»Androgyne« Marken weniger beliebt

Marketing-Professor Jan Landwehr; Foto: privat
Marketing-Professor Jan Landwehr; Foto: privat

Marketing-Professor Jan Landwehr über ästhetisch und emotional motivierte Kaufentscheidungen.

Herr Prof. Landwehr, können Sie als Professor für Produktmarketing noch spontan einkaufen?

Ich kaufe selten spontan. Aber ich kann weiterhin sagen, ob mir ein Design spontan gefällt oder nicht, ohne dass meine Forschung mich dabei manipuliert. Den ersten unmittelbaren ästhetischen Eindruck – das sehen wir auch in unserer Forschung – kann man nicht abschalten oder beeinflussen.

Ihr Forschungsfeld ist die empirische Ästhetik. Inwieweit lässt sich das Denken und Fühlen von Konsumenten messen?

Ich komme ursprünglich aus der Psychologie, deren Kernaufgabe es ist, das Denken, Fühlen und Verhalten von Menschen zu messen und zu verstehen. Die Instrumente dafür sind natürlich nicht so perfekt wie etwa in der Physik. Aber wenn ich Personen danach befrage, was sie schön finden, dann fällt dieses Urteil den meisten sehr leicht. Natürlich gibt es auch ästhetische Prozesse, die unbewusst ablaufen oder über die man keine Auskunft geben will. Die lassen sich dann nur schwer mit einem Fragebogen erfassen.

Lässt sich aus Befragungen einzelner der Massengeschmack ableiten?

Wenn das mein Ziel ist, ja. Aus Marketingperspektive geht es häufig darum, ein Produkt so zu gestalten, dass es die Masse begeistert. Dazu reicht es zu verstehen, was dem Durchschnittskonsument gefällt. Natürlich gibt es immer Menschen, die vom Mittelwert abweichen und ein sehr extravagantes Design präferieren. Wir stellen in unserer Forschung aber fest, dass es in ästhetischen Fragen – auch über verschiedene Länder und Kulturen hinweg – mehr Gemeinsamkeiten als Abweichungen gibt. Wir finden auch kaum Unterschiede zwischen den Geschlechtern.

Sind unsere ästhetischen Präferenzen also nicht kulturell anerzogen, sondern evolutionär verankert?

Viele psychologische Theorien nehmen eine genetische Komponente an. Studien mit Säuglingen haben gezeigt, dass schon in den ersten Wochen ästhetische Reize wie etwa Symmetrie bevorzugt werden, zum Beispiel beim menschlichen Gesicht. Insofern ist anzunehmen, dass es eine genetische Prädisposition gibt, die aber natürlich durch Kultur geprägt und verändert wird. Daraus abgeleitet kann man auch erklären, warum es einen Common Sense darüber gibt, was schön ist.

Dieser Common Sense verändert sich aber im Laufe der Zeit auch innerhalb eines Kulturraums, wenn Sie etwa an Kunst denken.

Die Kunst ist ein ziemlich interessantes Forschungsfeld. Die Motivation von Menschen, Kunst zu betrachten, muss nicht darin bestehen, etwas ästhetisch Schönes zu sehen, sondern vielleicht auch darin, intellektuell stimuliert zu werden. Ich kann ein Kunstwerk überhaupt nicht schön, aber dennoch anregend finden. Vor dem Hintergrund würde ich weiterhin sagen, dass die Gemeinsamkeiten recht groß sind bei der Frage: Ist ein Kunstwerk schön? Dagegen zeigen unsere Studien, dass es deutliche Unterschiede darüber gibt, was Menschen intellektuell stimulierend oder abstoßend finden.

Hat das Schönheitsempfinden etwas mit angeborenen Basisemotionen zu tun?

Basisemotionen, die wir über alle Kulturen hinweg beobachten, spielen eine große Rolle bei der Verarbeitung von Design. Interessant ist auch, dass diese Emotionen stets mit einem eindeutigen Gesichtsausdruck einhergehen, den sich Produktdesign zunutze machen kann. Wir haben zum Beispiel eine Studie darüber gemacht, wie sich Designmerkmale in der Front von Fahrzeugen, in der ja Grundzüge eines menschlichen Gesichts erkennbar sind, auf die Präferenzen von Konsumenten auswirken. Egal wie wir vorgegangen sind – mit Befragungen, Analysen von Verkaufsdaten oder neurowissenschaftlichen Untersuchungen von Hirnaktivitäten –, kamen wir jedes Mal zum gleichen Ergebnis: Freundliche, aber auch aggressive Designmerkmale haben starke Auswirkung auf die Kundenpräferenzen. Am besten schneidet eine Kombination aus einem freundlichen Grill und aggressiven Scheinwerfern ab. Diese Designvariante setzt zum Beispiel Peugeot in den letzten Jahren bei fast allen Baureihen ein.

