Heilkraft aus Pflanzen

Weißdorn (Crataegus laevigata); Foto: ullstein bild – Schellhorn
Weißdorn (Crataegus laevigata); Foto: ullstein bild – Schellhorn

Robert Fürst erforscht Wirkungen auf Zellebene. Dass die Deutsche Forschungsgemeinschaft einen Antrag zur Erforschung eines Pflanzenextrakts bewilligt, ist eher selten“, sagt Prof. Robert Fürst vom Institut für Pharmazeutische Biologie. Er ist stolz darauf, dass seine Idee, die „ödemprotektive Wirkung von Weißdorn“ zu untersuchen, 2009 die Gutachter überzeugte. Zu Recht: Mit seinem Team fand Fürst in dem komplex zusammengesetzten Extrakt zwei Gruppen von Pflanzeninhaltstoffen (Fraktionen), die bei einer Herzschwäche vor Ödemen schützen.

Ebenso konnte er aufklären, welche Signalwege diese in der Zelle beeinflussen. Das fand in der Fachwelt Anerkennung: Fürst publizierte die Ergebnisse 2012 in einer sehr angesehenen Fachzeitschrift für Kardiologie. Im gleichen Jahr wurde seine Doktorandin Elisabeth Willer für ihre Arbeit an den Weißdorn-Extrakten mit dem Abbott-Promotionspreis ausgezeichnet. Fürst erhielt 2013 den mit 10.000 Euro dotierten Bionorica Phytoneering Award.

Die Erforschung pflanzlicher Arzneimittel hat in Frankfurt Tradition. Schon im 18. Jahrhundert legte der Arzt Johann Christian Senckenberg einen Heilpflanzengarten an, der zur Ausbildung von Ärzten, Apothekern, Chirurgen und Hebammen diente. Der Vor-Vorgänger von Robert Fürst, Prof. Georg Schneider, forschte intensiv an Pflanzeninhaltsstoffen und beteiligt sich auch im hohen Alter noch an der Gestaltung und Weiterentwicklung des Arzneipflanzengartens am Campus Riedberg.

An der Entstehung des Gartens war auch der unmittelbare Vorgänger von Fürst, Prof. Theo Dingermann, maßgeblich beteiligt. Nicht nur am Institut für Pharmazeutische Biologie werden die wissenschaftlichen Grundlagen der Phytotherapie untersucht. Der Pharmakologe Prof. Walter E. Müller erforschte die Wirkung von Ginkgoblätter-Extrakt auf Hirnleistungsstörungen im Alter. „Tebonin“, so der Handelsname des Extrakts, ist das älteste und meist verkaufte Medikament gegen Alzheimer-Demenz in Deutschland.

In diesem Jahr feierte der Hersteller, die Firma Dr. Willmar Schwabe, den 50. Geburtstag des Medikaments mit einem Bürgersymposium an der Goethe-Universität. „Wir haben durch die langjährige Kooperation einen sehr guten Austausch mit der präklinischen Forschungsabteilung der Firma Schwabe. So erhielten wir von dort die Anregung, die entzündungshemmende Wirkung der Blutblume Haemanthus coccineus zu untersuchen“, erklärt Fürst.

Seine Doktorandin Simone Fuchs konnte diese in ihrer Dissertation nachweisen, die im Oktober 2015 mit dem Nachwuchspreis der Gesellschaft für Phytotherapie ausgezeichnet wurde. Momentan wird die Wirkung der Reinstoffe aus dem Blutblumen- Extrakt analysiert, da in absehbarer Zeit aufgrund der Schwierigkeiten beim Export des Pflanzenmaterials kein Haemanthus- Phytopharmakon zur Verfügung stehen wird. Weißdorn: Heilpflanze mit Geschichte Weißdorn, lateinisch Crataegus, ist dagegen leichter zu beschaffen.

Zwar lassen sich die sommergrünen Sträucher oder kleinen Bäume mit dornigen, dicht verzweigten Ästen nicht anbauen, aber sie wachsen wild in großen Teilen Europas. Die als Herzstärkungsmittel verwendeten Blätter und weißen Blüten wurden schon im ersten Jahrhundert n. Chr. von dem griechischen Arzt Pedanios Dioskurides erwähnt. Auch in den Kräuterbüchern des Mittelalters taucht der Weißdorn auf, wobei unsicher ist, ob es sich bei den beschriebenen Pflanzen wirklich um Weißdornarten handelte.

„Oft wurden dem Weißdorn auch Wirkungen zugeschrieben, die nach heutigen Erkenntnissen nicht zutreffend sind“, gibt Fürst zu bedenken. Doch die Wirkung auf das Herz war bekannt: Im 16. Jahrhundert soll der Arzt von König Heinrich IV., Quercetanus, einen weißdornhaltigen Sirup als Herzstärkungsmittel verabreicht haben. Mit Erfolg verwendete ab 1850 auch der irische Arzt Thomas Green den Weißdorn gegen Herzleiden, wobei er seine Rezeptur geheim hielt.

