Rückblick auf die Jahreskonferenz des Exzellenzcluster »Die Herausbildung normativer Ordnungen«

Die Krise als Tagungsthema ab dem ersten Panel (v. l. n. r.): Klaus Günther, Rebecca Caroline Schmidt (Exzellenzcluster), Albena Azmanova (Brussels School of International Studies, Kent University), Brian Milstein, Rainer Forst (Exzellenzcluster). Foto: © Normative Orders

Krise ist unser Tagungsthema, kein Kennzeichen unserer Gemütslage.“ Rainer Forst, Co-Sprecher des Exzellenzclusters „Die Herausbildung normativer Ordnungen“, ging in seinen einleitenden Worten darauf ein, dass der geistes- und sozialwissenschaftliche Forschungsverbund in der nächsten Runde des Exzellenzwettbewerbs nicht mehr gefördert wird. Ohnehin hatten die Vorbereitungen der mittlerweile 10. Internationalen Jahreskonferenz lange vor dem abschlägigen DFG-Bescheid begonnen. Und die häufig zu hörende Ansicht, wonach es bei einer Krise kein Vor und kein Zurück gebe, stimme, so Forst, nur eingeschränkt: „Es gibt immer einen Weg, aber er muss ein neuer sein!“

Bei der Jubiläumskonferenz wurde dieser – wie immer – im Dialog der Disziplinen beschritten: Was ist, auch philosophisch gesehen, überhaupt eine Krise? Wie stellt sie sich angesichts der aktuellen politischen Ereignisse dar? Was lässt sich aus historischer und ethnologischer Sicht über Epochen und Umbruchprozesse sagen? „Crisis: Interdisciplinary Perspectives“ – so lautete der Titel der zweitägigen Tagung, die Ende November im Gebäude „Normative Ordnungen“ auf dem Campus Westend stattfand.

„Die Krise stellt eine normative Ordnung radikal in Frage“, betonten die beiden Clustersprecher, der politische Philosoph Rainer Forst und der Rechtswissenschaftler Klaus Günther, in ihrem Vortrag. In Anlehnung an den Philosophen Friedrich Schleiermacher könne man die Krise als „Grenze zwischen zwei verschiedenen Ordnungen der Dinge“ definieren.

Forst und Günther sprachen mit Blick auf die gegenwärtigen Geschehnisse von Formen einer „Rechtfertigungskrise“: Eine Ordnung gerät in eine Krise, wenn ihre Rechtfertigungen verloren gehen, ohne dass neue erscheinen. Diesen Begriff stellte auch Brian Milstein ins Zentrum seiner Überlegungen. Der politische Philosoph und Postdoktorand des Clusters verwies auf den italienischen Marxisten Antonio Gramsci: „Die Krise besteht gerade in der Tatsache, dass das Alte stirbt und das Neue nicht zur Welt kommen kann; in diesem Interregnum kommt es zu den unterschiedlichsten Krankheitserscheinungen.“ Zu den Symptomen der aktuellen Krise zählte Milstein den Brexit und die Wahl Donald Trumps, der seit seiner Amtseinführung regelmäßig historisch niedrige Umfragewerte erhält.

(v.l.n.r.) Rainer Forst, Albena Azmanova und Klaus Günther. Foto: © Normative Orders

Der Hinweis, Ursachen und Auswirkungen nicht zu verwechseln, zog sich wie ein roter Faden durch die Jahreskonferenz. Auch gelte es, wie Albena Azmanova von der Brussels School of International Studies der Kent University betonte, genau hinzuschauen, wer wann und warum von einer Krise spreche. Beim Ausdruck „Flüchtlingskrise“ beispielsweise, so ein Diskussionsbeitrag, gerieten leicht die Fluchtursachen aus dem Blick: Kriege, Armut, Klimawandel.

