Gesellschaftlicher Zusammenhalt – ein Faktum oder nur ein Diskurs? Transfertagung des FGZ mit lebendiger Diskussion gestartet

Zum ersten Mal wieder in Präsenz findet momentan eine Transfertagung des Forschungsinstituts Gesellschaftlicher Zusammenhalt (FGZ) an der Goethe-Universität statt. Zwei Tage lang werden sich Forscher*innen des Verbundes, der über elf Standorte verfügt, sowie Kooperationspartner über Möglichkeiten und Herausforderungen des gesellschaftlichen Zusammenhalts auszutauschen. Dass die Tagung durchaus auch kritische Blicke auf eigene Begriffe und Konzepte beinhaltet, zeigte gleich zu Anfang ein Impulsvortrag des Literaturwissenschaftlers und Stellvertretenden Sprechers des FGZ-Teilinstituts Konstanz, Prof. Albrecht Koschorke. 

Er sieht zwei unterschiedliche Forschungsansätze im FGZ vertreten: Während die eine Richtung mit empirischer Methode untersuchen wolle, ob ein gesellschaftlicher Zusammenhalt vorhanden ist, den Begriff dabei selbst positiv betrachte, sei die andere Richtung im Forschungsverbund eher diskursiv ausgerichtet, betrachte den Begriff des gesellschaftlichen Zusammenhalts auch als Produkt einer bestimmten Redeweise und daher nicht per se als positiv.

Koschorke sprach in seinem insgesamt skeptischen Blick auf die gesellschaftlichen Debatten der letzten Jahre durchaus über materielle Herausforderungen; beispielsweise trügen Umstellungen auf dem Arbeitsmarkt und die Folgen der Digitalisierung zu einer sozialen Schieflage bei. Doch sei der Diskurs darüber heute anders als noch in den 60er Jahren. Damals hätten im Zuge emanzipatorischer Ansprüche diejenigen Gruppen größten Zuspruch gehabt, die für die gesamte Gesellschaft gesprochen hätten. In der Gegenwart hingegen dominiere zunehmend eine Redeweise, in der Gruppen eine Entschädigung für sich, nicht für die ganze Gesellschaft, einforderten.

Selbst der russische Präsident, so Koschorke, bediene sich dieser Argumentationsfigur, indem er die Invasion in der Ukraine mit der „verletzten russischen Seele“ begründe. Die Streitkultur, so die Sorge Koschorkes, werde in der akademischen Welt oftmals verklärt. Gefragt werden müsse aber auch: Ist die ganze Gesellschaft anwesend, wenn in einer Veranstaltung kultiviert gestritten werde? Sind Teile der Gesellschaft mit einem Vokabular der Verständigung überhaupt noch zu erreichen?

In der von Prof. Nicole Deitelhoff (Goethe-Universität) moderierten Podiumsdiskussion wurden andere, zum Teile auch Koschorke widersprechende Einschätzungen abgegeben. Auch die empirische Richtung innerhalb des FGZ schaue nicht unkritisch auf den Begriff des gesellschaftlichen Zusammenhalts; es müsse immer auch geschaut werden, wer dabei außen vor bleibe, entgegnete Prof. Nicole Harth, FGZ-Projektleiterin am Standort Jena.  Thomas Krüger von der Bunddeszentrale für politische Bildung (bpb) betonte, dass Streit auch nicht defizitär beschrieben werden sollte, sondern gehöre zu einer pluralen Gesellschaft dazu. Asmaa Soliman von der „Junge Islam Konferenz“ (JIK) erläuterte einige Beispiele, wie in der Arbeit mit jungen muslimischen und nicht-muslimischen Menschen zu einer postmigrantischen und antirassistischen Gesellschaft beigetragen werden könne.

Beteiligt an der Transfertagung ist auch das Clusterprojekt „ConTrust. Vertrauen im Konflikt“ des Landes Hessen mit einem Praxisforum. Die Tagung geht noch bis Freitag, den 14. Oktober, 17.00 Uhr. Eintritt frei, Anmeldungen unter veranstaltungen-fzg@uni-frankfurt.de

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