Goethe-Vigoni Discorsi: Essay von Carlo Vassallo, Region Manager, Ferrero Deutschland

Ein Beitrag von Carlo Vassalo


Alles zu selbstverständlich?

Covid-19 hat uns eine neue Zeitrechnung gelehrt: vor Corona, während Corona, nach Corona. Wie kann es sein, dass ein unsichtbares Virus die Welt erst zum Innehalten bringt und zu guter Letzt in die Knie zwingt? Alle Systeme wurden heruntergefahren – und das in nahezu weltweiter Gleichzeitigkeit. Geschäfte und Restaurants wurden geschlossen, Schulen und Kitas ebenso, Veranstaltungen, Messen, Konzerte und Events abgesagt, Gotteshäuser blieben zu und Flieger stehen auf dem Boden. Das Virus reist dabei ungebremst durch die Welt und breitet sich immer weiter aus. Dieses extreme Tempo und die rasante Ausbreitung rund um den Globus versetzen die Welt in Panik und erinnern uns einmal mehr daran, wie eng alles miteinander vernetzt ist und wie sehr wir voneinander abhängig sind. 

In einem international aufgestellten und agierenden Unternehmen wie Ferrero nimmt man diese Vernetzung als etwas sehr Positives wahr, da sie einem Unternehmen ein Füllhorn an Optionen zur Verfügung stellt. Gleich, ob es um den Einkauf von Rohstoffen von anderen Kontinenten geht, um Produktion an einem Standort für mehrere Länder, um international ausgespielte Medialeistungen, um verschiedene globale Teams – die enge Vernetzung schafft Möglichkeiten, die wir alle permanent in Anspruch nehmen, aber vielleicht auch zu lange als selbstverständlich betrachtet haben. Warum auch nicht, denn nie wurden uns Grenzen aufgezeigt – im eigentlichen wie im übertragenen Sinn. 

Risse im gesellschaftlichen System 

Doch Corona hat Risse im System offenbart. Risse, die möglicherweise schon vorhanden gewesen sind, aber so fein waren, dass sie nicht wahrgenommen wurden. Risse zum Beispiel zwischen Alt und Jung, zwischen gesund und fragil, zwischen arm und reich. Beklagt werden mangelnde Toleranz auf der einen Seite und fehlende Rücksichtnahme auf der anderen Seite. Schwache Positionen werden weiter abgeschwächt, starke verstärkt. Diese Zweiteilung findet sich in unserer Gesellschaft wieder, aber auch in der EU-Staatengemeinschaft. Denn die 27 EU-Staaten haben gleich zu Beginn der Corona-Krise in nationalen Krisenmodus umgeschaltet. Jeder war sich selbst der nächste. Alles, um die Pandemie im eigenen Land möglichst klein zu halten und den wirtschaftlichen Schaden zu begrenzen. Ein solches Verhalten der Länderregierungen ist zwar menschlich und nachvollziehbar, aber für den europäischen Gedanken nicht zielführend. 

Es hat uns aber erneut gezeigt, dass die EU kein einzelnes Land ist, sondern eine Vielstaatengemeinschaft, die es irgendwie schaffen muss, die in einer solchen Krise viel stärker wahrnehmbaren unterschiedlichen Interessen unter einen Hut zu bringen und Ungleichheiten gegenzusteuern. Dabei geht es nicht nur, aber ganz entscheidend um wirtschaftliche Interesse, um angemessene Forderungen und bereitwillige Verteilung. Denn die Rezession ist schon jetzt in ganz Europa deutlich spürbar. Und eines ist gewiss: sie wird überall über weitere Jahre hinweg deutliche Spuren hinterlassen. Dabei hat die Krise einige Staaten viel schlimmer getroffen als andere und damit steht der Zusammenhalt innerhalb der EU auf dem Spiel. 

