Das »Haus der Stille« auf dem Campus Westend wurde am 5. Oktober 2010 eröffnet. Mit coronabedingter Verspätung wird nun das Jubiläum mit einer Diskussionsveranstaltung im November begangen. Prof. Rudolf Steinberg, früherer Universitätspräsident, Vorsitzender des Kuratoriums und einer der (Mit-) Gründer der Einrichtung, hält das Frankfurter Modell einer Offenheit auf dem Campus gegenüber religiösen Anschauungen für einzigartig in Deutschland.
UniReport: Herr Steinberg, das Haus der Stille feiert gewissermaßen sein zwölfjähriges Bestehen. Gibt es einen Grund zu feiern, hat sich das »Experiment« dieses interreligiösen Ortes, so wie Sie es einmal bezeichnet haben, Ihrer Meinung nach bewährt?
Rudolf Steinberg: Ich glaube, man kann das Jubiläum aus zwei Gründen feiern: Es ist immer noch – wenn ich recht sehe – die einzige Einrichtung dieser Art an einer deutschen Universität. Ich weiß, dass uns viele Universitäten darum beneiden, denn an einigen Hochschulen hat es Probleme mit vergleichbaren Einrichtungen gegeben, die man deswegen wieder geschlossen hat. Der zweite Grund: Als Verfassungsrechtler bin ich überzeugt davon, dass diese Form von Religiosität in einer säkularen Universität ihren Platz hat. Beide Gründe stehen dafür, dass wir etwas Gutes geschaffen haben, daher schaue ich mit Zuversicht in die Zukunft.
Es ist ja nicht ganz selbstverständlich, dass auf einem Wissenschaftscampus ein Haus steht, das sich allgemein gesprochen der Religion öffnet.
Ja, sich schon der Religion öffnet, aber es ist ein Haus der Stille – keine Moschee, keine Kirche. Das bedeutet, es richtet sich nicht nur an Gläubige, sondern auch an all diejenigen, die einfach einen Moment der Ruhe im universitären Betrieb erfahren möchten.
War die mögliche Kritik an einer solchen Einrichtung etwas, was Sie und Ihre Mitstreiter*innen damals mitbedacht haben?
Ein strikt laizistischer Weg ohne ein solches Haus wäre theoretisch auch denkbar gewesen. Die Gründung dieser Einrichtung hat historische Wurzeln, wie ja überhaupt unsere Geschichte für viel mehr Dinge verantwortlich ist, als man denkt. Wir hatten und haben heute immer noch eine Kirche auf dem Campus in Bockenheim, die auch eine beachtliche soziale Rolle gespielt hat. Beim Umzug vom Campus Bockenheim auf den Campus Westend wollten wir eine ähnliche Einrichtung auch hier schaffen, aber es war vollkommen klar, dass es keine Kirche mehr sein kann, dass wir das religiös öffnen müssen. Unsere Verfassungsordnung ist durchaus offen für religiöse Gemeinschaften – Religion wird im Grundgesetz an mehreren Stellen ausdrücklich erwähnt. Wir haben also anders als beispielsweise in Frankreich kein laizistisches System. Ich würde es als ein kooperatives System bezeichnen, dass von einer Offenheit gegenüber religiösen Anschauungen und Gruppierungen in unserem Land und von der Neutralität des Staates gegenüber den Religionen geprägt ist. Es sprechen also keine verfassungsrechtlichen Gründe gegen eine solche Einrichtung. Es war uns aber sehr wichtig, dass nicht die Universität Betreiberin des Hauses ist, sondern ein extra gegründeter „Verein zur Förderung des interreligiösen Dialoges an der Goethe-Universität Frankfurt am Main“ diese Aufgabe übernimmt. Der Universitätspräsident ist der Vorsitzende, Vertreter aller Religionen sind Mitglieder des Vereins und auch im Vorstand vertreten. Bis vor Kurzem war auch noch Staatsekretärin Ayse Asar im Vorstand. Sie gehörte damals zu den Gründungsmitgliedern und wird zu unserer Freude auf der Veranstaltung am 10. November ein Grußwort sprechen.
Die Errichtung des Hauses war damals aber auch aus einer Not heraus entstanden.
Es gab damals in Bockenheim immer wieder Klagen, nicht nur vonseiten der muslimischen Hochschulangehörigen, sondern auch von anderen, die sich etwa durch Gebete im Untergeschoss einer Bibliothek gestört fühlten. Das war der Anlass, diese unerfreuliche Situation zu beheben. Mit dem Haus der Stille war man darin erfolgreich. Es gibt heute noch auf dem Campus Riedberg kleinere Probleme, wie uns das im Kuratorium mitgeteilt wurde. Dort fehlt noch eine solche Lösung.
Individuell steht das Haus ja allen offen. Aber auch Gruppen können den Raum für Veranstaltungen buchen, darunter sind zum Beispiel auch Yoga- und Meditationsangebote.
Auch Veranstaltungen zur Achtsamkeit finden hier statt. Eine Voraussetzung für eine Buchung ist, dass es sich um Mitglieder dieser Universität handelt. Nach 18 Uhr kann also der Raum für eine bestimmte Zeit gebucht werden. Um es deutlich zu machen: Das Haus ist nicht auf religiöse Zwecke im engeren Sinne beschränkt.
Und Musikveranstaltungen?
