Martin Luther und sein Fälscher

Universitätsbibliothek Frankfurt verfügt über zwei Bände des berühmt-berüchtigten Luther-Imitators Hermann Kyrieleis.

Wie in allen Bereichen von Wirtschaft und Kultur gibt es auch im Buchwesen Kriminalität: Diebstahl, Betrug und Fälschung. Vor wenigen Jahren erregte ein Band mit angeblichen Zeichnungen Galileis weltweites Aufsehen. Im 19. Jahrhundert gab es mit Denis Vrain-Lucas einen „König der Fälscher“, der einem angesehenen Mathematiker angebliche Briefe Kleopatras an Marcus Antonius, Alexanders des Großen an Aristoteles und ein Schreiben des auferstandenen Lazarus an seine Angehörigen verkaufen konnte.

Auch der Reformator Martin Luther fand seinen Imitator. Es kam durchaus vor, dass Luther Widmungen und Bibelsprüche in Bücher eintrug, die man ihm vorlegte. Dies regte in den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts einen wenig erfolgreichen Kolonialwarenhändler mit dem frommen Namen Hermann Kyrieleis dazu an, sich einen lukrativeren und interessanteren neuen Erwerbszweig zu suchen.

Lateinische Drucke des frühen 16. Jahrhunderts waren damals um wenig Geld antiquarisch zu bekommen. Kyrieleis kaufte solche Bände und trug in ihnen mit Feder und selbst gefertigter Tinte Texte Luthers in dessen nachgeahmter Handschrift ein. Als seine Vorlage entpuppte sich schließlich ein Faksimile von Luthers Unterschrift im Brockhaus-Konversationslexikon. Üblicherweise bestand eine solche Fälschung aus einem Bibelvers, einer Widmung, einem Datum und der Unterschrift des Reformators.

Doch gibt es auch Exemplare, in denen Lieder wie „Ein feste Burg ist unser Gott“ zu finden sind. Mit solchen Bänden ausgestattet schickte er Frau und Tochter zu Antiquaren und Bibliotheken im In- und Ausland, beide ärmlich gekleidet und zu besserer Glaubwürdigkeit auch mehrere Tage auf Hungerkost gesetzt. Vor Ort erzählte die Frau die rührende Geschichte vom Abkömmling einer verarmten Humanisten-Familie, die sich in großer Not schweren Herzens von alten Familienerbstücken trennen müsse.

Der Erfolg war in den meisten Fällen gut. Ein Frankfurter Antiquar erklärte im Nachhinein einem Kollegen gegenüber: Es ärgere ihn nicht so sehr, auf die Fälschung hereingefallen zu sein, da er damit in allerbester Gesellschaft war – aber den beiden noch ein reichliches Mittagessen spendiert zu haben, wurme ihn schon außerordentlich … Der Umfang der Kyrieleis’schen Fälschungen war beträchtlich.

Der Germanist und Theaterwissenschaftler Max Herrmann, der in einem Vortrag im Jahre 1905 und der daraus hervorgegangenen Broschüre die umfangreichste Darstellung der Affäre bietet, listet in seiner Bibliografie 91 Exemplare auf, hat aber höchstwahrscheinlich nicht alle erfasst. Alleine der renommierte Mailänder Antiquar Hoepli kaufte nicht weniger als 40 Bände an, sein nicht weniger prominenter Münchner Kollege Jacques Rosenthal 17 der bearbeiteten Bücher.

Auch waren die Fälschungen von hervorragender Qualität. So erklärte noch im vergangenen Jahr ein Experte ein ihm vorgelegtes Exemplar für echt. Doch schließlich kam, was kommen musste. Unter dem Titel „Ein unerhörter Schwindel mit Luther-Autographen“ veröffentlichte das „Zentralblatt für Bibliothekswesen“ 1896 eine Warnung. Kyrieleis und seine Frau wurden verhaftet. Im anschließenden Prozess gelang es dem Mann, sich für unzurechnungsfähig erklären zu lassen, so dass er zur Unterbringung in einer psychiatrischen Anstalt verurteilt wurde.

