Mit Godard wird das Kino historisch, mit Akerman fängt es neu an: Das Werk der belgischen Regisseurin, Installationskünstlerin und Schriftstellerin Chantal Akerman (1950 – 2015) ist eine ausführliche und vielgestaltige Antwort auf die Frage, was im Kino noch möglich ist. Dieser These folgend trägt die aktuelle Lecture & Film-Reihe den Titel „Die Erfinderin der Formen. Das Kino von Chantal Akerman“. Beginnend mit dem 25. Oktober stehen bis zum nächsten Sommersemester 15 Termine auf dem Programm, bei denen jeweils nach einem einleitenden Vortrag der besprochene Film gezeigt wird.
Zu den Veranstaltern der Lecture & Film-Reihe gehören wieder das Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft der Goethe-Universität, der Exzellenzcluster „Die Herausbildung normativer Ordnungen“ und das Deutsche Filminstitut & Filmmuseum, in dessen Kino die Vorträge und Filmvorführungen auch stattfinden.
Zum Auftakt am 25. Oktober um 20.15 Uhr spricht Vinzenz Hediger über „Das Melodrama des kolonialen Wahns: zu ‚La Folie Almayer‘“. Hediger ist Professor für Filmwissenschaft an der Goethe-Universität und Mitglied des Exzellenzclusters. Zudem leitet er das Graduiertenkolleg „Konfigurationen des Films“. Ebenfalls aus den Reihen des Exzellenzclusters kommt Martin Seel. Der Philosophieprofessor analysiert gegen Ende der Reihe (am 27. Juni 2019) „Die andere Seite des Kinos: Chantal Akermas ‚De l’autre côté‘“. Seel ist Organisator viel beachteter Kino- und Vortragsreihen, in denen mit Blick auf das Forschungsprogramm des Clusters die Rolle des Films in den kontroversen moralischen, rechtlichen und politischen Auseinandersetzungen der Gegenwart untersucht wird.
Die Regisseurin Chantal Akerman zeigt Kinomöglichkeiten jenseits der fast durchweg männlichen Helden-Geschichte von Griffith bis Hitchcock auf, als deren Erben sich die Nouvelle Vague verstand. Viele ihrer Filme sind im Kino ohne Vorbild und prägen mit ihren bahnbrechenden feministischen Sichtweisen seit ihrem Erscheinen die Ausdrucksmöglichkeiten des Films. Akermans Ästhetik der Alltagserfahrung, ihr Überschreiten der Genregrenzen zwischen Spielfilm, Dokumentarfilm und Experimentalfilm, ihr Sinn für Dauer und Zeiterfahrung jenseits der Stechuhr-Dramaturgie des herkömmlichen Spielfilms machen sie zu einer Neuerfinderin der Formen des Kinos.
Als Tochter von Holocaust-Überlebenden ist sie zudem eine singuläre Zeitzeugin der historischen Brüche und Verwerfungen des 20. Jahrhunderts. Ihre Auseinandersetzung mit jüdischem Leben durchzieht ihre Filme auf vielfältige und subtil reflektierende Weise.
In seinem Eröffnungsvortrag am 25. Oktober hebt Vinzenz Hediger ein Merkmal von Chantal Akermans Werk hervor. Es besteht darin, dass sie Formen zu finden vermag, die einen Zusammenhang zwischen der Intimität der Autobiographie und der Erfahrung von Geschichte herstellen.
Das gilt auch für ihren zweitletzten Film, „La Folie Almayer“. Akerman, die Tochter polnischer Juden, die in der Hauptstadt der ehemaligen Kolonialmacht Belgien aufwuchs, nimmt „Almayer’s Folly“, den Debüt-Roman des polnischen Exilanten Joseph Conrad aus dem Jahr 1895, dem Geburtsjahr des Kinos, zum Ausgangspunkt für eine Meditation mit melodramatischen Zügen über die Abgründe des kolonialen Wahns und transponiert den historischen Stoff in eine irritierende Gegenwart. Der Film stammt aus dem Jahr 2011, ist rund 130 Minuten lang und im Anschluss an den Vortrag zu sehen.
Die Lecture & Film-Reihe „Die Erfinderin der Formen. Das Kino von Chantal Akerman“ wird veranstaltet vom Deutschen Filminstitut &Filmmuseum und dem Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft der Goethe-Universität gemeinsam mit dem Exzellenzcluster „Die Herausbildung normativer Ordnungen“ und dem DFG-Graduiertenkolleg „Konfigurationen des Films“, in Kooperation mit der hessischen Film- und Medienakademie. Kuratiert von Vinzenz Hediger und Marc Siegel.
Die Reihe findet im Kino des Deutschen Filminstituts & Filmmuseums statt (Schaumainkai 41, Frankfurt am Main). Eintritt: 5 €. Platzzahl beschränkt. Kartenreservierungen empfohlen unter: 069 / 961 220-220.