Wie man Panik und Crashs in der Finanzwelt verstehen kann

Der Ökonom Eugene N. White hat die vom Bankhaus Metzler und der Friedrich Flick Förderungsstiftung geförderte Gastprofessur im Sommersemester 2023 übernommen.

Eugene N. White.

Finanzhistorisches Wissen ist für etablierte Finance-Expertinnen und -Experten ebenso wie für Finance-Studierende geradezu unverzichtbar. Nicht zuletzt in Zeiten anhaltender Instabilität und beschleunigten Wandels im Finanzsystem bleibt das Gründungsmotiv der seit 2014 bestehenden Stiftungsgastprofessur Financial History an der Goethe-Universität hochaktuell. Die vom Bankhaus Metzler und der Friedrich Flick Förderungsstiftung geförderte Gastprofessur wurde im Sommersemester 2023 mit Eugene N. White, Ökonom und Finanzhistoriker an der Rutgers University, New Jersey, USA, erneut prominent besetzt. Vortragsveranstaltungen sowie eine internationale Konferenz gemeinsam mit dem House of Finance, dem Leibniz-Institut SAFE sowie dem Institut für Bank- und Finanzgeschichte sprechen wie üblich auch die breitere Öffentlichkeit an. Nicht zuletzt dank Eugene N. Whites großer Forschungsneugierde dürfte der intensive Gedankenaustausch im Rahmen der Gastprofessur zahlreiche neue Ideen für zukünftige Projekte hervorbringen. Auch die beiden Förderer der Stiftungsgastprofessur, das Bankhaus Metzler und die Friedrich Flick Förderungsstiftung, freut das. Denn jüngst haben sie zugesagt, ihre Unterstützung für den weiteren Ausbau des in den vergangenen Jahren um die Frankfurter Gastprofessur entstandenen Netzwerks finanzhistorischer Forschung zu verlängern.

Der renommierte Wissenschaftler skizziert für uns einige Schwerpunkte seiner Forschung im Kontext der US-Finanzgeschichte.

„Ich bin vom finanzhistorischen Ansatz überzeugt, weil er eine längerfristige Perspektive auf die raschen Veränderungen der Finanzmärkte und -institutionen bietet“, so White. Die Studierenden gewinnen ein Verständnis dafür, wie sich Daten in Abhängigkeit von der Entwicklung der Institutionen verändern, und sie lernen, kritische Fragen zu stellen, die sowohl von der Vergangenheit als auch von der Gegenwart geprägt sind. „Das beste Argument für die Finanzgeschichte ist, dass Finanzkrisen seltene Ereignisse sind und üblicherweise angenommen wird, dass ‚diesmal alles anders ist‘, oder – sobald auf die Krise mit neuen Regeln und Vorschriften reagiert wurde, das ‚nie wieder passieren‘ könne.“ Während er seine Doktorarbeit in Wirtschaftswissenschaften an der University of Illinois-Urbana schrieb, beschäftigte sich White mit der Untersuchung der in den USA viel beachteten politischen Innovation der Einlagensicherung. Merkwürdigerweise führten die USA die Einlagensicherung trotz früherer Erfahrungen mit den damit einhergehenden Moral-HazardRisiken ein. Denn nach der Bankenpanik von 1907, auf die die Bundesregierung mit der Einrichtung einer Zentralbank, der Federal Reserve, reagierte, hatten sieben Bundesstaaten jeweils staatliche Einlagensicherungssysteme etabliert, die infolge der dadurch ausgelösten übermäßigen Risikobereitschaft bis Ende der 1920er Jahre alle in Konkurs gingen.

White fragte sich, weshalb 1933 mit der Federal Deposit Insurance Corporation dennoch ein mit solchen Mängeln behaftetes staatliches System eingeführt wurde. Weitere Nachforschungen ergaben, dass die Forderung nach einer Einlagensicherung bereits in den 1890er Jahren aufgekommen war und dem Kongress Gesetzesentwürfe für Garantiepläne vorgelegt worden waren. Die regionalen Ursprünge legen eine politische Tatsache offen, die für die FDIC wie für sämtliche früheren Einlagensicherungssysteme gilt: Im Gegensatz zur Lehrbuchmeinung war die Einlagensicherung nicht das Produkt einer klugen Regierung, die versuchte, die Ängste der Öffentlichkeit vor Bankzusammenbrüchen in den Griff zu bekommen, sondern eine konzertierte Aktion kleinerer regionaler Banken, sich gegenüber den Großbanken zu behaupten, die sich aufgrund ihrer Größe und Diversifizierung selbst gegen Verluste absichern konnten. Weder der US-Präsident, die Federal Reserve, die Großbanken noch die führenden Wirtschaftswissenschaftler waren für die FDIC. Man winkte deren Gründung jedoch durch, da man die Unterstützung der kleinen Banken für andere Reformpläne benötigte. White zeigte ferner, dass sich nach Einführung der FDIC der Anteil der versicherten Einlagen erhöhte und alle Finanzintermediären erfasste, deren Verluste damit letztlich sozialisiert wurden.

„Während es unwahrscheinlich ist, dass die Amerikaner ein Programm, das die Verantwortung für die Identifizierung und Sanierung riskanter Banken auf die Regierung überträgt, einfach aufgeben“, sagt White, „fand die Weltbank die Ergebnisse meiner Studie nützlich, um die Entwicklungsländer davon zu überzeugen, ihre eigenen Einlagensicherungssysteme aufzuschieben oder zu begrenzen.“ In den USA hingegen fanden in der beginnenden Savings- and Loan-Krise ab Ende der 1970er Jahren die Spar- und Darlehenskassen bei den staatlichen Gesetzgebern mit ihrem Plädoyer für einen staatlichen Einlagensicherungsfonds Gehör. Zwei Fonds brachen ebenso schnell zusammen wie die nach 1907 eingeführten Sicherungssysteme. „Ich habe daraufhin – in der Hoffnung, weitere Staaten von der Planung ähnlicher Sicherungssysteme abzubringen – im Wall Street Journal die historischen und zeitgenössischen Hinweise erläutert, die zeigen, dass solche Maßnahmen von Anfang an den Keim ihres eigenen Untergangs in sich tragen“, erinnert sich White.