[dt_call_to_action content_size=”small” background=”plain” line=”true” style=”1″ animation=”fadeIn”]

Pflanzenextrakte für die Erkältungszeit (evidenzbasiert)

Schleimlöser

Efeublätter (Hedelix, Prospan, Sinuc) bei Erkältung und chronisch-entzündlichen Bronchialerkrankungen.

Thymiankraut (Aspecton, Soledum) bei Erkältung mit zähflüssigem Schleim und akuter Bronchitis.

Hustenstiller

Eibischwurzel (Phytohustil) bei Schleimhautreizungen im Mund- und Rachenraum und damit verbundenem trockenem Reizhusten.

Nasennebenhöhlen-Entzündung

Eisenkraut + Enzianwurzel + Gartensauerampferkraut + Holunderblüten + Schlüsselblumenblüten (Sinupret).

Akute Bronchitis

Pelargonium sidoides (Umckaloabo) Eukalyptusöl, Süßorangenöl, Myrtenöl, Zitronenöl (Myrtol/Gelo-Myrtol)

Weitere

Kapuzinerkressenkraut + Meerrettichwurzelpulver (Angocin): „pflanzliches Antibiotikum“ bei akuten entzündlichen Erkrankungen der Bronchien, Nebenhöhlen und ableitenden Harnwege.

Echinaceae purpurea (Echinacin, Esberitox) zur unterstützenden Behandlung wiederkehrender Infekte der Atemwege und der ableitenden Harnwege.

[/dt_call_to_action]

Die wissenschaftliche Erforschung der Heilpflanze begann zwei Jahre nach Greens Tod, als der amerikanische Arzt M. C. Jennings aus Chicago im „New York Medical Journal“ über die erfolgreiche Behandlung von 43 Patienten mit diversen Herzleiden berichtete. Weißdornblüten und -blätter werden heute aus Osteuropa importiert, wo sie von speziell ausgebildeten Pflückern zur Blütezeit im Mai und Juni gesammelt werden. Die Hersteller verarbeiten sie zu einem „quantifizierten Trockenextrakt“, was bedeutet, dass die Tabletten auf einen bestimmten Bereich von Inhaltsstoffen eingestellt werden.

Das, betont der Apotheker Fürst, sei eine der Grundbedingungen für eine rationale Phytotherapie. Nur Präparate aus der Apotheke erlaubten eine gleichbleibende und wirksame Dosierung. Bei Produkten aus dem Drogeriemarkt oder Kräutertees sei dies nicht gewährleistet. Pflanzliche Extrakte als »Vielstoffgemische« Indiziert ist die Behandlung mit Weißdornpräparaten bei chronischer Herzinsuffizienz, einer fortschreitenden Erkrankung, die mit jährlich circa 46.000 Todesfällen die dritthäufigste Todesursache in Deutschland ist.

Weißdorn kann im symptomfreien Stadium I und im Stadium II als adjuvante, also unterstützende Therapie eingesetzt werden. Im Stadium II leiden Patienten schon bei alltäglichen Belastungen unter Erschöpfung, Atemnot, Rhythmusstörungen oder Angina Pectoris. Es kann außerdem zu Lungen, Bauch- und Bein-Ödemen kommen. Weißdorn-Extrakte haben, wie Versuche an tierischen und menschlichen Herzmuskelzellen zeigen, mehrere Eigenschaften: sie steigern die Kontraktionskraft des Herzens, wirken Rhythmusstörungen entgegen, schützen die Herzmuskelzellen, erweitern die Herzkranzgefäße und wirken nach den neusten Erkenntnissen von Fürst auch Ödemen entgegen.

Verantwortlich sind dafür zwei Fraktionen des Extrakts: Flavonoide und von Flavonoid-Grundkörpern abgeleitete oligomere Procyanidine (OPC), die zu den Gerbstoffen gehören. Beide wirken auf den Zusammenhalt der Endothelzellen, welche die Blutgefäße auskleiden und unter anderem verhindern, das Flüssigkeit aus dem Blut ins Gewebe sickert: Während die Flavonoide Signalwege hemmen, die diese Barriere angreifen, schalten die OPCs Barriere-fördernde Signalwege an.

„Es handelt sich also um ein duales Wirkprinzip“, betont Fürst, „die Wirkung wird durch beide Fraktionen zusammen erzielt. Das ist ein typisches Beispiel dafür, wie pflanzliche Extrakte als Vielstoffgemische wirken.“ In klinischen Studien verbesserte die Behandlung mit Weißdornextrakten die Symptome der Atemnot und Erschöpfung. Zwar konnte eine verringerte Sterblichkeit bisher nicht nachgewiesen werden, aber einiges spricht dafür, dass die Therapie im Frühstadium der Herzinsuffizienz einen Überlebensvorteil für die Patienten haben könnte – vorausgesetzt, sie befolgen die vom Kardiologen verordnete, leitliniengerechte Therapie mit ACE-Hemmern, Beta-Blockern oder AT1- Rezeptor-Blockern.

Relevante Artikel

Öffentliche Veranstaltungen

You cannot copy content of this page