Diamanten zeugen davon, wie sich unser Planet vor Milliarden Jahren gewandelt hat
Während die Lava bei einem Ausbruch des Ätnas eher aus dem Krater überfließt, schoss das Magma bei den seltenen, sogenannten kimberlitischen Eruptionen in der geologischen Vergangenheit wohl mit bis zu 250 Kilometern pro Stunde nach oben und riss dabei Diamanten aus großer Tiefe mit sich.
Vor mehr als vier Milliarden Jahren prägten heiße Magma-Ozeane die Oberfläche der Erde. Als die Erde allmählich abkühlte, bildeten sich an manchen Stellen Krusten, später die ersten Kontinente. Die Geowissenschaftlerin Dr. Sonja Aulbach erforscht die damals ablaufenden Prozesse anhand spezieller Gesteinsproben und mit hochmoderner Analysetechnik.
Wenn besonders reine, große und berühmte Diamanten den Besitzer wechseln, muss der Käufer üblicherweise mehrere zehn Millionen Euro überweisen. Und Diamantschmuck steht als glitzernder Blickfang hoch im Kurs. Da verblüfft es, wenn eine Frau sagt: »Das eigentlich Wertvolle an Diamanten sind ihre mineralischen Einschlüsse.« Ausgerechnet die Verunreinigungen, die den in Geld aufgewogenen Wert eines Diamanten deutlich mindern?
Sonja Aulbach, von der die Worte stammen, sieht die Edelsteine eben mit den Augen einer Forscherin. Und wie die Wissenschaft auf Diamanten und die darin eingeschlossenen Mineralien blickt, lässt sich dem Vorwort eines aktuellen wissenschaftlichen Bandes entnehmen, der gewaltige 845 Seiten umfasst: Die Einschlüsse sind demnach »Botschafter aus einer anderen Zeit und von einem anderen Ort«, ähnlich wie es »Mondgestein, einzigartige Meteoriten, Proben von Kometenvorbeiflügen oder Asteroidenlandungen« sind. Die Einschlüsse liefern Informationen, »die wir auf keinem anderen Weg erhalten werden« von der Vergangenheit »des dynamischsten und aktivsten Gesteinsplaneten unseres Sonnensystems, unserer Erde«. Sonja Aulbach vom Institut für Geowissenschaften der Goethe-Universität gehört zu den Autorinnen und Autoren dieses Übersichtsbandes, in den auch ihre eigenen Forschungsergebnisse eingeflossen sind.
In Edelsteinqualität kommen Diamanten nur in bestimmten Kernregionen der Kontinente vor, in denen es keine Erdbeben gibt. Solche Regionen werden von Geowissenschaftlern als Kratone bezeichnet. Und innerhalb dieser Kratone treten sie nur in einem bestimmten magmatischen Gestein namens Kimberlit auf. Die Frage, warum die Vorkommen von Diamanten und kratonischen Kimberliten eng miteinander verknüpft sind, ist der Ausgangspunkt für viele Erkenntnisse über die Kindheit der Erde.
Aus Laborexperimenten ist bekannt, dass zur Erzeugung von Diamanten aus Kohlenstoff bei einer Temperatur von 950 bis 1400 Grad Celsius ein Druck nötig ist, der mindestens 40 000-mal so hoch ist wie der Luftdruck. Solche Verhältnisse herrschen auch heute in mehr als 100 Kilometern Tiefe im Gestein des sogenannten oberen Erdmantels. Allerdings darf dort nur wenig Sauerstoff vorhanden sein, damit nicht anstatt der edlen Steine Kohlendioxid (CO2) entsteht. Zudem ist in dieser Tiefe nur jedes 10 000ste Atom eines aus Kohlenstoff, sodass die Bildung von Diamanten dort eher die Ausnahme ist. Selbst wenn sie dort häufiger stattfinden würde, kämen Diamantsucher nicht an die Edelsteine ran: Kein Bohrgerät ist bislang tiefer als zwölf Kilometer ins Erdinnere vorgedrungen.
AUF DEN PUNKT GEBRACHT
- Einschlüsse in Diamanten verraten, dass diese vor bis zu 3,5 Milliarden Jahren entstanden sind. Damit sind sie viel älter als das explosive Magma, mit dem sie an die Oberfläche gelangten.
