Klischees unterm Weihnachtsbaum

Das Netzwerkdiagramm zeigt die Beziehung zwischen Weihnachtsevents und ihren Teilnehmern. An den Kernelementen ist die engere Familie beteiligt. Je entfernter die Beziehung, umso weniger gemeinsame Ereignisse stehen für weihnachtliche Treffen zur Verfügung. Die Verbindung zwischen Weihnachtselementen und Teilnehmern ist umso dicker gezeichnet, je öfter diese in den Interviews genannt wurde.
Das Netzwerkdiagramm zeigt die Beziehung zwischen Weihnachtsevents und ihren Teilnehmern. An den Kernelementen ist die engere Familie beteiligt. Je entfernter die Beziehung, umso weniger gemeinsame Ereignisse stehen für weihnachtliche Treffen zur Verfügung. Die Verbindung zwischen Weihnachtselementen und Teilnehmern ist umso dicker gezeichnet, je öfter diese in den Interviews genannt wurde.

Die Suche nach Weihnachtsgeschenken gestaltet sich jedes Jahr aufs Neue anstrengend. Möglichst persönlich sollte es sein, vielleicht gar etwas Selbstgemachtes und bloß nicht das Gleiche wie schon letztes Weihnachten. Manch ein Schenkender wendet sich voller Verzweiflung an die Internetgemeinde. Nun dort findet man keineswegs das erhoffte persönliche Geschenk für den Papa. Genau im Gegenteil: Da engelchen83 und wichtel91 den Beschenkten überhaupt nicht kennen, lässt sich hier beobachten, welche Geschenke der abstrakten Rolle des Vaters zugeordnet werden.

Aus insgesamt 2000 Geschenkvorschlägen für Mutter, Vater, Freundin und Freund ließ sich aufzeigen, welche Vorstellungen mit diesen Rollen verbunden sind. Betrachtet man die Geschenkideen für Eltern, dann zeigt sich, dass diese immer noch dem traditionellen Familienbild verhaftet sind. Müttern wird unterstellt, dass sie sich nach gemeinsamer Zeit mit ihren Kindern sehnen und wenn das nicht geht, dann muss wenigstens der Fotokalender unter den Weihnachtsbaum. Sehr häufig werden zudem Wellness und Kosmetik empfohlen.

Aus Sicht der Forennutzer begießen Väter den Feierabend mit Alkohol und verbringen die Freizeit bevorzugt mit ihren Autos. Außerdem werden Geschenke für sportliche Aktivitäten vorgeschlagen. Oft werden zudem technisches Spielzeug und Fanartikel empfohlen. Die Geschenkvorschläge für Väter sind deutlich vielfältiger als für Mütter.

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Weihnachten – Soziologisch gegen den Strich gebürstet

Was schenken wir unseren Lieben? Wie unehrlich sind wir an Weihnachten? Wie verändern sich Traditionen, wenn junge Familien beginnen, ihr eigenes Weihnachten zu gestalten? Mit wem kommen wir anlässlich der Feiertage in Kontakt? Diesen Fragen ist eine Lehrforschungsgruppe des Fachbereichs Gesellschaftswissenschaften unter Anleitung von Prof. Christian Stegbauer nachgegangen. Hierfür wurden 32 qualitative Interviews durchgeführt und 2000 Geschenkvorschläge aus Hilfeforen im Internet ausgewertet. Mit der Datensammlung wurde bereits im Sommer begonnen. Jetzt liegen erste Ergebnisse vor.

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Spannend an den Geschenkvorschlägen für Freundin und Freund ist, dass hier nicht die Geschlechterrollen im Vordergrund stehen, sondern die Beziehung. In der Vorstellung der User ist die ideale Freundin schön und sexy – was in Vorschlägen für Dessous und Kosmetik zum Ausdruck kommt. Der Freund wird eher als schlecht gekleidet, Computer spielend und sportlich dargestellt. Die Geschenkeberater im Internet stellen sich die beiden Partner als sehr ineinander verliebt vor. Deshalb beziehen sich fast alle Geschenküberlegungen auf gemeinsame Aktivitäten: Urlaub, Städtetrip, romantisches Abendessen, Kuscheln, Sex.

Eine alternative Idee ist das Bedrucken mit Fotos von Tassen, T-Shirts, Mousepads etc., wodurch die Angebetete oder der Traumprinz an den oder die andere immer erinnert werden soll. Während die Beziehung zu Vater und Mutter kaum zu lösen ist, muss die Paarbeziehung gepflegt werden, damit sie nicht einfach eines Tages wieder zerbricht. Übrigens müsste sich das Vorurteil „Frauen verstehen nichts von Technik“ eher auf Mütter beziehen, denn Freundinnen, wird der Umgang mit Technik durchaus zugetraut. Möglicherweise deutet sich hier ein verändertes Rollenbild an.

Zeit des Schenkens und des Lügens?

Jedes Jahr die hässliche Krawatte, der Krimi mit den ungeliebten Klischees oder die Marmelade, die nicht gegessen wird. Wir bekommen immer wieder schon bekannte Geschenke – gerade auch weil es schwer fällt, die Wahrheit darüber zu sagen. Wenn man ein Geschenk beanstandet, so wirkt dies wie eine Kritik am Schenkenden. Das Geschenk auszuschlagen würde die Beziehung in Frage stellen.

