Die Goethe-Universität: Ein Zentrum der Versicherungswissenschaft

Kompetenz in Sachen Versicherungswissenschaften: Die Professoren Manfred Wandt, Karel van Hulle, Helmut Gründl, Wolfram Wrabetz und Hartmut Nickel-Waninger (von links); Foto: Dettmar
Kompetenz in Sachen Versicherungswissenschaften: Die Professoren Manfred Wandt, Karel van Hulle, Helmut Gründl, Wolfram Wrabetz und Hartmut Nickel-Waninger (von links); Foto: Dettmar

Die Versicherungswissenschaften sind an der Goethe Universität so stark vertreten wie an kaum einer anderen Hochschule. Das hat historische Gründe, weist aber auch weit in die Zukunft hinaus: In Frankfurt werden nicht nur die Weichen für das nationale Versicherungsrecht justiert, hier wird auch an einem Fundament für europaweite und international gültige Regelungen gearbeitet.

Sind die Versicherungssysteme für die sich häufenden Naturkatastrophen gerüstet? Wie kommt die Lebensversicherung durch die Niedrigzinsphase? Und welche Konsequenzen sollten aus der Finanzkrise gezogen werden? Das sind nur einige der Fragen, die die Versicherungswissenschaften derzeit umtreiben.

An der Frankfurter Goethe-Universität ist dieser Bereich seit der Gründung verankert. Kein Wunder, denn schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts war Frankfurt Sitz großer Versicherungsunternehmen: Deutscher Phönix, Providentia und der Frankfurter Allgemeine Versicherungs-AG – um nur einige zu nennen. Der spektakuläre Zusammenbruch der Frankfurter Allgemeinen Versicherungs-AG 1929 trug – wenn auch unfreiwillig – zu einer Fortentwicklung des Versicherungsaufsichtsrechts bei.

Wichtiger Standort der Versicherungswirtschaft

Heute ist Frankfurt im Verbund mit Wiesbaden der viertgrößte Versicherungsstandort in Deutschland, und die Mainmetropole beherbergt auch bundesweit die meisten ausländischen Versicherungsunternehmen. Seit 2011 ist die Stadt Sitz der europäischen Versicherungsaufsichtsbehörde EIOPA und damit europäisches Zentrum der Versicherungsregulierung. Die Bedeutung der Versicherungswissenschaften an der Goethe-Universität hat in den vergangenen Jahrzehnten denn auch immer weiter zugenommen. So gibt es neben Lehre und Forschung zu allen Bereichen der Versicherungsbetriebslehre und des Versicherungsrechts auch solche zur Versicherungsmathematik, Versicherungsinformatik und Versicherungsmedizin.

Die Goethe-Universität beherbergt namhafte Institute, die vor allem im House of Finance residieren: das interdisziplinäre Zentrum für Versicherungsaufsicht (International Center for Insurance Regulation, ICIR), das Institut für Versicherungsrecht (IVersR), das Institut für europäische Gesundheitspolitik und Sozialrecht (ineges). Bald nach ihrer Gründung haben sich diese Institute zu einer Plattform für Entscheider aus Politik, Regulierung, Verbänden und Wirtschaft entwickelt.

So sitzen im wissenschaftlichen Beirat des ICIR neben Wissenschaftlern und wissenschaftsnahen Praktikern der Versicherungswirtschaft der Vorsitzende von EIOPA Gabriel Bernardino sowie der BaFin-Exekutivdirektor für Versicherungsaufsicht Felix Hufeld. Mitglieder des Kuratoriums des ILF sind unter anderem die Präsidentin der BaFin Dr. Elke König, der amtierende Finanzminister Hessens Dr. Thomas Schäfer, sein Amtsvorgänger Karlheinz Weimar, der frühere Bundesfinanzminister Hans Eichel, sowie Vertreter der Europäischen Zentralbank, der Deutschen Bundesbank und von EIOPA.