- Analysen zufolge gab es vor drei Milliarden Jahren bereits Land über dem Meeresspiegel und eine Art Kohlenstoffkreislauf, der wichtig für die Entstehung von Leben war.
- Bei hohem Sauerstoffgehalt im obersten Erdmantel wird Diamant zu Kohlendioxid umgewandelt, das mit Magmen in die Atmosphäre gelangt.
Das Alter bestimmen
Um in Minen gefundene Diamanten als Zeugen früherer Epochen der Erdgeschichte verwenden zu können, muss man ihrer Entstehung einen Zeitpunkt zuweisen. Dazu nutzen Geowissenschaftler aus, dass einige chemische Elemente auch in instabilen radioaktiven Varianten – den radioaktiven Isotopen – vorkommen. Diese zerfallen mit einer gewissen Geschwindigkeit zu Isotopen anderer Elemente, die als Tochterisotope bezeichnet werden. So weiß man beispielsweise, dass vom Mutterisotop Samarium-147 nach 106 Milliarden Jahren noch die Hälfte der ursprünglichen Menge vorhanden ist, weil aus der anderen Hälfte das Tochterisotop Neodym-143 entstanden ist. Mit der Kenntnis der Zerfallsgeschwindigkeit lässt sich somit aus den heutigen Isotopenverhältnissen das Alter eines Gesteins berechnen.
Messen lässt sich die Isotopenzusammensetzung eines Gesteins mithilfe von Massenspektrometern, denn Isotope unterscheiden sich in ihrer Masse. »Ich habe Zugang zu den hochmodernen Geräten des Frankfurt Isotope and Element Research Center (FIERCE)«, sagt Aulbach, die ihrer Forschung mithilfe eines Heisenberg-Stipendiums der Deutschen Forschungsgemeinschaft nachgeht.
Die mineralischen Einschlüsse in diesen nur drei bis vier Millimeter großen Diamanten verraten deren Alter und lassen Rückschlüsse zu auf die Entwicklung der großen Gesteinsplatten der Erde.
Entsprechende Datierungen von Geowissenschaftlern weltweit zeigen, dass sich die bisher gefundenen Kimberlite bis auf wenige Ausnahmen vor höchstens 550 Millionen Jahren gebildet haben.
Die direkte Altersbestimmung reiner Diamanten im Kimberlit ist unmöglich, da sie vollständig aus Kohlenstoff bestehen, von dem es kein genügend langsam zerfallendes Isotop gibt. Hier nun kommen die Einschlüsse in den Diamanten ins Spiel: »Sie enthalten geeignete Isotope«, sagt Aulbach, die an solchen Datierungen beteiligt war. Demnach sind die Einschlüsse je nach Fundort der Diamanten bis zu 3,5 Milliarden Jahre alt. Die Diamanten mitsamt ihren Einschlüssen sind also zumeist wesentlich älter als der sie umgebende Kimberlit.
Diamanten können nur in Tiefen jenseits von etwa 140 Kilometern entstehen (weiße Punkte). Wegen der höheren Temperatur und des größeren chemischen Potenzials von Sauerstoff im konvektierenden Mantel (olivgrün) oxidieren die Diamanten zu CO2 (gelbe Punkte). Daher kommen Diamanten bevorzugt in alten Kontinentalkernen vor (Kratone), die eine dicke und kalte Lithosphäre besitzen.
An die Oberfläche gelangen diese Diamanten durch sogenannte kimberlitische Eruptionen: Warmes und chemisch angereichertes Mantelmaterial (Plumes) steigt in festem Zustand auf bis unter die Lithosphäre, wo es aufgrund von Druckentlastung gewisse Mengen an flüssigem Magma bildet (Kimberlitschmelze). Gase wie Kohlendioxid und Wasserdampf sorgen dafür, dass das Magma mit Geschwindigkeiten von bis zu 250 Kilometern pro Stunde in schmalen Schloten (Pipes) hochschießt und in einer vulkanischen Eruption ausgeschleudert wird. Beim Aufstieg reißt es Bruchstücke von Fremdgestein (Xenolithe) sowie Diamanten mit sich. Weil dies sehr schnell geschieht, oxidieren nicht alle dieser Diamanten und können am Rand der Pipe abgelagert werden. Viele der heute aktiven Vulkane befinden sich an Grenzen tektonischer Platten, wo eine Platte unter eine andere abtaucht (links). Das in der abtauchenden Platte enthaltene Wasser wird unter dem zunehmenden Druck so stark erhitzt, dass es Gesteine zum Schmelzen bringt. Das Magma steigt auf und bildet eine Kammer, die einen Vulkan speist.
