Summer School Emergency Medicine

Wichtige Praxiserfahrungen für ukrainische Medizinstudierende

Mit viel Engagement und dank finanzieller Mittel des Goethe-Ukraine-Fonds haben Prof. Miriam Rüsseler und ihr Team vom Frankfurter Institut für Notfallmedizin und Simulationstraining (FIneST) eine Summer School Emergency Medicine ins Leben gerufen. Das Ziel: Ukrainischen Medizinstudierenden wichtige Praxiserfahrungen zu ermöglichen, die sie aufgrund des russischen Angriffskriegs nicht an ihrer Universität in der Ukraine sammeln können. Die Beteiligten vom Fachbereich Medizin begeistert vor allem die außergewöhnliche Einsatz- und Lernbereitschaft der Studierenden.

Ein schriller Ton ertönt und beinahe synchron schnellen die Medizinstudierenden hoch. Sie hasten ans andere Ende des Raums, greifen sich einen der nummerierten Zettel und lesen ihn genau durch. Wieder ertönt ein Ton, diesmal ist es ein Martinshorn. Und binnen Sekunden ist der Raum wie leer gefegt.

Die angehenden Ärztinnen und Ärzte trainieren hier gerade, was es heißt, Notfallmediziner zu sein. In Gruppen sind sie abwechselnd verschiedenen Fällen zugeteilt. Gerade einmal zwölf Minuten Zeit haben sie, um sich mit dem nächsten Szenario vertraut zu machen, zum Patienten zu eilen und ihn zu versorgen. Organisiert werden Szenarientrainings wie diese vom Frankfurter Institut für Notfallmedizin und Simulationstraining, kurz FIneST. Dort werden Medizinstudierenden praktische Fertigkeiten vermittelt. Und das in einer Umgebung, die so realistisch wie möglich ist.

Die 14 Medizinstudierenden, die sich in den ersten beiden Septemberwochen am Universitätsklinikum mit den Grundlagen der Notfallmedizin auseinandersetzen und dann auch gleich praktisch anwenden, sind allerdings keine Frankfurter Studierenden. Sie kommen aus der Ukraine und studieren in Charkiw, Kiew oder Odessa. Wegen des Krieges bestand ihr Studium überwiegend aus Online-Unterricht, was insbesondere für ein so praktisches Fach wie die Medizin sehr hinderlich sein kann.

Zwei Wochen Normalität

Um ukrainischen Studierenden dennoch die so wichtigen Praxiserfahrungen zu ermöglichen, hat die Leiterin des FIneST, Prof. Miriam Rüsseler, eine Summer School initiiert. Miriam Rüsseler ist Unterrichtsbeauftragte Chirurgie und Notfallmedizin sowie Studiendekanin des Fachbereichs Medizin. „Wir wollten den Studierenden zwei Wochen Normalität in ihrem Studium bieten“, sagt sie. Als sie erfahren habe, dass in der Ukraine kaum Lehre stattfinde, habe sie sich gefragt, wie sie helfen könne. Die Studierenden einfach an der Fakultät aufzunehmen, sei keine Lösung ­gewesen, zumal der Studiengang Medizin Kapazitätsbeschränkungen hat. Allerdings sei klar gewesen, dass die praktische Ausbildung das sei, was die Studierenden gerade am dringendsten bräuchten – und so entstand die Idee für die Summer School.

Mithilfe der Kolleginnen und Kollegen am FIneST und durch intensive Vorbereitung ist es Miriam Rüsseler gelungen, dieses Vorhaben in die Tat umsetzen. Die Finanzierung wurde über den Goethe-Ukraine-Fonds der Goethe-Universität sichergestellt, die Mittel stellte vor allem die Dr. Gerhard und Martha Röttger-Stiftung bereit. Aus rund 50 Bewerbungen haben Miriam Rüsseler und ihr Team 15 Studierende ausgewählt. Nach einer Absage haben dann 14 Studierende zwei Wochen lang praktische Erfahrungen am Frankfurter Universitätsklinikum sammeln können. Voraussetzungen für die Teilnahme an der Summer School waren vor allem gute Deutschkenntnisse und ein bereits fortgeschrittenes Medizinstudium.

Außergewöhnliches Engagement

Einer der Mitorganisatoren des Projekts ist Michael Keil, Referent Studiengangentwicklung Humanmedizin. Die Summer School ist sein Promotionsthema. Er wird die Teilnehmenden im Anschluss über ihre Eindrücke befragen, Anregungen und Verbesserungsvorschläge sammeln und die Beobachtungen auswerten. Die Ergebnisse sollen dann in Fortsetzungsprojekte fließen. Während der zwei Wochen ist Michael Keil Ansprechpartner für die ukrainischen Gäste. Er führt durch das Rahmenprogramm, erklärt ihnen die Abläufe und steht auch bei praktischen Fragen zur Verfügung, wie zum Beispiel zu den Öffnungszeiten der Mensa.

