Als das Universum die Größe einer Melone hatte

Ulrich Heinz

Humboldt-Forschungspreis bringt Theoretiker Ulrich Heinz nach Frankfurt zurück.

Als an der Ohio State University Anfang Mai die Semesterferien begannen, packte Ulrich Heinz seine Koffer, um fast vierzig Jahre nach dem Ende seiner Doktorarbeit an die Goethe-Universität zurückzukehren. Hier realisiert er mit seinem Humboldt-Forschungspreis über 60 000 Euro ein Projekt in der Theoretischen Physik. Sein Gastgeber ist Prof. Dirk Rischke, mit dem er schon seit vielen Jahren quer über den Atlantik zusammenarbeitet.

Mit dem Humboldt-Forschungspreis zeichnet die Humboldt-Stiftung Forscher aus, deren grundlegende Entdeckungen, Erkenntnisse oder neue Theorien das eigene Fachgebiet nachhaltig geprägt haben und von denen auch in der Zukunft weitere Spitzenleistungen erwartet werden können. Ulrich Heinz ist einer der weltweit wichtigsten Theoretiker auf dem Gebiet des Quark-Gluon- Plasmas – jener extrem dichten und extrem heißen Form der Materie, aus der das gesamte Universum kurz nach dem Urknall hervorgegangen ist.

„Heute sehen wir die Asche, in die dieser Feuerball zerfallen ist“, erklärt der Physik-Professor. Alle Materie steckte wenige Millisekunden nach dem Urknall zusammengepresst in einer vierdimensionalen Kugel mit einem Durchmesser von schätzungsweise zehn bis hundert Zentimetern (d. h. irgendwo zwischen einem Apfel und einer Wassermelone). Die Materie darin war so dicht, dass Quarks – die elementaren Bausteine der Materie – und ihre „Klebeteilchen“, die Gluonen, in Form einer nahezu perfekten Flüssigkeit vorlagen.

Als Ulrich Heinz 1980 an der Goethe-Universität bei dem Theoretiker Walter Greiner promoviert wurde, hatte er noch nicht viel vom Quark-Gluon-Plasma gehört. Aber gegen Ende seines Studiums erfuhr er davon, als er bei einer Winterschule in Schladming die Quantenfeldtheorie kennenlernte. Insbesondere faszinierte ihn die Quantenchromodynamik, mit der man die sogenannte starke Wechselwirkung zwischen Quarks und Gluonen beschreibt.

Er ging für zwei Jahre an die renommierte Yale University, um die Theorie gründlich zu studieren. Dann kehrte er nach Frankfurt zurück. Nachdem er innerhalb nur eines Jahres seine Habilitationsschrift eingereicht hatte, zog es ihn wieder in die Staaten, dieses Mal als „visiting professor“ an die Vanderbilt University. 1987 nahm er dann einen Ruf an die Universität Regensburg an. „Als junger Professor in Regenburg lernte ich Dirk Rischke kennen. Rischke hatte während seiner Dissertation in Frankfurt ein hydrodynamisches Modell für Schwerionenstöße entwickelt und ich stellte fest: Das ist ein ausgezeichneter junger Mann“, erinnert sich Heinz.

Das von Rischke entwickelte Modell war ein entscheidender Schritt, um vorhersagen zu können, woran man ein Quark- Gluon-Plasma im Labor erkennen würde. Direkt beobachten kann man es nämlich nicht. Aber man hatte schon Ende der 1970er Jahre die Idee, Schwerionen (etwa Blei- Kerne) in Teilchenbeschleunigern mit nahezu Lichtgeschwindigkeit aufeinanderprallen zu lassen, um den heißen Feuerball aus Quarks und Gluonen zu erzeugen. Dieser würde sich nach Bruchteilen von Sekunden explosionsartig ausdehnen, und die Bestandteile der Ursuppe würden sich zu Teilchen verbinden, die man im Detektor nachweisen kann.