Einigkeit trotz Unterschiedlichkeit

Die entscheidende Frage dabei ist: Wie schafft es die EU, die massive, durch Corona entstandene Rezession abzufedern? Wie lässt sich verhindern, dass dabei Staaten, die besonders hart betroffen sind, ökonomisch in die wirtschaftliche Abwärtsspirale geraten? Allen Beteiligten ist klar, dass dies kein leichtes Unterfangen ist. Aber es ist auch klar, dass es keinen anderen Weg gibt, als die zu stützen, die in Not sind – um Wohlstand und Sicherheit in der EU für alle weiterhin zu gewährleisten. EU-Ratspräsident Charles Michel hat dies in einem Kernsatz klar gemacht: „Wie gut es einem einzelnen Staat in Europa geht, hängt davon ab, wie gut es der EU als Ganzes geht.“ Es ist also eine Frage des Solidarprinzips und es geht um eine annähernd gerechte Verteilung der Schuldenlast, damit alle Europäer in einem gesunden System und angemessenem Wohlstand leben können. Einigkeit unter 27 Staaten zu erreichen, ist eine Herkulesaufgabe – ganz besonders, wenn es um viel Geld geht. Wen wundert es daher, dass ein intensiver Diskurs um die angemessene Verteilung von Fördergeldern und Schuldenlast entstanden ist. Am Ende kann sich aber das Ergebnis dieses intensiven Entscheidungs- und Diskussionsprozesses sehen lassen. Man hat einen europäischen Haushalt mit einem 750 Milliarden Euro schweren Wiederaufbau-Programm erarbeitet und diesem schlussendlich zugestimmt. Ein Paket, das jetzt erstmalig mit gemeinsamen Schulden finanziert werden soll. Das ist sicher historisch zu nennen. Von dem Aufbauprogramm sollen die von der Pandemie am stärksten betroffenen Staaten am stärksten profitieren. 

Programme und Projekte zu den Themen Klimaschutz, Digitalisierung und Zukunftstechnologie

Von dem verabschiedeten 750 Milliarden-Corona-Hilfspaket hat die EU-Behörde für Italien rund 173 Milliarden Euro als Zuwendungen und Kredite für Programme und Projekte vorgeschlagen, die sich auf die Themen Klimaschutz, Digitalisierung und Zukunftstechnologie fokussieren. Italien ist sich sehr wohl der großen Aufgabe bewusst und hat den festen Willen, die Probleme aktiv anzugehen und moderne Konzepte zu erarbeiten und notwendige Reformen durchzuführen. Regierungschef Giuseppe Conte hat zugesagt, bedeutende, seit Jahren anstehende Reformen durchzuführen und zusätzlich unterstrichen: „Jetzt haben wir die Finanzierung, um dies zu tun, der europäische Rahmen erlaubt uns das. Diese Gelegenheit dürfen wir nicht verspielen.“

Liebesbeziehung in der Krise?

Italien und Deutschland, das ist eine Liebesbeziehung, die von sehr unterschiedlichen Partnern getragen wird. Schon allein deshalb müssen beide Partner immer wieder an ihrer Beziehung arbeiten. Aufgrund dieser engen Beziehung zwischen den beiden Ländern verwundert es nicht, dass Deutschland und Italien auch wirtschaftlich eng miteinander verzahnt sind. Italien wie Deutschland sind traditionell sehr export-orientiert. Deutschland ist eines der führenden Importländer von italienischen Erzeugnissen. Vielfältigste landwirtschaftliche Erzeugnisse, Mode, Komponenten, Zubehörteile, Möbel werden aus Italien importiert. Italien dagegen kauft von Deutschland vor allem chemische Erzeugnisse, Autos, Maschinen, Zubehör und Elektrotechnik. In den Monaten Januar – April 2020 hat Deutschland Waren im Wert von 19,813 Mrd. Euro nach Italien exportiert (-15,3 % vs 1-4/2019) und Italien hat im selben Zeitraum Waren von 17,228 Mrd. Euro (-9,7 % vs 1-4/2019) an Deutschland verkauft. (Quelle: Statistisches Bundesamt (Destatis) 2020 09.06.2020). Diese Zahlen allein zeugen davon, dass sich beide Länder zumindest wirtschaftlich gegenseitig brauchen – und das ist auch gut so. Aber auch ansonsten zählt Italien nach wie vor zu den Sehnsuchtsorten und präferierten Urlaubszielen der Deutschen. Und viele Italiener haben sich Deutschland als neue Wahlheimat ausgesucht, in der sie arbeiten und leben, sehr oft sogar bereits seit Generationen.

