Alte Handschriften des Geheimrats transkribieren, in einen Kontext stellen und daraus eine spannende Ausstellung im Goethe-Haus machen: Das können auch Studierende.
Man muss sie nur lassen, dachten sich die Direktorin des Goethe-Hauses in Frankfurt, Prof. Dr. Anne Bohnenkamp-Renken, die gleichzeitig Professorin an der Goethe-Uni ist, und der Leiter der Handschriften-Abteilung, Dr. Konrad Heumann. Sie haben die Arbeitsabläufe eines Kurators von der Auswahl der Exponate bis zur Konzeption und Bekanntmachung einer Ausstellung zum Inhalt eines einjährigen Seminars im Fachbereich Germanistik gemacht und 13 Studierende dabei intensiv begleitet.
„Diese Veranstaltung geht über ein klassisches Seminar hinaus. Überlegen Sie sich gut, ob Sie das möchten“, habe die Professorin am Anfang zu den Anwesenden gesagt, erinnert sich Teilnehmerin Isabel Spigarelli, die einen Bachelor in Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft hat und ab dem Wintersemester den neuen Masterstudiengang Comparative Literature belegt. Dass der Umgang mit alten Handschriften ihr Spaß machen würde, davon war sie zu Anfang nicht hundertprozentig überzeugt.
Aber als sie im Archiv des Goethe-Hauses weitgehend unbekannte Originale in den Händen hielt, die der weltberühmte Dichter Johann Wolfgang von Goethe vor mindestens 183 Jahren einmal höchstpersönlich mit seiner Feder beschrieben hat, da habe sie doch eine gewisse Ehrfurcht befallen. „Ausgehend von einem durch die Handschrift gesetzten Punkt, muss man sich den jeweiligen historischen Horizont stets neu erarbeiten. Das kann mitunter ganz schön knifflig sein, lässt einen aber eine Perspektive einnehmen, aus der man die Dinge, historischen Ereignisse, Personen sicherlich noch nicht betrachtet hat“, beschreibt es der Lehramtsstudierende Yannick Hohmann-Huet. Er lobt die tolle Unterstützung durch viele Einzelgespräche mit den Mitarbeitern des Goethe-Hauses.
»Goethe und ich sind jetzt gute Freunde«
In den letzten Jahren konnte der Freie Deutsche Hochstift, der als eines der ältesten Kulturinstitute Deutschlands und gemeinnützige Forschungseinrichtung Betreiber des Goethe-Hauses ist, mit Hilfe der Erich und Amanda Kress-Stiftung für seine Sammlung kostbare Drucke, Kunstwerke und fast 100 originale Handschriften ankaufen. „Teilweise tauchen sie zufällig auf Flohmärkten auf, so dass die Blätter nicht immer in gutem Zustand sind“, weiß Spigarelli. „Ich habe mich für kleine Grußkärtchen entschieden, die Goethe Geschenken beifügte.
Das war eine Spezialität von ihm.“ Ihre Kommilitonen wählten andere Textgattungen: Briefe, Notizen zu Theaterstücken, Skripte zu Gedichten, dem west-östlichen Divan, aber auch Verwaltungsschreiben, die der Dichter in seiner Funktion als Geheimrat verfasste. „Damit lernten wir neue Facetten seines Wirkens kennen“, sagt Isabel Spigarelli. „ Goethe und ich, wir sind jetzt gute Freunde“, lacht sie, „denn was wir alle gemeinsam über ihn erfahren haben, das geht über das Allgemeinwissen und Faust im Abitur weit hinaus.“
So recherchierte jeder Teilnehmer die persönlichen und historischen Hintergründe zu seinem Schriftstück, „wir haben unter anderem Kontakt zur Goethe-Gesellschaft in Weimar aufgenommen“, und stellte sie den anderen vor. Dann ging es darum, Verbindungen zwischen den Dokumenten herzustellen, um einen roten Faden für die Ausstellung zu finden. Bei der Entwicklung der Präsentationsidee haben die Studierenden eng mit der Firma Sounds of Silence zusammengearbeitet, die für den visuellen Part der Ausstellung verantwortlich ist.
Ergebnis: Analog zum „Unboxing“ in Youtube-Filmen soll die Freude am Auspacken der Exponate im Mittelpunkt stehen. Deshalb werden die Besucher nicht auf Handschriften, sondern Kisten stoßen und selbst aktiv werden, um sich die Ausstellung zu erschließen. „Wir haben die Schau so konzipiert, dass sie möglichst viele Menschen ansprechen kann – vom vollkommenen Laien bis zum größten Experten“, beschreibt Yannick Hohmann- Huet das Konzept. Bis die Ausstellung am 29. August eröffnet wird, bleibt noch einiges zu tun:
Katalogtexte müssen geschrieben werden, Pressearbeit und Social Media möglichst viele Besucher anlocken. „Wir werden als Kuratoren sehr ernst genommen und sammeln dadurch echte Berufserfahrung“, lautet Isabel Spigarellis rundum positives Resümee. „Es ist sehr schön, einfach mal machen zu können und dabei zu erleben, welche Fragen und Probleme so eine Ausstellung aufwirft.“ Bei bisherigen Praktika in Museen sei ihr Handlungsspielraum viel eingeschränkter gewesen.
„Für uns ist es eine Premiere, dass wir Studierenden eine seriöse wissenschaftliche Ausstellung in unserem Haus anvertrauen“, sagt Dr. Konrad Heumann vom Goethe-Haus. „Natürlich war das mit einem beträchtlichen Aufwand verbunden.“ Er und seine Kollegen seien aber ungemein interessiert an der Sichtweise und den Ideen der jungen Generation. „Wir möchten Studierenden unbedingt die Schwellenangst vor dem Goethe-Haus nehmen.“ Auch im Hinblick auf das geplante Romantikmuseum kann er sich gut weitere Projekte vorstellen, bei denen Studierende selbst alte Schätze heben und auf frische Art und Weise einer Öffentlichkeit präsentieren. [Autorin: Julia Wittenhagen]
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„Unboxing Goethe“
29.8. bis 18.10.2015 im Arkadensaal des Goethe-Hauses.
Eintritt für Studierende: 3 Euro.
www.goethehaus-frankfurt.de
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