1968 – 2018: Studenten von heute im Gespräch mit einstigem Studentenanführer KD Wolff

© Universitätsarchiv Frankfurt / Alexander Bopp

Die „Offenheit der Diskurse“ sei ein Verdienst der 68er-Bewegung, meint der ehemalige Studentensprecher Karl Dietrich „KD“ Wolff. Dass diese Offenheit auch von Rechtspopulisten genutzt wird – ist das ein Kollateralschaden? Über diese und andere Fragen rund um 1968 und die Folgen sprachen KD Wolff und zwei Studenten der Erziehungswissenschaften auf Einladung des Wissenschaftsmagazins „Forschung Frankfurt“, nachzulesen in der gerade erschienen Ausgabe zum Thema „Die 68er“.

Bis heute muss die Offenheit der Diskurse immer wieder neu verteidigt werden. Er aber wünsche sich diese Offenheit, so Karls Dietrich Wolff, der seit jeher „KD“ genannt wird. Doch wie weit muss diese Offenheit gehen, fragt sich Thomas Dumke, Masterstudent der Erziehungswissenschaften: Dürfe die Meinungsfreiheit dafür benutzt werden, neonazistische Hetze salonfähig zu machen? KD Wolff gab sich im Gespräch mit Dumke und dessen Kommilitonen Jonas Pußel entspannt: Es sei falsch, Diskussionen von vornherein abzuschneiden. Die politischen Köpfe der 68er-Bewegung jedenfalls hätten immer auch ihre Gegner zur Diskussion gebeten.

Im Gespräch, zu dem die Redakteure Dr. Dirk Frank und Dr. Anke Sauter gebeten hatten, lässt Wolff das Lebensgefühl der 68er lebendig werden. Er schildert die Bedrückung seiner Jugendzeit und seinen Wunsch, so bald wie möglich auszuwanden. Dass es nicht dazu kam, lag nach seinen Worten an den Veränderungen, die durch die Studentenproteste ausgelöst worden seien. Als die Proteste gegen die Ermordung Benno Ohnesorgs die Massen auf die Straße brachten, habe er gemerkt, dass sich die Gesellschaft wandelt: „Auf einmal geht abends ein Fackelzug durch die Stadt mit mehr als 2 000 Leuten, von denen wir fast keinen kannten. Und dieser Sprung, der da passiert ist, bewirkte, dass wir uns zwar einerseits bedroht fühlten, andererseits aber war diese unerwartete Mobilisierung der Massen ein wunderbares Gefühl: Dass jetzt alles besser wird, dass es eine neue Welt wird, dass sich alles ändert.“ 

Das sei der entscheidende Unterschied zwischen heute und damals, meint Student Dumke: Der Bruch zwischen den Generationen sei damals offensichtlicher gewesen, die Studierenden hätten vor allem auch gegen das Schweigen der Mütter und Väter zur deutschen NS-Vergangenheit angekämpft. Dagegen sei die Gesellschaft heute komplexer, globalisierter, widersprüchlicher. Und es sei ein deutliches Mehr an Lebensentwürfen lebbar. Dennoch gebe es noch viel zu tun: Die zunehmende Marktradikalisierung und Neoliberalisierung habe nicht zuletzt Protestbewegungen wie Blockupy auf den Plan gerufen. Ein wichtiger Unterschied zu damaligen Protestaktionen ist für Jonas Pußel die Existenz sozialer Netzwerke wie im Fall der #metoo-Debatte: „Wenn die Leute eine gesellschaftliche Veränderung wollen und die Bedingungen gegeben sind, dann wird sich das trotzdem noch, wie 1968 auch, in einer Bewegung auf den Straßen zeigen“, ist Pußel überzeugt. Heutige Demonstrationen zögen viel mehr Menschen an als die der 68er, meint KD Wolff. Allerdings sei die mediale Beachtung heute nicht mehr so groß.

Aber auch die Gemeinsamkeiten zwischen damals und heute wurden im Gespräch deutlich: Schon 1968 zerbrachen sich die Meinungsführer im SDS die Köpfe darüber, wie die Studierenden zum inneruniversitären Wählen motiviert werden könnten. Viel höher als heute war die Wahlbeteiligung offenbar nicht. Die Erklärung der heutigen Studenten: Den meisten Kommilitoninnen und Kommilitonen gehe es darum, eine Ausbildung zu absolvieren und später eine Arbeitsstelle zu finden. Deswegen sei es dezplatziert, von allen zu erwarten, sich politisch zu engagieren. Und m Zuge der Bologna-Reformen sei der Druck an den Universitäten nochmal gewachsen.

[dt_call_to_action content_size=”small” background=”plain” line=”false” style=”1″ animation=”fadeIn”]

Journalisten können die aktuelle Ausgabe von „Forschung Frankfurt“ kostenlos bestellen bei Helga Ott, Vertrieb, ott@pvw.uni-frankfurt.de. Forschung Frankfurt abonnieren: http://tinygu.de/ff-abonnieren

[/dt_call_to_action]

Relevante Artikel

Einzellige Krisenbewältiger

Wie Bakterien Umweltstress meistern von Andreas Lorenz-Meyer Die Biochemikerin und Mikrobiologin Inga Hänelt untersucht, auf welche Weise Bakterien das lebenswichtige

Die Bauplan-Macher

Wie verschiedene Proteinvarianten aus derselben Vorlage ­hergestellt werden von Larissa Tetsch Das menschliche Erbgut besitzt rund 20 000 Gene, die

Das Kaleidoskop des Lebens

Hightech und Künstliche Intelligenz bringen Licht in den Nanokosmos von Andreas Lorenz-Meyer Der Chemiker Mike Heilemann will Prozesse in menschlichen

Öffentliche Veranstaltungen

Es gibt nicht nur die „eine“ Zukunft

Julia Schubert und Steven Gonzalez forschen als Postdocs im interdisziplinären Graduiertenkolleg „Fixing Futures“ und fragen: Was machen Zukunftsvisionen mit dem

Neue Grundlage für die Hitler-Forschung

DFG-Projekt „Edition Hitlerreden 1933–1945“: Team um Prof. Cornelißen übernimmt Neuedition der Hitlerreden ab 1933 Seine schneidende Stimme ist unverkennbar, man

Der unversöhnte Theoriegeist

In „Der Philosoph: Habermas und wir“ von Philipp Felsch verschränken sich Zeit- und Geistesgeschichte in der Figur eines großen Frankfurter

Kein richtiges Leben im falschen?

Drei Romanheld*innen werden auf ganz unterschiedliche Weise mit den Widersprüchen der Gegenwartsgesellschaft konfrontiert: Die Erziehungswissenschaftlerin Yandé Thoen-McGeehan hat gerade ihren

You cannot copy content of this page