An der Grenze vom oberen Teil des Erdmantels (olivgrün) zur Mantel-Übergangszone (hellgrün und bläulich) und von dort zum unteren Erdmantel (dunkelrot) ändert sich – bei gleicher chemischer Zusammensetzung – das Gestein (Mineralogie) und damit dessen Fließfähigkeit und Dichte.
(Grafik nicht maßstabsgetreu)
Aus einer Tiefe von 200 Kilometern
Dies ist ein entscheidendes Indiz für die folgende allgemein akzeptierte geowissenschaftliche Theorie: Im Phanerozoikum, das den Zeitraum von 540 Millionen Jahren bis heute umfasst, stieg bei speziellen seltenen und explosiven vulkanischen Ausbrüchen Magma aus einer Tiefe von mehr als 200 Kilometern auf. Diese kimberlitischen Eruptionen brachen die feste und starre obere Schicht der Erde – die Lithosphäre – auf. Die Lithosphäre ist bei Kontinentalkernen besonders dick und nimmt nicht an den Umwälzungen im festen Erdmantel, der Mantelkonvektion, teil. Während der kimberlitischen Eruptionen riss das Magma Diamanten und andere Gesteinsmaterialien aus dem tiefen Erdmantel – Xenolithe – mit, die dort vor mehr als eine Milliarde Jahre entstanden sind. »Die Natur hat somit für uns Forschende gearbeitet und etwas zutage gefördert, was wir ansonsten nicht erschließen könnten«, begeistert sich Sonja Aulbach.
Die Xenolithe wurden nach ihrer Bildung im Erdmantel durch die dort ablaufenden Prozesse verändert. »Währenddessen befanden sich die vergleichbaren mineralischen Einschlüsse in einem nahezu perfekten Behälter, dem Diamant«, sagt Sonja Aulbach. Damit ergeben sich aus dem Vergleich zwischen Xenolithen und Diamanteinschlüssen wichtige Anhaltspunkte, wie sich die Lithosphäre über Hunderte Millionen Jahre entwickelt hat.
Um aus der Kenntnis der chemischen Zusammensetzung und der Isotopenverhältnisse von Gesteinen ein frühes Bild der Erde zu erhalten, benötigt man ein grundlegendes Verständnis davon, wie sich die chemischen Elemente im Gestein bei dessen Aufschmelzen, Erkalten, bei Druckänderungen und Transportprozessen umverteilen. Zu diesem Verständnis tragen zum einen Laborversuche bei, in denen das Verhalten von Stoffen bei hohem Druck und verschiedenen Temperaturen untersucht wird. Zum anderen helfen Computersimulationen, die Prozesse nachzuvollziehen. »Dabei nähern wir Geowissenschaftler uns der frühen Erde aus zwei Richtungen: Von den Anfängen des Sonnensystems her, über das uns Meteoriten viel verraten. Oder von der heutigen Erde her, die aus Kruste, Mantel und Kern besteht und in der sich durch Differenziationsprozesse viele verschiedene Gesteine gebildet haben«, erläutert Aulbach. Diese Prozesse gelte es zu erkennen und zurückzuverfolgen.
