Geld und Lebensgeschichte / Fragen an die Soziologin Birgit Happel

Fragen an die Soziologin Birgit Happel, die mit einer Arbeit über Geld und Lebensgeschichte promoviert wurde.

Anke Sauter: Frau Happel, Sie haben sich in Ihrer Dissertation mit dem Zusammenhang zwischen Geld und Lebensgeschichte befasst. Wie sind Sie auf dieses Thema gekommen?

Birgit Happel: Meine Arbeit ist im Umfeld der Equal Pay Day-Bewegung entstanden, für die ich mich engagiere. Mir waren strukturelle Wirkungszusammenhänge aufgefallen, denen ich gern auf den Grund gehen wollte. Alleinerziehende Mütter zum Beispiel können in ihrer Situation oft kaum an ihre Vorsorge fürs Alter denken.

Das heißt: Die Frauen können nur innerhalb des Rahmens, in dem sie sich bewegen, versuchen, das Beste daraus zu machen?

Da muss man unterscheiden zwischen den strukturellen Bedingungen, die man durchaus ändern könnte, und dem individuellen Umgang mit Geld.

Worin unterscheidet sich der Umgang von Frauen und Männern mit Geld?

Frauen setzen eher auf Sicherheit, Männer sind risikofreudiger. Im alltäglichen Haushaltsplanungsbudget sind die Frauen meist gut aufgestellt. Beim Investieren oder Geldanlegen, da haben sie Nachholbedarf. Aber das ändert sich gerade: Die Frauen merken, wir können auch durch unseren Umgang mit Geld etwas Gutes tun für uns selbst.

Worauf könnte man dieses Umdenken zurückführen?

Die Änderung des Scheidungsrechts 2008 stellt einen Paradigmenwechsel dar: Frauen müssen nach Scheidungen viel früher die eigene ökonomische Unabhängigkeit wieder sicherstellen. Die alten Rollenbilder sind Vergangenheit.

Für die Frauen war das neue Scheidungsrecht aus Ihrer Sicht positiv?

Ja und nein. Das neue Scheidungsrecht war eine Art Weckruf. Dass es nicht unbedingt im eigenen Interesse ist, die Errungenschaft von drei Jahren Elternzeit oder vielleicht sogar länger voll auszunutzen und anschließend beruflich das Nachsehen zu haben, ist eine gute Einsicht.

Wie wichtig ist die Einsicht in die eigene Geldbiographie?

Der Umgang mit Geld ist eher eine unbewusste Alltagshandlung. Sich dessen bewusst zu werden ist ein Schlüssel zum Weiterkommen. Gerade an biographischen Weggabelungen ist es ja wichtig, ob ich gelernt habe, Vorsorge zu betreiben, zu sparen, zu investieren.

Umgang mit Geld – das meint das gesamte Spektrum?

Ja natürlich, auch die kleinen Dinge. Wer bewusster lebt, kann meist auch etwas sparen – und wenn ich nur 50 Euro abzwacke, um mir eine Reserve aufzubauen oder vorzusorgen. Das kommt aber vielen gar nicht in den Sinn, sie denken, sie bräuchten Riesensummen für einen Einstieg.

Die symbolischen Geldbedeutungen spielen für Sie eine große Rolle. Wie sind Sie in Ihrer Dissertation vorgegangen?

Ich habe mir die jeweilige Lebensgeschichte erzählen lassen, das war völlig ergebnisoffen. Dann habe ich den Umgang mit Geld bis in die frühe Kindheit rekonstruiert und die psychosozialen Geldbedeutungen erschlossen. Wie sind die Eltern mit Geld umgegangen, welche Geldbotschaften hat die Person in ihrer Kindheit empfangen? Dies nicht nur explizit, sondern auch implizit, d. h. nicht ausgesprochen, oder auch ambivalent, wenn die Eltern z. B. sagen, Du musst Dein Geld gut einteilen, können aber selbst nicht so gut mit Geld umgehen.

Was kann man daraus ableiten?

Man kann sehen, es gibt so genannte Sozialisationsfallen und Sozialisationsgewinne. Wenn offen über Geld gesprochen wird, ist das auf alle Fälle gut, weil das Bewusstsein dafür ausgebildet wird.