Welche Rolle spielen soziale Netzwerke bei der Herausbildung ästhetischer Präferenzen?

Eine große Rolle. Wir haben kürzlich untersucht, wie sich die Präferenzen von Kundinnen eines Online-Shops für Modeschmuck aufgrund von Feedback aus ihrem Netzwerk ändern. Die Kundinnen konnten Ohrringe selbst zusammenstellen, die Konfiguration dann in einem virtuellen Netzwerk teilen und bei Bedarf anpassen. Wir haben dabei zwei interessante Dinge herausgefunden: Zum einen werden die Designs als Reaktion auf das Feedback weniger extravagant und tendieren zu einer Standard-Ästhetik; zum anderen sind die Kundinnen mit diesem Durchschnittsohrring weniger zufrieden.

Sie forschen auch im Bereich der symbolischen Kommunikation. Was machen Sie da genau?

Wir untersuchen, wie und mit welchem Erfolg Unternehmen Symbole in ihrer Werbung einsetzen. Oftmals geht es dabei darum, abstrakte Eigenschaften eines Unternehmens oder einer Marke durch ein Symbol anschaulicher zu machen. Ein Beispiel ist die Württembergische Versicherung, die mit dem Symbol „Fels in der Brandung“ wirbt. Der Fels steht hier symbolisch für die Sicherheit auch in widrigen Zeiten. Ein anderes Beispiel ist das Schiff, mit dem die Biermarke Becks lange Zeit geworben hat als Symbol für Freiheit und Abenteuer. Erste Evidenz deutet darauf hin, dass Symbole nicht zu platt sein dürfen, aber auch nicht zu abgehoben. Man muss das richtige Maß finden. Außerdem scheinen Symbole, die einen abstrakten Inhalt veranschaulichen sollen, besser zu funktionieren als eine symbolische Darstellung von etwas Offensichtlichem. Insgesamt steht diese Forschung aber noch am Anfang und wir haben hier noch viel herauszufinden.

In einer aktuellen Publikation untersuchen Sie, wann Marken als maskulin oder feminin wahrgenommen werden. Was haben Sie herausgefunden?

Nach unseren Ergebnissen sind es die üblichen Verdächtigen, die eine Marke feminin oder maskulin machen: rund versus eckig, rosa versus blau, feine Schriftart versus breite, kantige. Wir haben außerdem festgestellt, dass Kunden eine Präferenz für ein klares Markengeschlecht haben. „Androgyne“ Marken werden weniger geschätzt. Man kann aber nicht sagen: Frauen kaufen vor allem feminine Marken und Männer maskuline – abgesehen von Produkten, die speziell auf ein männliches oder weibliches Kundensegment zugeschnitten sind. Grundsätzlich muss die Marke nicht dem Geschlecht des Kunden entsprechen, sondern eher den Erwartungen an ihre Eigenschaften. Wenn eine Marke zum Beispiel weibliche Werte wie Fürsorglichkeit oder Wärme transportieren soll – etwa eine Versicherung –, kann sie mit einem sehr femininen Markenimage auch männliche Kunden ansprechen. Umgekehrt kann eine männlich positionierte Sportschuhmarke auch für Frauen attraktiv sein, die eine sehr kompetitive Sportart betreiben.

Sie haben Psychologie studiert und dann im wirtschaftswissenschaftlichen Feld Marketing promoviert. Wie unterschiedlich sind die Fächerkulturen?

Ich empfinde es als sehr wertvoll, mich in beiden Fächern zu Hause zu fühlen, und arbeite mit Kollegen aus beiden Disziplinen eng zusammen. Leider werden jeweils andere Sprachen gesprochen, für dasselbe Phänomen existieren teils unterschiedliche Begriffe. Sowohl bei uns im Marketing als auch in anderen wirtschaftswissenschaftlichen Disziplinen wie etwa der Mikroökonomie gibt es komplette Forschungsstränge, die parallel auch in der Psychologie existieren, aber es wird kaum aufeinander Bezug genommen oder miteinander kommuniziert. Da liegt ein riesiges Potenzial brach, beide Seiten könnten sehr viel voneinander lernen.

Die Fragen stellte Muriel Büsser. Der Text ist die gekürzte Version eines Interviews, das auf den Forschungsseiten des Fachbereichs Wirtschaftswissenschaften erschienen ist.

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Mehr zu den Publikationen von Prof. Jan Landwehr unter
www.wiwi.uni-frankfurt.de/publications/?author=52&department=5

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