Tsetsefliege: Ein Zoologe im Dienst der Humanmedizin

Heinz Hänel widmet sich ausgerechnet jener Gruppe von Lebewesen, vor denen sich die meisten Menschen gruseln – Parasiten. Schmarotzer also, die ihre Existenz allein dem Umstand verdanken, dass sie einen Nutzen aus dem Wirt ziehen, den sie befallen. Parasiten schädigen ihren Wirt, ob Tier oder Mensch. Sie rufen Krankheiten hervor, indem sie Organfunktionen beeinträchtigen, Zellen zerstören und ihm Nährstoffe entziehen. Dank Antibiotika, Chemotherapeutika und Impfstoffen haben viele Infektionen durch Parasiten heute ihren Schrecken verloren. Andere Erkrankungen aber, wie etwa die Afrikanische Schlafkrankheit, waren lange Zeit nicht oder schlecht behandelbar und 100-prozentig tödlich. Bis vor Kurzem jedenfalls.

Der Weg eines Medikaments vom Wirkstoff bis zur Zulassung kann ein sehr langer sein und spannend wie ein Krimi. Heinz Hänel hat es selbst erfahren. Ende der 1970er Jahre arbeitete der angehende Biologe als Werkstudent bei der damaligen Hoechst AG in Frankfurt (heute Sanofi). Hänel beschäftigte sich mit dem Erreger Trypanosoma. Das sind Einzeller, die im menschlichen Blut vorkommen können, übertragen von der stechenden und blutsaugenden Tsetsefliege.

Verbreitungsgebiet Afrika

Trypanosomen rufen die Afrikanische Schlafkrankheit hervor, die »Afrikanische Trypanosomiasis«. »Die Schlafkrankheit verändert die biologische Uhr der Patienten vollständig. Die Patienten schlafen nahezu stündlich ein, fallen irgendwann in einen dauerhaften Dämmerzustand«, erklärt Heinz Hänel. Nach ca. ein bis drei Jahren ist das Gehirn zerstört. Unbehandelt stirbt der Infizierte. Hänel arbeitete damals an einem Wirkstoff gegen die Schlafkrankheit in Tiermodellen. Das Medikament hieß Fexinidazol. Produziert wurde es allerdings nicht. »Die Entwicklung wurde damals eingestellt. Es war geschäftsstrategisch nicht interessant«, so Hänel. Die Forschungsarbeiten an der Schlafkrankheit gerieten in Vergessenheit. Der Biologe arbeitete in den folgenden Jahren an anderen Projekten des Pharmaunternehmens.

84 Millionen von der Tsetsefliege bedroht

Rund 15 Jahre später entdecken Mitarbeiter einer Tochterorganisation von »Ärzte ohne Grenzen« Hänels frühe Arbeiten an dem Medikament Fexinidazol in einer Publikation. Sie nahmen umgehend Kontakt auf. »Die ganzen damals geleisteten Forschungsarbeiten konnten wir tatsächlich reaktivieren. Ich habe in detektivischer Kleinarbeit die alten Aufzeichnungen im Firmenarchiv gefunden.« Im Kongo und in der Zentralafrikanischen Republik führte Heinz Hänel mit seinen neuen Mitstreitern von »Ärzte ohne Grenzen« klinische Studien durch. Viele Sponsoren, darunter auch die »Bill und Melinda Gates Stiftung«, machten das möglich. Mit Erfolg: Das Medikament in der einfachen Darreichungsform als Tablette erwies sich als äußerst wirkungsvoll. »Wir haben dann bei der europäischen Medikamentenbehörde EMA einen Antrag auf Zulassung in außereuropäischen Ländern gestellt und sie Ende 2018 an Weihnachten erhalten«, erzählt Heinz Hänel nicht ohne Stolz.

Durch die zehntägige Einnahme von Fexinidazol-Tabletten können nun Menschen mit der lebensbedrohlichen Schlafkrankheit geheilt werden und das kostenlos. Sanofi und die Weltgesundheitsorganisation haben das vertraglich so geregelt.

Prof. Heinz Hänel betreut an der Goethe-Universität als Honorarprofessor für Biologie die Parasitologie im Zoologischen Institut. Als Vorstandsmitglied bei der Vereinigung von Freunden und Förderern der Goethe-Universität befasst er sich schwerpunktmäßig mit der Forschungsförderung. Außerdem ist er auch Vorsitzender des Alumni-Rates der Goethe- Universität. Heinz Hänel ist bei der Firma Sanofi-Aventis für die Entwicklung von Antidiabetika zuständig. Sein liebstes Hobby: Heinz Hänel führt Interessierte durch den Botanischen Garten Frankfurt zur Gallenexkursion.

Autorin: Heike Jüngst

Dieser Artikel ist in der Ausgabe 45 des Alumni-Magazins Einblick erschienen.

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