Totholzinseln für Frankfurt

Ist das Lebensraum oder kann das weg? Aaron Kauffeldt und Tim Milz haben ihrem Biodiversitätsprojekt bewusst diesen etwas provokanten Namen verliehen. Sie wollen mehr Aufmerksamkeit für den Biodiversitätshotspot Totholz schaffen. Für ihre Idee, Totholzinseln im Frankfurter Stadtgebiet anzulegen, wurden sie kürzlich mit dem dritten Platz des Ideenwettbewerbs Biodiversität Frankfurt von Goethe-Universität, Palmengarten, der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung, dem Dezernat für Klima, Umwelt und Frauen der Stadt Frankfurt und der Frankfurter Sparkasse ausgezeichnet.

Wollen das Totholz zurück in die Stadt bringen: Tim Milz (links) und Aaron Kauffeldt im Wissenschaftsgarten auf dem Campus Riedberg. Foto: Isabelle Hammerschmiedt

Eine Exkursion in den Bayerischen Wald war es, die Aaron Kauffeldt und Tim Milz das erste Mal die Bedeutung von Totholz vor Augen geführt hat. Dort haben sie gesehen, wie ein naturbelassener Wald zum Lebensraum für eine Vielzahl von Tieren, Pflanzen und Pilzen werden kann. Beide haben den Masterstudiengang Ökologie und Evolution an der Goethe-Universität absolviert. Tim Milz schreibt momentan noch seine Masterarbeit im Bereich Naturschutzbiologie – über Totholz bewohnende Insekten. Mit dem Wissen um die Bedeutung von Totholz und dem Wunsch, einen Beitrag zum Erhalt der Artenvielfalt in der Stadt zu leisten, haben sich Aaron und Tim beim Ideenwettbewerb Biodiversität Frankfurt beworben. Ihr Projektplan konnte die Jury überzeugen: Mit den 5000 Euro Preisgeld für den 3. Platz können sie nun in die Umsetzung starten.

Ein vergessener Lebensraum

Ihr Projektpate Claus Bässler, Professor am Institut für Ökologie, Evolution und Diversität der Goethe-Universität, hat das Totholz einmal als einen „vergessenen Lebensraum“ bezeichnet. Und tatsächlich findet Totholz, wenn es um die weltweite Biodiversitätskrise geht, insbesondere im städtischen Raum eher wenig Beachtung. Totholz ist in den letzten Jahren schlichtweg aus der Landschaft verschwunden. „Durch die moderne Forstwirtschaft werden Bäume heutzutage gar nicht erst so alt, als dass überhaupt Totholz anfallen könnte“, sagt Tim Milz. Bäume würden gepflanzt und alsbald gefällt, um als Rohstoff, zum Beispiel für die Holzproduktion, weiterverwendet zu werden. Folglich erreichen sie nicht mehr das entsprechende Alter, um Totholz zu akkumulieren.

Ein weiterer Grund sei zudem die Annahme, Wälder müssten aufgeräumt sein, ergänzt Aaron Kauffeldt. Tote Bäume würden schnell weggeräumt – der Sicherheit wegen, aber auch aus ästhetischen Gründen. „Viele Waldbesucher*innen nehmen einen aufgeräumten Wald ohne abgestorbene Bäume als schönen, gesunden Wald wahr. Die Vorstellung von Naturschützern und Biologen ist dagegen eine ganz andere.“ Diesen Hang zum Aufräumen gebe es im Übrigen nicht nur in unseren Wäldern, sondern auch im städtischen Raum, in Parks und in privaten Gärten. Mit ihrem Projekt „Ist das Lebensraum oder kann das weg? Totholz für ein lebendiges Frankfurt“ möchten Aaron Kauffeldt und Tim Milz deshalb vor allem eins: das vergessene Habitat Totholz zurück in den städtischen Raum bringen.

Biodiversitätshotspot Totholz

Die beiden Ökologen sind der Überzeugung, dass Totholz völlig zu Unrecht in Vergessenheit geraten ist. Vielmehr könne es als eine Art Biodiversitätshotspot bezeichnet werden. Denn Totholz bietet Lebensraum für verschiedenste Tiere und andere Organismen. So nutzen zum Beispiel Käferarten wie der Nashornkäfer Totholz als Kinderstube für ihre Larven. Die Ausbohrlöcher wiederum, die diese totholzbewohnenden Käfer dann im Holz hinterlassen, werden von Wildbienen zum Nisten genutzt. Auch zahlreiche Pflanzen und Pilze wachsen in oder neben Totholz-Akkumulationen. Hinter dem vermeintlichen Abfallprodukt steckt also ein komplexes System, dem zahlreiche Organismen angehören.