Globale ökonomische Krise

Den Kampf um die natürlichen Ressourcen betonte in seiner Keynote auch der Soziologe Hauke Brunkhorst von der Universität Flensburg. Er gilt als Vertreter der „Frankfurter Schule“ und wurde an der Goethe-Universität promoviert, wo er sich auch habilitierte. Prägend für die vergangenen 40 Jahre, so Brunkhorst, sei die Abwertung politischer und persönlicher Rechte durch soziale Ungerechtigkeit in Folge einer globalen ökonomischen Krise, die er mit Bezug auf Marx analysierte. Ein möglicher Weg aus der Krise könne „Green Growth“ sein – ein Konzept, das auf die Veränderung politischer Rahmenbedingungen setzt und die Reduktion von Armut mit ökologischer Nachhaltigkeit verbindet.

Die mittlerweile viel diskutierte Krise der liberalen Weltordnung nannte der Politikwissenschaftler Christopher Daase vom Exzellenzcluster zwar „homemade“, es sei aber kurzsichtig, allein Trump oder die Brexit-Anhänger dafür verantwortlich zu machen. Am Beispiel Trumps – auch Daase nannte ihn ein Symptom und nicht die Ursache – zeigte der Experte für Internationale Beziehungen, dass es durchaus Traditionslinien zwischen einer früheren amerikanischen Außen- und Sicherheitspolitik und dem Handeln des aktuellen Präsidenten gebe. Trump habe, so Daase, vorhandene Trends „radikalisiert“.

Unterdessen erhalten Elemente der von innen unter Druck geratenen liberalen Weltordnung „von außen“ Zustimmung. Darauf machte Stefan Kroll aufmerksam, Politikwissenschaftler und Cluster-Postdoktorand. Kroll nannte als Beispiel das Votum Chinas für einen freien Welthandel – wie glaubwürdig das auch immer sein möge. Vivienne Jabri, Professorin für Internationale Politik am Londoner King’s College, sprach aus postkolonialer Perspektive von einer „Krise des Euro zentrismus“, der trotzdem fortfahre, sich zum Maßstab der internationalen Beziehungen zu machen.

Auf den Jahreskonferenzen diskutieren Mitglieder des Exzellenzclusters mit Gästen aus dem In- und Ausland. Auf den Podien saßen von Seiten des Clusters auch deren Geschäftsführerin Rebecca Caroline Schmidt und der Jurist Stefan Kadelbach, die jeweils ein Panel leiteten. Hinzu kam der Historiker Bernhard Jussen, der in seinem Beitrag dafür warb, bisherige Epocheneinteilungen und vermeintliche Zäsuren zu überdenken und sich dabei nicht nur an schriftlichen Zeugnissen zu orientieren, sondern auch an visuellen Medien. Judith Blume – vormals beim Cluster, jetzt an der Uni Göttingen – ging diesen Weg mit Bezug auf die „Stunde null“. Die Historikerin verglich Motive von Sammelbildern, wie sie vor und nach dem Zweiten Weltkrieg Markenprodukten beigelegt wurden. Der „Führer privat“ verschwand, die romantischen Landschaften blieben.

Chris Hann, Brite und Gründungsdirektor des Max-Planck-Instituts für ethnologische Forschung in Halle (Saale), schlug einen großen Bogen von der Bronzezeit ins Kapitalozän, demjenigen Erdzeitalter, das von der kapitalistischen Wirtschaftsweise geprägt ist, deren Maßlosigkeit als eigentliche Ursache des Klimawandels gilt. Hann analysierte die Entwicklung nicht nur von Europa ausgehend, sondern blickte auf „Eurasien“ als historischem Wirtschaftsraum mit zahlreichen Interdependenzen. Dieser Zugang trägt zu einem differenzierteren Verständnis bei. An der Diagnose ändert er nichts: Auf Hanns letzter Präsentationsfolie stand: „Planet in Crisis!“

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Detaillierte Informationen, Nachberichte, Fotos und Videomitschnitte: www.normativeorders.net/jahreskonferenz

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Dieser Artikel ist in der Ausgabe 1.18 (PDF-Download) des UniReport erschienen.

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