Zum Teil erklärt sich das daraus, dass Geschenke eine doppelte Bedeutung besitzen: Einerseits die Gabe als Handlung, die damit die Anerkennung des Beschenkten, sowie die Beziehung zwischen den Beiden ausweist und festigt, andererseits der Inhalt, das, was nach dem Auspacken übrig bleibt. Eine Zurückweisung würde auch die Intention, die mit dem Geschenk verbunden ist, betreffen. Die Interviewten sagten, dass je nach Beziehung mehr an Wahrheit gewagt werden könne; wenn es sich um eine sehr enge Beziehung handelt, ist man eher bereit, Kritik zu üben, dann aber nicht im Moment der Bescherung.

Offen ist man eher hinter dem Rücken der Schenkenden, wodurch es mit dieser Person zu einer Art von Komplott kommt, was die Beziehung zum Mitwisser festigt. Überspitzt könnte man sagen, dass fortgesetzte Unwahrheit eine Rückkehr zur Wahrheit immer mehr verhindert – und am Ende fast alle über die Unzufriedenheit Bescheid wissen, nur der Schenkende nicht. Damit es nach Möglichkeit nicht so weit kommt, gibt es vor allem für Kinder Wunschlisten, die das Danebengreifen bei Geschenken ein wenig eindämmen können.

Die Macht der Mütter

Jedes Weihnachtsfest, in jeder Familie ist unterschiedlich. Das wird zur Herausforderung, wenn zwei Partner sich zum ersten Mal dazu entschließen, Weihnachten gemeinsam zu verbringen. Untersucht wurde wie junge Paare aus den verschiedenen Weihnachtselementen, die sie aus ihren Herkunftsfamilien kennen, ein gemeinsames Weihnachtsfest entwerfen.

Was gibt es zu essen? Wann gibt es Geschenke? Gehen wir zum Gottesdienst? Das Ergebnis zeigt, dass vor allem Kinder einen Umbruch im Denken über Weihnachten und die Durchführung weihnachtlicher Rituale auslösen.

Interessieren sich junge Paare zunächst kaum für Weihnachten, so gewinnt das Weihnachtsfest durch Kinder wieder an Bedeutung. In dieser Situation ist es notwendig, die unterschiedlichen Rituale aus den Herkunftsfamilien zusammen zu bringen. Durch gemeinsame Aushandlung entsteht eine neue, ganz eigene Tradition. Dabei spielt vor allem die Mutter eine herausragende Rolle. Sie initiiert die Gestaltung des Festes und dessen Bestandteile.

Diese Beobachtung unterstützt die Vermutung, dass die Macht darüber, wie das Weihnachtsfest begangen wird, fest in Frauenhand liegt. Diese Rolle scheint trotz Emanzipation und Umdenken in Fragen der Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern gerade an Weihnachten unveränderlich zu sein.

Sinnentleerte Rituale

Wie beschrieben entwickeln Familien ihre eigene Weihnachtskultur. Allerdings bleibt die Frage nach dem „Warum“ der Bräuche offen, niemand fragt mehr danach. Wer weiß schon, warum wir an den vier Adventssonntagen Kerzen anzünden? Man kann hier von einer Sinnentleerung der Rituale sprechen: jeder macht’s, doch kaum einer weiß warum.

Dies ist allerdings unerheblich, denn die Bedeutungsaufladung der Rituale entscheidet nicht darüber, ob diese stattfinden. Vielmehr entscheidet die Konstellation der teilnehmenden Personen darüber, welche Bräuche durchgeführt werden.

Sind zum Beispiel Kinder im Haus, gibt es das volle Weihnachtsprogramm, vom Besuch des Weihnachtsmarktes über die Nikolausfeier bis zum gemeinsamen Plätzchen backen. Werden die Kleinen älter und verlassen die elterliche Obhut, geht man lockerer mit den Ritualen um.

Alle Jahre wieder – Unfreiwilliges Wiedersehen

Die Untersuchung der verschiedenen Events rund um Weihnachten zeigt auf, mit wem man sich zu welchem Anlass trifft (siehe Netzwerkgraphik). Je näher sich die Personen der Kernfamilie stehen, an umso mehr Weihnachtselementen nehmen diese gemeinsam teil.

Weihnachtszeit steht aber auch für die unfreiwillige Pflege von Beziehungen. Anstandsbesuche und obligatorische Betriebsweihnachtsfeiern kennt wohl jeder. Solche unfreiwilligen Kontakte, denen man nur schwer entrinnen kann, haben aber auch ihr Gutes. Sie versorgen einen mit neuen Informationen. Den unvermeidlichen Events zur Weihnachtszeit lässt sich so auch etwas Positives abgewinnen: Als sprudelnde Informationsquelle zum Jahresende, die einen mit dem neuesten Klatsch und Tratsch versorgt.

Die soziologische Netzwerkforschung sagt, dass uns die Menschen, mit denen wir uns nur selten treffen, mit Informationen versorgen, an die wir sonst nur sehr schwer herankommen können. Es kann gut sein, dass wir so für uns wichtige Neuigkeiten entdecken. Die Untersuchungen zeichnen ein Weihnachtsfest, welches in Traditionen erstarrt ist und insbesondere traditionelle Geschlechter- und Familienrollen eher festigt, als in Frage stellt.

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Autoren: Mara Kische; Denise Schmelzer; Peter Stumm; Christina Andree; Daniel Marciniak; Svenja Krummnow; Christoph Heckwolf; Valeska Ober-Jung; Sarah Simon; Mareike Seipel; Natascha Schmidt; Daniela Knob; Alice Neblik; Shalini Tirputhee; Lukas Tron; Marc-Christian Schäfer; Christian Stegbauer.

Mehr Informationen zu dem Projekt finden Sie unter: http://weihnachtssoziologie.wordpress.com/

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