Foto: Tim Milz

„Rund 20 Prozent aller in Deutschland lebenden Käfer sind auf Totholz angewiesen. Totholz ist also keineswegs ein Nischen-Lebensraum, den man vernachlässigen könnte“, betont Tim Milz. Dass rund die Hälfte der Totholz-bewohnenden Käfer bedroht sei, verdeutliche einmal mehr dessen Bedeutung. „Seit Jahrzehnten ist bekannt, dass Totholz wichtig ist. Aber seine enorme Bedeutung für das Ökosystem ist noch nicht in der breiten Bevölkerung angekommen.“ Anders sei es zum Beispiel beim Thema Insektensterben, das schon längst als Sinnbild der Biodiversitätskrise in den Köpfen der Menschen verankert sei. Mit ihrem Projekt möchten Aaron Kauffeldt und Tim Milz deshalb auch verdeutlichen, dass der Verlust von Totholz in direktem Zusammenhang mit dem Rückgang der Artenvielfalt steht.

Neben seiner Funktion als Lebensraum hat Totholz im Übrigen noch jede Menge weitere Vorteile: So verbessert es die Wasserrückhaltefähigkeit von Ökosystemen, hat einen enormen Einfluss auf Stoffkreisläufe und trägt zur Bodenbildung sowie zur Langzeitspeicherung von Kohlenstoff bei. Insbesondere die Fähigkeit zur Wasserspeicherung, so die Ökologen, könne einen positiven Einfluss auf das Mikroklima haben – und somit, zumindest lokal, der Überhitzung in den Städten entgegenwirken.

Totholzinseln im urbanen Raum

Um das Habitat Totholz zurück in die Stadt zu bringen, haben sich Aaron Kauffeldt und Tim Milz bereits mit Stakeholdern des Umwelt- und des Grünflächenamts ausgetauscht. Auf die Zusammenarbeit mit der Stadt sind sie angewiesen, denn ihr Projektplan schließt städtische Flächen explizit mit ein. In den kommenden Monaten sollen im Frankfurter Stadtgebiet zunächst zehn sogenannte Totholzinseln entstehen – also Anhäufungen von Totholz an festgelegten Orten. Zur Bestimmung der Standorte haben die beiden ein Arten- und Biotopschutzkonzept der Stadt Frankfurt hinzugenommen und sich letztendlich für eine Verbindung quer durch die Stadt entschieden. Angefangen im Niddapark soll künftig an verschiedenen Grünflächen Totholz akkumuliert werden, darunter am Campus Ginnheim, im Günthersburgpark und im Holzhausenpark. „Diese Achse von Ost nach West soll es Lebewesen, zum Beispiel aus der angrenzenden Wetterau, ermöglichen, den Weg hinein in die Stadt zu finden“, erklärt Aaron Kauffeldt.

Die erste Totholzinsel am Campus Westend. (Foto: Tim Milz)

Erst vor Kurzem wurde die erste Totholzinsel am Campus Westend angelegt. Sie befindet sich, gut geschützt im Schatten der Bäume, unweit des Nina-Rubinstein-Wegs. Bei der Umsetzung unterstützt wurden Aaron Kauffeldt und Tim Milz von Robert Anton, der für die Außenanlagen der Universität verantwortlich ist.

„Das Tolle an dem Projekt ist seine Einfachheit: Totholz fällt ohnehin an, kann im Prinzip einfach abgelegt werden und leistet dadurch bereits einen Beitrag zum Erhalt der Artenvielfalt“, sagt Tim Milz. Durch ihr Projekt erhoffen sich die beiden vor allem auch eine breitere Akzeptanz in der Bevölkerung. Aus diesem Grund planen sie ein Öffentlichkeitskonzept begleitend zu den Totholzinseln. Angelehnt an die „Wiese für Bienen“-Tafeln wollen sie in der näheren Umgebung der Ablageorte Informationen bereitstellen, die Parkbesucherinnen und Parkbesuchern einen Überblick über den Wert von Totholz für die städtische Biodiversität verschaffen – und im besten Fall zum Nachahmen im eigenen Garten animieren.

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