Dieses Bewusstsein an sich, dass es Ereignisse in der eigenen Kindheit gegeben haben könnte, die den Umgang mit Geld beeinflussen, reicht schon aus?

Das sehe ich schon so. Ich bin ja selbst in der Wirtschaftsbildung tätig. Da gibt es zum Teil auch große Diskrepanzen zwischen Finanzwissen und Finanzverhalten. Eine Interviewpartnerin ist Ökonomin, hat beruflich immer gut gewirtschaftet, kam privat nie mit ihrem Geld zurecht. Bis ins hohe Alter haben die Eltern nachgeschossen – bis deren Firma insolvent ging. Das war das erste Mal, dass sie ein Budget einhalten musste; was schwierig war, denn jahrelang verfestigte Verhaltensmuster lassen sich nicht über Nacht ändern.

Sie haben ja in Ihrer Arbeit vier Muster im Umgang mit Geld herausgearbeitet.

Am Anfang dachte ich, das kann nicht klappen, das Feld ist zu heterogen. Aber am Ende konnte ich vier Grundmuster rekonstruieren: Restriktiv, wenn das Budget eingehalten und gespart wird, freigiebig, wenn gerne Geld ausgegeben wird, auch ohne Rücksicht aufs Budget. Unternehmerisch orientiert und adaptiv, d. h. das Verhalten wird den entsprechenden Gegebenheiten angepasst. Anschließend erarbeitete ich eine dreifache Typisierung, die übergeordnete Sinnstrukturen abbildet: Kontrolle, Situativität und Innovation.

Kann man sagen, dass ein bestimmter Typ sein Leben besser meistern kann?

Das ist ja sehr subjektiv, was ein gutes Leben ist. Aber sich an seine Budgetgrenzen zu halten ist sicher positiv. Und wenn Frauen beispielsweise eine Existenzgründung wagen, ist es schon wichtig, dass auch die Bereitschaft vorhanden ist, in sich selbst zu investieren und gewisse Risiken einzugehen.

Gibt es einen Unterschied zwischen gebildeten und weniger gebildeten Milieus?

Das kann ich aus meiner Berufspraxis nur bedingt bestätigen. Wer gelernt hat zu sparen und zu haushalten, kommt auch mit eher geringem Finanzwissen mit seinem Budget zurecht. Das Beispiel der Ökonomin hatte ich ja schon erwähnt. Andererseits erfordern komplexe Finanzentscheidungen eine gewisse finanzielle Grundbildung, die allen zugänglich gemacht werden sollte.

Eine andere Interviewpartnerin war alleinerziehend, lebte von Hartz IV und hat trotzdem noch in Aktien investiert.

Das Geld, das sie trotz ihres geringen Budgets übrig hatte, konnte sie in Aktienfonds anlegen. Das waren keine großen Summen, da gibt es ja auch strenge Grenzen. Aber das war schon spannend, diese Unterschiede zu sehen.

Problematisch ist ja auch, dass Arbeitslose meist nichts zurücklegen können und dass ihnen damit jegliche Gestaltungsmöglichkeiten – zum Beispiel der Start in eine Selbständigkeit – genommen sind.

Gut, es gibt unter Umständen Existenzgründungsbeihilfen. Aber grundsätzlich sollten die Wege offen bleiben und dazu muss es natürlich entsprechende Rahmenbedingungen geben. Das kommt in der Diskussion um mehr finanzielle Bildung oft etwas zu kurz: manchen Menschen kann nicht noch mehr (Eigen-)Verantwortung auferlegt werden, sie benötigen vielmehr neue Perspektiven, um überhaupt ihre Aspirationen wahrnehmen zu können. Das ist eine Stellschraube, sie zu ermächtigen und zu motivieren.

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Birgit Happel: Geld und Lebensgeschichte.
Eine biografieanalytische Untersuchung.
Frankfurt: Campus Verlag 2017

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Dieser Artikel ist in der Ausgabe 2.18 (PDF-Download) des UniReport erschienen.

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