Internationalisierung

„Wir sind hier sehr nahe an den aktuell wichtigen Themen“, sagt Prof. Manfred Wandt, Leiter des IVersR und Mitglied im Vorstand des ICIR. Und dazu gehöre vor allem auch die Internationalisierung des Versicherungswesens. „Die Finanzkrise von 2008 hat gezeigt, dass bei Regulierung und Aufsicht dringend etwas getan werden muss“, so Wandt. Deshalb sei das gesamte Aufsichtsrecht auf dem Prüfstand gekommen, künftig gälten strengere Regeln bezüglich Kapitalausstattung, Unternehmensführung und Berichtspflichten gegenüber Öffentlichkeit und Aufsichtsbehörden. „Kernziel ist letztlich, die Insolvenz von Unternehmen zu verhindern. Denn die Langfristigkeit von Geldanlagen spielt ja bei Versicherungen eine noch größere Rolle für den Verbraucher als bei Banken.“

Wandt ist es ein wichtiges Anliegen, den Studierenden im Fachbereich Jura die Bedeutung seines „etwas exotischen“ Fachs nahezubringen. „Das Thema Versicherungen ist zunächst nicht sexy, wir verdrängen gern die Risiken, mit denen wir leben. Und dann ist das Ganze auch schwer zu verstehen“, erklärt Wandt. Oft fungierten Praktiker als eine Art Augenöffner für die Studierenden: Wer sich einmal mit den versicherungsrechtlichen Fragen von 9/11 oder mit dem Stellenwert von Versicherungen für das Funktionieren der Industrie befasst habe, gewinne einen anderen Blickwinkel. Und tatsächlich gebe es eine immer größere Nachfrage nach dem Teilschwerpunkt Versicherungsrecht.

Versicherungsrecht und Versicherungsökonomik haben auch ihren festen Platz im Curriculum des LL.M Finance-Studiengangs des Institute for Law and Finance (ILF). Wissenschaftlich ausgerichtete erfahrene Praktiker bereichern das Lehrangebot. So gehören der Hessischen Landesbeauftragte für das Versicherungswesen Wolfgang Wrabetz und der frühere Leiter des Referats für Versicherungswesen bei der Europäischen Kommission Karel van Hulle als Honorarprofessoren dem Vorstand des ICIR an.

Das ICIR beteiligt sich zudem am LOEWE-Forschungszentrum „Sustainable Architecture for Finance in Europe“ (SAFE), einer Kooperation des Center for Financial Studies und der Goethe-Universität. Das IVersR hat maßgeblich an einem Modellgesetz für ein europäisches Versicherungsvertragsgesetz mitgearbeitet, das derzeit in der politischen Beratung ist (s. Kasten). Im Rahmen eines dreijährigen Forschungsprojekts wird das Institut zusammen mit den Universitäten Wien und Zürich zu Rechtsfragen des Internationalen Rückversicherungsrechts forschen, gefördert von der DFG und ihren Schwestergesellschaften.

Der Dialog mit der Praxis wird – unterstützt von einem Förderkreis für die Versicherungslehre an der Goethe-Universität – durch Vortragsreihen und Konferenzen gepflegt und in wissenschaftlichen Schriftenreihen dokumentiert. Das ICIR begleitet diesen Dialog durch regelmäßige policy letters zu rechtspolitisch aktuellen Themen zur Versicherungsregulierung. Zusammen mit dem Deutschen Verein für Versicherungswissenschaft und dem Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Mainz finden seit 2009 jährliche Tagungen zur Reform des europäischen Versicherungsaufsichtsrechts durch das Solvency II-Projekt statt.

Auch die Beratung der Politik durch einzelne Wissenschaftler hat einen hohen Stellenwert. So ist Prof. Astrid Wallrabenstein Mitglied des Sozialbeirats, der die Bundesregierung berät, Prof. Manfred Wandt (ICIR/IVersR) im Versicherungsbeirat der BaFin und Prof. Karel van Hulle (ICIR) im wissenschaftlichen Beirat der EIOPA. Zusammen mit Prof. Helmut Gründl (ICIR) berät Juniorprofessor Jens Gal (ICIR/IVersR) aktuell die OECD hinsichtlich langfristiger Investmentstrategien der Versicherer.

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