Vom Magmaozean zu den Kontinenten
Trotz aller wissenschaftlichen Fortschritte bleibt das Bild der Erde zwischen ihrer Entstehung vor 4,567 Milliarden Jahren – ein Alter, das sich aus Meteoritenfunden ergibt – und der Zeit vor rund eine Milliarde Jahren noch unscharf. Klar ist, dass sich am Anfang der metallische Erdkern gebildet hat, der von einem Ozean flüssigen, silikathaltigen Magmas umgeben war. Denn die Erde war sehr viel energiereicher und damit heißer als heute – die Folge unter anderem von hoher Radioaktivität und Meteoritenbeschuss. Eine allmähliche Abkühlung führte dann vor mindestens vier Milliarden Jahren stellenweise zur Bildung einer festen Kruste, auch wenn weiterhin zähflüssige Magmaströme vorherrschend waren. Diese Kruste schmolz dann teilweise wieder, während an anderen Stellen neue Kruste auskristallisierte. Bei jedem dieser Vorgänge verteilten sich die chemischen Elemente neu: Manche verblieben im Mantel, manche reicherten sich unter anderem aufgrund der Größe ihrer Ionen im flüssigen Magma an, aus dem sich die Kruste bildete.
Vor 4,02 Milliarden Jahren entstand das erste Gestein, das bis heute überlebt hat, und vor rund 3,5 Milliarden Jahren bildeten sich die ersten Kontinentalkerne. »Wann genau dann die Plattentektonik einsetzte, also Lithosphärenplatten begannen, sich auf dem Erdmantel zu bewegen, ist umstritten«, sagt Aulbach. »Unsere Ergebnisse weisen jedenfalls darauf hin, dass es vor drei Milliarden Jahren die Plattentektonik gab und dass sich zu diesem Zeitpunkt bereits Teile der frühen kontinentalen Platten über den Meeresspiegel erhoben. Damit waren sie der Verwitterung ausgesetzt, mit weitreichenden Konsequenzen für die Stoffkreisläufe und die Entwicklung des Lebens.«
Wo einst hochexplosive Eruptionen Diamanten aus der Tiefe in obere Regionen der Erdkruste bewegten, werden sie heute in Minen wie zum Beispiel in Koidu-Sefadu im afrikanischen Sierra Leone abgebaut.
Zusammenhang zwischen Erdmantel und Atmosphäre
Für die Entstehung des Lebens auf der Erde bedeutsam ist auch das Schicksal des Elements Kohlenstoff im Laufe der Jahrmilliarden. Damit will sich die Geowissenschaftlerin künftig verstärkt beschäftigen. Bereits nachgewiesen hat sie, dass es schon vor drei Milliarden Jahren eine Art Kreislauf gab, bei dem Kohlenstoff von der ozeanischen Kruste zumindest bis in 150 Kilometer Tiefe gelangte. Dort kristallisierte der Kohlenstoff zu Diamant, der dann an den Umwälzungsprozessen des Mantels teilnahm und beim langsamen Transport nach oben oxidiert wurde. Bei diesem auch heute stattfindenden Prozess bildet sich wiederum CO2, das dann durch Magmenbildung und Vulkanismus in die Atmosphäre ausgestoßen wird.
Daher betrachtet Geowissenschaftlerin Sonja Aulbach Diamanten nicht nur hinsichtlich ihres Wertes mit anderen Augen als die meisten Menschen. Dem berühmten Werbeslogan des Diamantenhändlers De Beers »Ein Diamant ist unvergänglich« hält sie entgegen: »Nach jetzigem Kenntnisstand könnte man durchaus argumentieren: Das Kohlendioxid, das manche Vulkane heute ausgasen, stammt aus verbrannten Diamanten.«
Zur Person
Sonja Aulbach studierte Geologie an der Goethe-Universität und promovierte 2005 an der Macquarie University in Australien. Nach Postdoc-Aufenthalten in den USA und Kanada kehrte sie 2009 an die Goethe-Universität zurück, wo sie seitdem in der Facheinheit Mineralogie am Institut für Geowissenschaften forscht. Seit 2022 ist sie Heisenberg-Stipendiatin mit dem Projekt »Kruste-Mantel-Entwicklung und Volatilzyklen des Erdinnern im Verlauf der Zeit«.
Der Autor:
Frank Frick, promovierter Chemiker, arbeitet seit rund 25 Jahren als freier Wissenschaftsjournalist. Er schreibt für Zeitschriften, Forschungseinrichtungen und forschende Unternehmen. Er lebt in Bornheim bei Bonn.