»Man nahm an, der Börsenkrach
von 1929 könne sich nie wiederholen«

„Ähnlich hoch im Ansehen wie die Einlagensicherung stand das Glass-Steagall-Gesetz, das es einer Bank verbot, Geschäftsund Investmentbanking zu kombinieren. Die in den Anhörungen des Kongresses immer wieder theatralisch vorgetragenen Beweise konzentrierten sich auf die Behauptung, dass ‚Universalbanken’ durch die Ausnutzung von Interessenkonflikten zum Nachteil ihrer Kunden profitiert und zur Auslösung der Großen Depression beigetragen hätten. Ich war misstrauisch gegenüber diesen Thesen, die sich auf einige wenige Ausreißerbeispiele stützen, stellte entsprechende Daten zusammen und wies als erste ökonomische Studie nach, dass Universalbanken keine Verursacher finanzieller Instabilität waren“, so White. „Es stellte sich sogar heraus, dass sie weniger risikofreudig waren und weniger Konkurse aufwiesen. Untersuchungen anderer Wissenschaftler untermauerten später, dass auch die anderen Behauptungen des Kongresses falsch waren. Als die Aufhebung des Glass-Steagall-Gesetzes diskutiert wurde und Kritiker behaupteten, es erhöhe die Kosten für Finanzdienstleistungen, wurde mein bahnbrechendes Paper von einigen Investmentbanken, darunter J.P. Morgan, diskutiert und zweimal in Anhörungen im Kongress vorgestellt. Das Gesetz wurde 1999 schließlich kassiert.“ Während der Finanzkrise von 2007–2008 machten viele Experten zwar die Aufhebung des Gesetzes als entscheidenden Auslöser verantwortlich, für White war es aber, so sagt er, relativ einfach, die Aufhebung des Gesetzes zu verteidigen, da nicht die neu entstandenen Universalbanken, sondern die traditionelleren, eigenständigen Investmentbanken im Mittelpunkt der Krise standen.

White erinnert daran, dass der Glaube an die im Rahmen des New Deal ergriffenen Korrekturmaßnahmen so groß war, dass man annahm, der Börsenkrach von 1929 könne sich nie wiederholen. Dann ereignete sich der Börsencrash im Oktober 1987. „Ich fragte mich, ob jemand moderne Methoden der Finanzanalyse angewandt hatte, um den damaligen Börsenabsturz zu analysieren. Nein, das letzte Werk, das die Ansichten der Öffentlichkeit und der Experten geprägt hatte, war John Kenneth Galbraiths The Great Crash 1929, das 1954 geschrieben wurde, in dem Jahr, in dem der Dow-Jones-Index wieder seinen Höchststand von 1929 erreichte. In seinem Bestseller machte Galbraith die später als irrational überschwänglich bezeichnete Öffentlichkeit und den Überfluss an Krediten verantwortlich, die von den Banken an Börsenmakler und die leichtgläubige Öffentlichkeit vergeben worden waren. Ich war verwundert über das Fehlen statistischer Beweise und trug die vorhandenen Daten zusammen, um die Ursachen für den Boom und den Zusammenbruch der Aktienmärkte zu ermitteln. Meine Arbeit zeigte, dass es keine Anzeichen dafür gab, dass der Markt durch Kredite angetrieben worden war, und obwohl die Fundamentaldaten sicherlich einen Teil des Booms ausmachten, gab es eine Blase, die darüber lag. Es war die Kreditnachfrage der wild gewordenen Herde, die die Kreditgeber dazu veranlasste, die Sicherheiten zu verdoppeln und die Zinssätze zu erhöhen. Ich brachte Finanzwissenschaftler und Historiker zusammen und organisierte eine „One-Year-AfterCrash-Konferenz”. Sie trug dazu bei, dass auf den Crash von 1987 im Vergleich zu 1929 mit wesentlich maßvolleren Reformen reagiert wurde.“

Schließlich erinnert White an die riesige Immobilienblase, deren Platzen 2008 weitaus verheerendere Folgen hatte. „Anscheinend gab es keinen Präzedenzfall, auf den man sich hätte berufen können. Da erinnerte ich mich an eine Krise in den 1920er Jahren, die in Vergessenheit geraten war, und das aus gutem Grund. Denn obwohl der Anstieg der Immobilienpreise damals offenbar ein ähnliches Ausmaß hatte, fiel der Schaden geringer aus. Grund war, dass sich die kreditgebenden Finanzinstitute selbst in den 1920er Jahren nicht fremdfinanziert hatten, was die Gefahr einer Insolvenz und einer Panik erheblich verringerte. Dass es institutionelle Strukturen gegeben hat, die mit dem Auf und Ab von Vermögensblasen besser zurechtkommen, zeigte anschließend eine von mir im Auftrag des National Bureau of Economic Research organisierte Konferenz amerikanischer und europäischer Forscher.“ Panik und Crashs sind, so schließt der Ökonom, die viel zitierten Schwarzen Schwäne der Finanzwelt. „Sie sind zwar selten, aber wenn wir verstehen wollen, wann und warum sie auftreten, können wir es uns nicht leisten, historische und in anderen Ländern aufgetretene Krisen zu ignorieren.“

Hanna Floto-Degener
Geschäftsführerin des House of Finance

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