Besonders beeindruckt zeigt sich Michael Keil vom Engagement der Studierenden. Da es die erste Summer School dieser Art sei, hätte man im FIneST nicht genau gewusst, ob alles reibungslos verlaufen würde. Von Anfang an aber hätten die Studierenden ein hohes Maß an Bereitschaft und auch Dankbarkeit gezeigt. „Im Vorfeld wurde allen Teilnehmenden der Zugang zur Lernbar ermöglicht, damit sie sich per eLearning theoretisches Wissen aneignen können“, berichtet Michael Keil. Alle hätten das Angebot intensiv genutzt und seien so bestens vorbereitet in den praktischen Teil der Summer School gestartet.

Diesen Eindruck bestätigt auch Lisa Petersen, die für die Organisation des medizinisch-fachlichen Programms der Summer School verantwortlich ist. Sie hat vor Kurzem selbst das Medizinstudium abgeschlossen und ist ebenfalls Teil des Teams am FIneST. Gemeinsam mit Michael Keil führt Lisa Petersen an diesem Freitag das Notfallsimulationstraining durch. „Von Anfang an haben wir gespürt, dass die Studierenden sehr motiviert und neugierig sind. Aber dass sie eben auch ein bisschen Angst oder viel mehr Respekt vor der Situation hatten, weil sie nicht genau wussten, was von ihnen erwartet wird.“ Doch schon nach dem ersten Tag seien die Studierenden so begeistert gewesen, dass sie am Abend freiwillig noch zwei Stunden länger zum Üben am Universitätsklinikum geblieben seien.

Nah dran am (Schauspiel-)Patienten

Am Ende der ersten Woche der Summer School stellen die 14 Studierenden im Simulationskrankenhaus praktisch unter Beweis, was sie in den letzten Tagen in der Theorie gelernt haben. Abwechselnd sind sie in kleinen Teams verschiedenen Notfällen zugeordnet. Was sie hinter den Türen der „Patienten“-Zimmer erwartet, wissen sie vorher nicht. 

In Zimmer 3 klagt ein Patient über Atembeschwerden. Das Notarzt-Team erfragt die Symptome, klärt Vorerkrankungen ab, misst den Blutdruck. Die Studierenden sind hochkonzentriert. Trotz kleinerer Verständigungsprobleme kümmern sie sich um die Patientinnen und Patienten mit einer Ernsthaftigkeit, dass man beinahe vergisst, dass die Situation nur gestellt ist. Der Einsatz geschieht unter dem fachmännischen Auge einer Mitarbeiterin oder eines Mitarbeiters des FIneST. Sie beurteilen nach jeder Übung die Leistung der angehenden Ärztinnen und Ärzte und geben ihnen direkt Feedback.

Zwischen zwei Einsätzen zieht der 20-jährige Valentyn ein vorläufiges Resümee: „Wir haben alle sehr viel gelernt und geübt, das Praktikum ist wirklich praxisorientiert.“ Er ist aus Mariupol, wo er sein Medizinstudium aber wegen des Krieges momentan nicht fortsetzen kann. „Wir konnten Maßnahmen wie zum Beispiel die Thoraxkompression üben, die in Notfallsituationen wichtig sind. Wir sind der Uni Frankfurt alle sehr dankbar für diese Möglichkeit.“

Für Valentyn und die anderen ukrainischen Medizinstudierenden geht es an diesem Freitagnachmittag noch weiter mit der praktischen Übung. Noch haben nicht alle Teams jeden der fünf Notfalleinsätze absolviert. In der zweiten Woche der Summer School stehen für sie dann praktische Fertigkeiten wie Blut abnehmen oder Wunden nähen auf dem Lehrplan. Für Miriam Rüsseler sprechen die Rückmeldungen der Studierenden und ihre eigenen Beobachtungen schon jetzt für sich. Sie sieht die diesjährige Summer School als ein Pilotprojekt und plant in jedem Fall eine Fortsetzung des Praxisangebots, dann direkt in ukrainischer Sprache. Die Unterstützung einiger Ukrainisch sprechender Ärztinnen und Ärzte im Universitätsklinikum hat sie bereits. Jetzt fehlt nur noch die Finanzierung.

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