Als junger Staatsanwalt im Frankfurter Auschwitz-Prozess hat er sich mutig für die juristische Aufarbeitung unvorstellbarer Verbrechen eingesetzt, und noch heute, mit 95 Jahren, wird er nicht müde, jungen Menschen davon zu erzählen. Nun ist Gerhard Wiese, der u.a. in Frankfurt Jura studiert hat, vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Goethe-Universität mit der Ehrendoktorwürde ausgezeichnet worden.
„Das ist des Guten zu viel“, so seine erste Reaktion auf die Nachricht von der beabsichtigten Ehrung. Nach Bundesverdienstkreuz und Hessischem Verdienstorden fand er seine Arbeit eigentlich „schon sehr gut bewertet“. Dann nahm er die Ehrung aber doch dankend an – und erzählte in Hörsaal 11 im Großen Hörsaalgebäude vor allem von seinem ehrenamtlichen Engagement: Seit er in einer Liste mit anderen bedeutenden Hessen zum 70-jährigen Bestehen des Bundeslandes genannt war, ist er immer wieder an Schulen und Universitäten zu Gast, um aus eigenem Erleben von den Frankfurter Prozessen zu erzählen, als er Teil des Teams von Generalstaatsanwalt Fritz Bauer war.
Wiese, damals 28 Jahre jung, war einer von drei Staatsanwälten, die den Mammutprozess gegen 22 Mitarbeiter des Konzentrationslagers Auschwitz vorbereiteten. Der gebürtige Berliner war für zwei besonders brutale Täter zuständig: SS-Oberscharführer Wilhelm Boger und Rapportführer Oswald Kaduk. Ronen Steinke, Journalist bei der Süddeutschen Zeitung, hob in seiner Laudatio besonders Wieses Stehvermögen und seine charakterliche Stärke hervor, die er vielen Zeitgenossen voraushatte in einer Gesellschaft, die die jüngste Vergangenheit möglichst schnell hinter sich lassen wollte. Es gehörte ein beträchtliches Maß Mut dazu, Teil der ersten justizförmigen Aufarbeitung des Mordes an sechs Millionen Juden zu sein, so Dekan Prof. Stefan Kadelbach in seiner Begrüßung. Da die Urteile zum Teil eher milde ausfielen, ging Wiese in Revision. Doch die Rechtsauffassung in Bezug auf SS-Leute im KZ Auschwitz, denen man keine konkrete Mordtat nachweisen konnte, änderte sich erst viele Jahre später. Nicht oft verleihe der Fachbereich die Ehrendoktorwürde, so Prof. Kadelbach. Zum letzten Mal sei dies vor 13 Jahren geschehen. In diesem Falle frage man sich jedoch: Warum nicht früher?