Die pädagogische Psychologin Prof. Dr. Mareike Kunter, »Scientist of the Year 2019«, steht für eine Professionalisierung des Lehramts.
Gefreut hat sie sich wirklich über den Preis, denn damit verbunden ist die tiefe Wertschätzung seitens eines Netzwerk von früheren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die auch die Laudatio für den Preis des „Scientist of the Year“ verfasst haben. Darin findet sich unter anderem der beeindruckende Satz:
„Ihr Enthusiasmus für die Forschung und Betreuung ihrer Mitarbeitenden, ihr Vertrauen in deren Fähigkeiten, ihr Optimismus, dass sich auftauchende Probleme immer lösen lassen, ihr Ideenreichtum und ihre Freude daran, gute Ideen zu entwickeln, ihr Interesse an der persönlichen Entwicklung ihrer Doktorand*innen, die Freiheiten, die sie bei der Gestaltung der eigenen Arbeit gibt sowie ihre schnellen, konstruktiven und hilfreichen Rückmeldungen machen sie zu einer großartigen Betreuerin für junge Wissenschaftler*innen.“
Nachwuchsförderung liegt Prof. Mareike Kunter sehr am Herzen, daher möchte sie mit einem Teil des Preisgeldes, so ihr Plan, eine Tagung organisieren, auch um die vielen Jungwissenschaftler* innen wieder zusammenzubringen, die wie sie weiterhin zur professionellen Kompetenz von Lehrkräften forschen.
Stereotype Vorstellungen des Lehrerberufs
Mareike Kunter, pädagogische Psychologin an der Goethe-Universität, beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit der Kompetenz von Lehrkräften und stellt sich dabei die Frage, wie sich diese auf die Qualität des Unterrichts auswirkt. Sie hat ein Modell entwickelt, das verschiedene Aspekte professioneller Kompetenz umfasst und mittlerweile sowohl national als auch international den Rahmen für systematische Lehrkräfteforschung darstellt. Damit entwickelte sie das Forschungsfeld nachhaltig weiter, da die bisherigen Forschungsansätze um eine ganz neue, hoch einflussreiche Perspektive ergänzt wurden.
„Jeder besucht im Laufe seines Lebens die Schule und hat damit bestimmte Erfahrungen im Umgang mit Lehrkräften gemacht, die manchmal zu stereotypen Vorstellungen eines Ideallehrers führen können“, führt sie aus. Manche denken, dass vor allem Humor oder Charisma eine gute Lehrkraft auszeichnen. Das sei auch nicht komplett falsch, betont Kunter, aber die Frage stelle sich doch, warum jemand, der unterrichte, so selbstsicher und souverän wirke.
„Er verfügt, das ist meine These, über einen bestimmten Wissensfundus – also zum einen über ein bestimmtes Fachwissen, aber vor allem über eine pädagogisch-didaktische Kompetenz, wie man gut unterrichtet.“ Kunter verdeutlicht diesen Aspekt anhand der aktuellen Debatte um den Lehrermangel und viele Quer- und Seiteneinsteiger: Wenn Personen, die ein Fach studiert haben, dieses ohne pädagogische Befähigung unterrichteten, dann müsse man sich Sorgen um die Qualität des Unterrichts machen.
„Nur weil Sie schreiben können, heißt das ja nicht, dass Sie automatisch Schreibunterricht erteilen können“, spitzt sie ihren Punkt zu. Doch Mareike Kunters Kritik an der unzureichenden Ausbildung mancher Lehrkräfte enthält umgekehrt auch eine positive Botschaft: Lehren kann man lernen! Wer eine gewisse akademische Reife mitbringe und gerne mit Kindern und Jugendlichen arbeite, könne den Lehrerberuf an der Universität erlernen.
Als »Scientist of the Year« ausgezeichnet wurde Mareike Kunter für ihre wegweisende Forschung auf dem Stiftertag an der Goethe-Universität. Gefördert wird der Preis, der mit 25 000 Euro dotiert ist, von der Alfons und Gertrud Kassel-Stiftung. Eingerichtet wurde der Preis anlässlich des fünfjährigen Bestehens der Alfons und Gertrud Kassel-Stiftung im Jahr 2012 Seit ihrer Gründung hat die Stiftung die Goethe-Universität in besonderer Weise unterstützt.
»Classroom Management« vonnöten
„Wie man gut unterrichtet, bekommt man eben nicht in die Wiege gelegt. Diejenigen, die sich wie ein Showmaster oder Comedian vor die Klasse stellen und mit Witz und Charme agieren, können dauerhaft nicht die für ein professionelles ‚Class Management‘ nötige Aufmerksamkeit erzielen – das haben wir in einem Experiment mit einem Schauspieler, der in verschiedenen Lehrerrollen agiert hat, nachweisen können“, erzählt Kunter. Zum professionellen Wissen einer Lehrkraft gehöre es, zu verstehen, welche Wissensbestände und Fehlvorstellungen Schülerinnen und Schüler mit in den Unterricht bringen, wie ihre Lebenswelten beschaffen sind und wie man den Unterrichtsstoff idealerweise darauf beziehen kann.
Sind Kinder heute schwieriger zu „händeln“? Kunter zögert, überlegt kurz und kommt dann zu der Einschätzung, dass es in der Forschung dafür keine Belege gebe. Auch vor 100 Jahren habe es in der Schule große Unterschiede zwischen den Kindern gegeben. Voraussetzung sei allerdings ohne Frage, dass man bereit sei, sich weiterzubilden – das Prinzip des lebenslangen Lernens gelte natürlich auch für den Lehrerberuf. Denn auf neue Herausforderungen wie Inklusion, Digitalisierung und Integration müssten sich Lehrkräfte vorbereiten. Kunter weiß natürlich, dass der Lehreralltag bislang für Weiterbildung viel zu wenig Freiräume bietet.
Sie sieht vor allem das Dilemma, dass diejenigen, die sich ohnehin für die Qualität ihrer Lehre engagieren, auch einiges dafür tun; aber diejenigen, die es viel nötiger hätten, wenig oder gar kein Interesse an Weiterbildungsangeboten zeigten. „Es muss ein fest verankerter Teil des Tätigkeitsprofils werden, sich laufend weiterzubilden“, fordert sie. Die sogenannte dritte Phase der Lehrerbildung sei allerdings, das gibt sie zu, noch wenig erforscht. Dass didaktische Kompetenz nicht nur im Schulbetrieb notwendig ist, sondern auch in der Hochschullehre, beschäftigt Kunter schon lange.
Zwar hätten Dozierende gegenüber Lehrkräften an der Schule den Vorteil, dass ihre Studierenden sich freiwillig für ein Studium entschieden hätten und somit die intrinsische Motivation insgesamt höher sei. Jedoch sei die Vermittlung wissenschaftlicher Inhalte und Methoden keineswegs einfach. Das interdisziplinäre Kolleg Hochschuldidaktik (IKH) an der Goethe-Universität biete einiges auf diesem Feld an. Allerdings seien auch hier meist jene Kolleginnen und Kollegen interessiert, die ohne- hin ein Faible für die Lehre hätten. Und daher betont sie zum Schluss des Gesprächs: „Unterrichten an der Uni kann auch wirklich Spaß machen!“
Dieser Artikel ist in der Ausgabe 6.19 des UniReport erschienen.