erstmal nicht erfolgsund gewinnversprechend sind. Und gerade auf der Suche nach neuen Energieformen und Nachhaltigkeit haben wir, meiner Meinung nach, viel zu lang auf Althergebrachtes gesetzt.
GOETHE-MEDIENPREIS 2022
DIE PREISTRÄGER
PLATZ 1 Jeanette Schindler: »Scheitern« in der Wissenschaft – Wie ein Tabu das Forschen erschwert (Südwestrundfunk, 3.3.2022)
PLATZ 2 Lea Weinmann (et al.): China Science Investigation (Süddeutsche Zeitung, 19.5.2022)
PLATZ 3 Friederike Haupt: Vorbilder. Angela Merkel hat immer wieder über Marie Curie gesprochen. Warum? (Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 5.12.2021)
Der Goethe-Medienpreis ging 2022 in die achte Ausschreibungsrunde. 2008 auf Initiative der Goethe-Universität gegründet und von der FAZIT-Stiftung sowie dem Deutschen Hochschulverband (DHV) mitgefördert, ist er bis heute die einzige Auszeichnung im deutschsprachigen Raum, bei der ausschließlich die Arbeiten wissenschafts- und hochschulpolitisch tätiger Journalisten im Fokus stehen. Seit 2008 wurden 21 Preisträgerinnen und Preisträger prämiert und Preisgelder in Höhe von insgesamt fast 50 000 Euro in den Kategorien Print, Online und Hörfunk vergeben. Die Jury aus renommierten Fachleuten hatte in dieser Zeit die Qual der Wahl zwischen fast 300 Bewerbungen zumeist überregionaler Leitmedien. Damit hat sich der Goethe-Medienpreis als unabhängige Auszeichnung im breiten Feld der mehr als 300 deutschen Journalistenpreise etabliert. Der Goethe-Medienpreis 2022 wurde am 3. April 2023 im Rahmen der »Gala der Deutschen Wissenschaft« des DHV verliehen.
Sie sprechen in Ihrem Beitrag auch das Problem von Nachwuchswissenschaftler*innen an, die ja bekanntlich unter einem ganz besonderen Druck stehen und sich daher noch viel weniger Fehler leisten können.
Ja, richtig. Beispielsweise spricht der Physiker Vahid Sandoghdar, der eine Humboldt-Professur an der Universität Erlangen bekleidet und Direktor am dortigen Max-Planck-Institut ist, im Interview davon, dass er es als absolut normal empfindet in seiner alltäglichen Arbeit, dass etwas nicht klappt. Aber er spricht natürlich aus einer privilegierten Situation heraus über Scheitern, denn die wissenschaftliche Welt kennt seine Erfolge. Wenn man aber noch am Anfang der wissenschaftlichen Karriere steht, ist es viel schwerer, einen Misserfolg zu verkaufen, auch wenn die Gründe dafür ganz unterschiedlicher Natur sein können.
Angesprochen wird in Ihrem Beitrag die sogenannte Replikationskrise – in der Psychologie kamen bei der Wiederholung einer Untersuchung zu gleichen Bedingungen nur zu 36 Prozent die gleichen Ergebnisse heraus.
2011 hatte die Organisation Center of Open Science ein Projekt gestartet, bei dem mehr als 100 wissenschaftliche psychologische Studien wiederholt wurden. Aber in der Folge, als man sich mit den Ergebnissen genauer auseinandergesetzt hat, ist eben auch die Erkenntnis gewachsen, dass Informationen über den Aufbau und das Vorgehen in einem Experiment oder wie die Versuchspersonen ausgewählt wurden, ganz entscheidend ist. Und, dass diese Daten auch für andere Forschende zugänglich sein müssen.
Einerseits fehlt es an einer »Kultur des Scheiterns«, andererseits bedarf es auch einer Erfolgsorientierung – eine Gratwanderung?
Ich finde, Erfolgsorientierung und Scheitern zu akzeptieren, es aus der Tabuzone zu holen, schließen sich ganz und gar nicht aus, sondern im Gegenteil: Wenn eine Forschungsgruppe, eine Forschungseinrichtung Erfolg haben will, muss sie sich mit dem Thema Scheitern befassen. Es muss darüber gesprochen werden, warum etwas gescheitert ist und wie man die Erkenntnisse nutzen kann. Auch wenn es um Fehler geht, ist es besser, offen darüber zu sprechen – ohne den Verursacher gleich zu diskreditieren – damit dieser Fehler künftig nicht mehr passiert. Also ein offener wertschätzender Umgang mit Scheitern und eine konstruktive Fehlerkultur führen zu mehr Erfolg.
Wäre ein intensiverer Umgang mit Fehlerkultur auch im Journalismus sinnvoll? Fürchten manche vielleicht, dass dies den Vorwurf einer »Lügenpresse« untermauern könnte?
Wir achten sehr darauf, dass keine Fehler passieren. Alle Texte werden von einer Kollegin oder einem Kollegen gegengelesen. Aber natürlich passieren trotzdem Fehler. Dass man als Journalist dafür Verantwortung übernimmt, den Sachverhalt richtigstellt und sich dafür entschuldigt, halte ich für selbstverständlich. Meiner Meinung nach schadet das auch nicht dem Ruf von Journalisten, sondern im Gegenteil. Der Vorwurf „Lügenpresse“ bezieht sich ja auch nicht auf tatsächliche falsche Behauptungen in den Medien, sondern unterschiedliche Wahrnehmungen oder Interpretationen von Realität.
Fragen: Dirk Frank