Damals gab es aber weder Teilchenbeschleuniger, die leistungsfähig genug waren, um ein Quark-Gluon-Plasma zu erzeugen, noch gab es Computer, mit denen man die komplexen Gleichungen der relativistischen Hydrodynamik ohne drastische Näherungen in vertretbarer Zeit hätte lösen können. Eine dieser Näherungen war die Annahme einer idealen (also reibungsfreien) Flüssigkeit. Obwohl diese Annahme weitgehend als „hanebüchen“ abgetan wurde, wurde sie in nahezu allen Arbeiten gemacht, der Not gehorchend.

Im Jahr 2000 ging am Brookhaven National Laboratory auf Long Island der Relativistic Heavy Ion Collider (RHIC) in Betrieb, der alle bis dahin verfügbaren Stoßenergien um mehr als einen Faktor 10 übertraf. Im selben Jahr nahm Ulrich Heinz einen Ruf auf einen Lehrstuhl an der Ohio State University an. Wider Erwarten bestätigten die am RHIC durchgeführten Experimente die von Prof. Heinz und seinen Studenten gemachten Vorhersagen, die auf der Annahme einer idealen Flüssigkeit beruhten!

Bereits kurze Zeit später verdichteten sich allerdings Hinweise darauf, dass das Quark- Gluon-Plasma innere Reibung besitzt, die zwar extrem gering, aber (im Gegensatz zum frühen Universum) in Schwerionenstößen dennoch zu messbaren Abweichungen von der idealen Flüssigkeit führt. Folglich musste eine neue Theorie her. „Dirk Rischke und ich haben seit meiner Zeit an der Ohio State University parallel und in einem freundlichen Wettbewerb miteinander daran gearbeitet“, sagt Heinz.

Die Zusammenarbeit intensivierte sich, als Ulrich Heinz 2007 bis 2008 ein Sabbatjahr am Europäischen Kernforschungszentrum CERN bei Genf verbrachte. Heinz hatte gerade mit seiner Studentin Huichao Song den ersten Code für reibungsbehaftete relativistische Hydrodynamik entwickelt, deren komplizierte Gleichungen dank zwischenzeitlicher dramatischer Fortschritte in der Computertechnologie jetzt numerisch lösbar geworden waren. In dieser Zeit besuchte ihn Rischke für einige Wochen, und sie arbeiteten gemeinsam an der weiteren Verbesserung der zugrundeliegenden Gleichungen.

„Man hatte bereits Mitte der 1990er Jahren Hinweise für das Quark-Gluon-Plasma in Schwerionen-Experimenten am CERN und auch am Brookhaven National Laboratory gefunden“, erklärt Heinz. „Aber wir waren damals, aufgrund der noch etwas fragmentarischen Datenlage, in unseren Schlussfolgerungen sehr vorsichtig. Rückblickend wissen wir, dass wir zu vorsichtig waren.“

Das stellte sich heraus, nachdem vor etwa zehn Jahren am RHIC Stoßexperimente auch bei niedrigeren Energien durchgeführt wurden, um die älteren Experimente am CERN-SPS (Super Proton Synchrotron) zu überprüfen und weiter zu verbessern. „Eigentlich hoffte man, mit dieser Prozedur das Quark-Gluon-Plasma kontrolliert abzuschalten, aber dieser Versuch misslang: Auch bei SPS-Energien zeigte es immer noch seine (in den nun viel umfangreicheren Datensätzen unmissverständlichen) Signaturen!“, so Heinz.

Bis Ende August wird Ulrich Heinz dieses Jahr noch an der Goethe-Universität bleiben und dann in den beiden nächsten Jahren jeweils während der Sommerpause seiner Universität wiederkommen. „Die Stadt hat sich seit meiner Studienzeit sehr zu ihrem Vorteil verändert“, findet der ehemalige Frankfurter, der sechs Jahre in Sachsenhausen gelebt hat und noch in der Robert-Mayer-Straße studierte. In den ersten Wochen seiner Rückkehr lud ihn das Goethe Welcome Center zu einer Führung durch die neue historische Altstadt ein. Die hat ihm sehr gefallen.

Autorin: Anne Hardy

Dieser Artikel ist in der Ausgabe 4.19 des UniReport erschienen.

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