Seine Frau landete für zehn Monate im Gefängnis. Danach verlieren sich die Spuren beider. Die Bücher wurden in alle Winde zerstreut, vor einigen Jahren erbrachte ein als solcher ausgewiesener Kyrieleis-Band auf einer Auktion den ansehnlichen Preis von 2000 Euro. Auch die Frankfurter Universitätsbibliothek besitzt zwei Bände mit Eintragungen von Kyrieleis. Sie stammen aus einer Baseler Augustinus-Ausgabe von 1529 (Signatur: F 15/14, s. Abbildung).

Einer von ihnen gehörte laut echtem Besitzvermerk einmal einer Klosterbibliothek in Padua. In den Büchern schrieb Kyrieleis Luthers „Lobgesang“ sowie das Lied „Ein feste Burg ist unser Gott“ nieder. In der Stadt- und Universitätsbibliothek wurden sie 1954 als Zugang inventarisiert, ohne dass man ihre Herkunft weiter zurückverfolgen kann. Vermutlich gelangten sie während des Krieges in den Bestand, die Erwerbungsunterlagen gingen bei der Zerstörung der Bibliothek verloren.

Auch echte Luther-Zeugnisse in der Universitätsbibliothek

Allerdings verfügte und verfügt die Universitätsbibliothek auch über echte Zeugnisse von Luthers Wirken. In Reiseberichten des 19. Jahrhunderts wird von einer Vitrine berichtet, in der neben einem Luther-Porträt Cranachs noch Luthers Chormantel, der Wanderstab und seine Pantoffeln ausgestellt waren. Diese Realien wurden irgendwann an das Historische Museum der Stadt abgegeben.

Die Spur des Chorhemds verliert sich, die Schuhe (Größe 41) gingen in den Bombennächten des zweiten Weltkriegs zugrunde. Aber das von Cranach gemalte Brustbild ist nach wie vor im Bestand des Museums. Auf verschlungenen Wegen gelangte ein 1516 in Basel gedruckter hebräischer Psalter aus Luthers Besitz mit handschriftlichen Eintragungen in die Universitätsbibliothek (Signatur: W 44). Luther erhielt ihn von seinem Freund Johannes Lang zum Geschenk.

Der Reformator gab ihn an den bei ihm zum Doktor promovierten Tilemann Schnabel weiter, der in Alsfeld Superintendent wurde. Dieser vermachte den Band seinem Nachfolger Justus Vietor, und dessen Sohn Georg Vietor bezeugte die Echtheit von Luthers Eintragungen 1603 in einem Vermerk. Neuere Schriftuntersuchungen können Luthers Hand allerdings nur in einem Fall sicher belegen. Deutlich umfangreicher fällt ein Text Luthers in seinem Werk „In quindecim psalmos graduum commentarii“ (Straßburg 1542) aus, das mit der Bibliothek des Frankfurter Arztes Johann Hartmann Beyer 1640 in städtischen Besitz kam (Signatur: Ausst. 229).

Schließlich sind noch zwei Briefe Luthers vorhanden, einer an den ehemaligen König Christian II. von Dänemark gerichtet, ein anderer 1527 als Trostschreiben ins Gefängnis gesandt an den österreichischen Theologen Leonhard Keyser, der wenige Wochen später in Schärding bei lebendigem Leibe verbrannt wurde. So lassen sich als kleiner Beitrag zum Lutherjahr sowohl echte als auch gefälschte Dokumente zu Leben und Wirkung einer zentralen Persönlichkeit der deutschen Geschichte in der Frankfurter Universitätsbibliothek finden.

Armin Diedrich, Universitätsbibliothek, Abt. Medienbearbeitung/Alte Drucke

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Fragen zu den genannten Objekten können gerne an die Handschriftenabteilung bzw. die Sammlung Frankfurt & Seltene Drucke gerichtet werden.

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Dieser Artikel ist in der Ausgabe 5.17 (PDF-Download) des UniReport erschienen.

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