Deutschland und Italien doch ein Dream Team?

Und auch ich bin Teil dieser deutsch-italienischen Verbindung. Ich lebe und arbeite jetzt seit zehn Jahren in Deutschland. Ich bin im Herzen Italiener und verstehe mich selbst als weltoffenen Kosmopoliten. Ich kann mich in jedes Land, in jede Nationalität hineinversetzen – vielleicht schmerzt es daher ungleich mehr. Jeden Tag sehe ich die erschreckenden Zahlen und es scheint immer noch kein Ende in Sicht. Jeder einzelne Fall ist einer zu viel. Doch es scheint, dass die Länder sehr unterschiedlich durch die Pandemie kommen. Ich bin weder Wissenschaftler noch Mediziner, um mich hier an eine Analyse der Gründe zu wagen. Festzustellen ist, dass wir in Deutschland recht gut durch die Krise gekommen sind, Italien aber (als erstes betroffenes Land in Europa) ungleich härter getroffen wurde. Auf beiden Seiten ist großer wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und sozialer Schaden entstanden, doch die Ausgangsvoraussetzungen zur Bewältigung sind sehr unterschiedlich. 

Wir können mit dem deutschen Geschäft, für das ich verantwortlich zeichne, sehr zufrieden sein. Als Teil der systemrelevanten Infrastruktur konnten wir – mit einigen Einschränkungen und verschiedenen auch baulichen Veränderungen in Bezug auf Abstands- und Hygieneregeln – weiter produzieren und unsere Kunden bedarfsgerecht beliefern. Um die Gesundheit unserer Mitarbeiter zu gewährleisten, haben wir unser Werk in Stadtallendorf komplett restrukturiert. So haben wir zum Beispiel neue, zusätzliche Umkleideräume geschaffen, wir haben eine weitere Werkskantine errichtet und die Wegeführung auf unserem Areal vollständig umgestaltet und den Buspendeldienst neu organisiert. Denn die Gesundheit und Sicherheit unserer Mitarbeiter haben für mich wie für das gesamte Ferrero Management absolute Priorität. Denn nur so erreichen wir, die Gesundheit unserer Mitarbeiter, all unserer Familien sowie der Gemeinschaft, in der wir agieren, sicherzustellen. 

Darüber hinaus haben sich unsere Konsumenten, die Fans unserer Marken, mit unseren Produkten die ein oder andere kleine Auszeit von Home Schooling, Home Office, Home Cooking und Home Staying gegönnt, wenn sie wie wir alle wieder einmal einen langen Abend zu Hause verbringen mussten. 

Und nicht zu vergessen unsere fantastischen Mitarbeiter, die uns in dieser schweren Zeit bestens unterstützt haben. Ihre Loyalität, ihr volles Commitment und das uns geschenkte Vertrauen ist in einer solchen Krise entscheidend. Diese Kernwerte der Ferrero-Familie sind seit Firmengründung vor mehr als 70 Jahren in unserer DNA und unsere wirkliche Stärke. Ein Unternehmen kann durch eine solche Zeit nur dann gut durchkommen und ein solch gutes Ergebnis erzielen, wenn die Mitarbeiter mit vollem Einsatz und Engagement dabeibleiben – trotz familiärer Herausforderungen rund um Kinderbetreuung oder auch den eigenen Ängsten, die bei einer Pandemie solchen Ausmaßes verständlich sind. 

Aber auch im Ferrero-Unternehmensverbund sind wir sehr unterschiedlich durch die Krise gekommen. In den Ferrero-Ländern, die besonders von der Corona-Krise betroffen sind, spiegelt sich das entsprechend im Business wider. Jetzt sind wir alle gefordert und werden auch als Ferrero Deutschland mit dazu beitragen, dass die gesamte Ferrero Group die Krise intakt übersteht – noch gestärkter in unserem Fundament, damit wir in eine strahlende Zukunft für „la grande Famiglia Ferrero“ blicken können.

Carlo Vassallo (Region Manager, Ferrero Deutschland), Juni 2020


Dieser Artikel erscheint in der Reihe Goethe-Vigoni Discorsi.

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