Reine kulturelle Veranstaltungen schließen wir aus. Solche Fragen berät das Kuratorium, das ist eine unserer Hauptaufgaben, Nutzeranfragen zu sichten und zu entscheiden, ob es passt. Was wir auch ausschließen, sind Veranstaltungen, die in irgendeiner Weise kommerziellen Charakter haben.
Die Zulassung von Gruppen ist geknüpft an die Unterzeichnung eines »Revers«, einer Nutzungsordnung? Das hat wahrscheinlich seine Gründe.
Richtig. Man muss sehen, dass religiöse Aktivitäten in der Regel in vielfacher Weise einen positiven Beitrag zum gesellschaftlichen Zusammenhalt leisten, aber es gibt auch welche, die das Zusammenleben sprengen. Derartige Aktivitäten wollen wir ausschließen. Für uns ist der Lackmus-Test die Akzeptanz von Weltoffenheit und Toleranz gegenüber anderen Religionen, auch das Bekenntnis zur demokratischen Ordnung. Wer dieses Revers nicht unterschreiben möchte, den lassen wir nicht zu. Den Text haben wir vor einigen Jahren in unsere Nutzungsordnung aufgenommen. es gab durchaus auch Situationen, in denen darüber nachgedacht werden musste, ob eine bestimmte Nutzergruppe ins Haus passt oder nicht.
Wir leben ja in Jahrzehnten, in denen religiös begründete Konflikte weltweit aufgeflammt sind, ebenso darüber gestritten wird, welche Rolle in der Öffentlichkeit Religion überhaupt spielen darf und soll. Da steht das Haus der Stille in einem Spannungsfeld.
Wir achten sehr darauf, dass sich keine extremistischen Gruppierungen im Haus tummeln. Es gab mal Berichte, dass salafistische Muslime das Haus der Stille besuchten. Solange sie dort nur beten, so die Einschätzung im Kuratorium – Salafismus ist ja nicht per se terroristisch – wollten wir das nicht verhindern. Es gab aber auch Nutzeranfragen von Gruppierungen, deren Einordnung mehr als dubios war. In einzelnen Fällen musste dann die Nutzung untersagt werden. Es ist manchmal auch eine Gratwanderung: Wir wollen einerseits eine Offenheit praktizieren, aber es gibt andererseits auch Grenzen, auf deren Einhaltung wir achten müssen. Denn wenn es zu Grenzüberschreitungen käme, wäre die Existenz des Hauses in kürzester Zeit gefährdet. Das ist uns schon bewusst.
Es gab einmal im Haus der Stille den Konflikt der räumlichen Trennung bei muslimischen Gläubigen. Die Haltung des Vereins bestehe aber nicht darin, sich in solche Konflikte einzumischen, war zu lesen.
Ja, unsere Aufgabe ist es nicht, zur Emanzipation des Islam beizutragen. Wir bestehen mit Nachdruck darauf, dass keiner daran gehindert wird zu beten, wo er/sie möchte. Wenn also eine Studentin ins Erdgeschoss gehen möchte, dann darf sie niemand davon abhalten oder auf die Empore verweisen. Nur zur Einordnung: Es ist noch nicht lange her, da hatten wir in unseren Kirchen eine ähnliche räumliche Trennung. Ich bin katholisch erzogen worden. Wenn ich damals in den Gottesdienst gegangen bin, war es üblich, dass dort Frauen und Mädchen links, Männer und Jungen rechts saßen. Keiner wäre auf den Gedanken gekommen, die Seite zu wechseln.
Es gibt ja heute viele Menschen, die sich nicht mehr in den Konfessionen zu Hause fühlen, sondern zu einer eigenen, vielleicht »selbstgebastelten« Patchwork-Religion neigen. Wie sind denn Ihre Erfahrungen mit diesen Nutzer*innen?
Auch diese Menschen passen gut in das Haus der Stille. Es können aber auch Hochschulangehörige sein, die einfach mal auf dem Campus zur Ruhe kommen möchten.
Das Haus als ein Ort der Entschleunigung in einer ansonsten sehr schnelllebigen Welt …
… genau! Worauf wir großen Wert gelegt haben ist, dass das Haus architektonisch eine transzendentale Anmutung hat: mit hohen Wänden, einer interessanten Lichtgestaltung und einem Kunstwerk in Gold – eine Farbe, die von allen Religionen als religiös konnotiert wahrgenommen wird. Ansonsten gibt es keine religiösen Symbole. Das Einzige, das im Haus vielleicht etwas stört, sind die grünen Zeichen für Notausgänge, die müssen aber wegen der Bauvorschriften sein.
Fragen: Dirk Frank
JUBILÄUM DES HAUSES DER STILLE
10. November 2022, 18.00 Uhr, s.t.
Campus Westend, Goethe-Universität Casino, Renate-v.-Metzler-Saal 1.801
Begrüßung: Präsident Prof. Dr. Enrico Schleiff
Grußwort: Staatssekretärin Ayse Asar
Vortrag: „10 + 2 Jahre Haus der Stille“, Prof. Dr. Rudolf Steinberg
Festvortrag: „Räume der Stille und das Ringen um die religionssensible Universität“, Prof. Dr. Alexander-Kenneth Nagel
Podiumsdiskussion: „Die Wahrheit der Anderen. Interreligiöse Themen und Projekte auf dem Campus“
Schlusswort: Rania Boujana, Vorsitzende der Islamischen Hochschulgemeinde
Musikalische Umrahmung durch das Ensemble Perismon
Anmeldung bis zum 31.Oktober 2022 unter haus-der-stille@uni-frankfurt.de