SAFE-Juristen warnen davor, Bausparkassen die Kündigung von Altverträgen aufgrund des Niedrigzinsumfelds durchgehen zu lassen / Ökonomisch „kontraproduktiv“
In letzter Zeit kündigen Bausparkassen in großem Umfang Altverträge, die Sparern aus heutiger Sicht äußerst attraktive Zinsen garantieren. Eine Welle von Klagen gegen diese Kündigungen beschäftigt aktuell deutschlandweit die Gerichte und wird demnächst den Bundesgerichtshof erreichen. Nach Auffassung von Tobias Tröger, Professor an der Goethe-Universität Frankfurt und am LOEWE-Zentrum SAFE, und seinem Mitarbeiter Thomas Kelm ist die Kündigungspraxis nicht mit der Rechtslage vereinbar.
Wie die beiden Juristen in der am Donnerstag (22.9.2016) erscheinenden Ausgabe der Neuen Juristischen Wochenschrift (NJW 39/2016) darlegen, können sich Bausparkassen nicht aufgrund des Niedrigzinsumfelds auf ein Sonderkündigungsrecht nach §489 I Nr. 2 BGB berufen. Es sei eine originäre Leistung von Kreditinstituten, und somit auch Bausparkassen, im Rahmen der Fristentransformation das Risiko von Zinsänderungen in ihrem Geschäft zu berücksichtigen. Würde man ihnen in einem ungünstigen Zinsumfeld ein Sonderkündigungsrecht zugestehen, belohnte man solche Institute, die dieser ökonomisch elementaren Aufgabe nicht gerecht geworden sind.
Es entstünde ein moralisches Risiko (moral hazard): Die Kreditinstitute hätten in Zukunft keinen Anreiz mehr, Zinsrisiken überhaupt noch in ihre Verträge einzukalkulieren. Sie würden in guten Zeiten Gewinne einstreichen und in schlechten Zeiten unattraktive Verträge kündigen. Dies sei, so die beiden Juristen, kontraproduktiv, da die Transformationsfunktion der Kreditinstitute im gesamtwirtschaftlichen Interesse liege. „Die erheblichen Gefahren einer für (Marktpreis-)Risiken unempfindlichen Refinanzierung des Finanzsektors sind nicht erst seit der Finanzkrise bekannt“, schreiben sie in dem Beitrag.
Rechtlich umstritten ist insbesondere die Kündigung von Verträgen, bei denen der Mindestsparbetrag bereits erreicht ist. Bausparverträge bestehen aus Sicht der Kunden aus einer Ansparphase und einer Darlehensphase, die frühestens mit Erreichen des vertraglich festgesetzten Mindestsparbetrags eintritt und – im Falle des Weitersparens – mit Erreichen der Bausparsumme entfällt. Aufgrund der oftmals vor Jahren vereinbarten und heute höchst attraktiven Zinsbedingungen vieler Verträge lassen zahlreiche Verbraucher ihre Bausparverträge über den Zeitpunkt der Zuteilungsreife (Erreichen des Mindestsparbetrags) hinaus weiterlaufen und nutzen sie somit eher als Geldanlage denn als Kapitalbasis zum Bauen.
Genau diese Praxis wollen die Bausparkassen unterbinden und berufen sich dabei auf das Sonderkündigungsrecht aus §489 I Nr. 2 BGB. Nach Auffassung von Tröger und Kelm widerspricht eine solche Interpretation dieses Paragraphen zugunsten der Bausparkassen jedoch der ursprünglichen Intention des Gesetzgebers und wäre darüber hinaus nicht im Sinne der Allgemeinheit. Die Möglichkeit einer ordentlichen oder außerordentlichen Kündigung bestehe ebenfalls nicht.
Einen rechtlichen Ausweg sehen die Autoren lediglich für den Fall, dass aufgrund eines branchenweit ungenügenden Risikomanagements die Schieflage einer großen Anzahl von Instituten und damit eine Gefahr für die Finanzstabilität droht. In diesem Fall sei jedoch nicht das Zivilrecht, sondern das Aufsichtsrecht gefragt. Für die Beurteilung eventueller systemischer Konsequenzen sei die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) zuständig. Gehe es dagegen nur um einzelne Institute, so müssten diese die Folgen ihrer Fehler im Management von Marktpreisrisiken selbst tragen.
Dieser Artikel ist auf der Homepage von SAFE erschienen.
Autorin: Muriel Büsser