Johannes Völz über die Bürger-Uni-Reihe »POPULISMUS – KULTUR – KAMPF. Kulturelle Dynamiken illiberaler Demokratie«

UniReport: Herr Professor Völz, Populismus kann auch bedeuten, dass jenseits der manchmal auch ausgetretenen Pfade der repräsentativen Demokratie neue Impulse, Ideen und Stimmungen politisch aufgegriffen und umgesetzt werden. Gibt es vielleicht auch eine positive Seite des Populismus?

Johannes Völz: Natürlich kann es die geben – und nicht ohne Grund ist zum Beispiel in den USA, aber auch in Lateinamerika, Populismus ein traditionell eher positiv belegter Begriff. Populismus lässt sich durchaus als Phänomen der Demokratisierung verstehen, das es Menschen aus ausgeschlossenen Gruppen erlaubt, Partizipations- und Anerkennungsansprüche zu erheben. Man muss auch offen zugestehen: Unsere repräsentativen Demokratien sind längst nicht so repräsentativ, wie sie dem Namen nach sein sollten. Aber wenn wir heute von Populismus sprechen, meinen wir eigentlich etwas anderes, nämlich tendenziell autoritäre Bewegungen, die im Namen des Volkes auftreten. Genauer noch nehmen sie für sich in Anspruch, die einzigen Vertreter des Volkes zu sein – alle anderen sind „Volksverräter“. Das haben politische Theoretiker mittlerweile auch alles hinlänglich beschrieben. Was wir nun mit unserer Veranstaltungsreihe ins Zentrum rücken, ist ein Aspekt, der in Deutschland noch nicht allzu weit ins Bewusstsein vorgedrungen ist: Der aktuelle Populismus wird in den meisten Ländern als Kulturkampf ausgefochten. Kulturkämpfe finden dann statt, wenn es populistischen Kräften gelingt, eine Polarisierungsdynamik in Gang zu setzen, die breite Teile der Bevölkerung erfasst – auch diejenigen, die sich gegen die Populisten positionieren. Eine solche Polarisierung ist asymmetrisch, aber sie ist dennoch nicht auf die populistischen Kräfte selbst zu beschränken. Medien tendieren in so einer Situation dazu, sich in zwei Lager zu spalten und den Menschen bleibt nicht viel anderes übrig, als sich einer von zwei Weltsichten anzuschließen. Besonders gut beobachten lässt sich das zurzeit in den USA und in Polen. In Deutschland ist diese Entwicklung bisher nur in Ansätzen zu sehen. Umso wichtiger, das Thema jetzt auf den Tisch zu bringen, bevor wir in einen Polarisierungsstrudel geraten sind. Denn ein Strudel ist die Polarisierung wirklich: Sie entfaltet eine Eigendynamik, aus der man nicht ohne Weiteres wieder herauskommt. Das wird sich, fürchte ich, auch noch in den USA zeigen, allen Erfolgsmeldungen Joe Bidens zum Trotz.

Der erste Abend der Populismus-Reihe stellt die Massenmedien im Zeitalter des Populismus in den Fokus. Gerade in Zeiten der Pandemie ist die Kritik an den öffentlich-rechtlichen-Medien sehr laut geworden. Selbst liberale Schauspieler wie Jan Josef Liefers haben erst kürzlich behauptet, dass die Meinungsvielfalt nicht gegeben sei – können sich die Massenmedien von diesem Generalvorwurf überhaupt befreien, wenn jede Aufklärung aufs Neue den Pauschalvorwurf zu bestätigen scheint?

Die Massenmedien haben es zugegebenermaßen nicht ganz leicht in diesen Zeiten: Auf der einen Seite stehen Vorwürfe eines verengten „Meinungskorridors“; auf der anderen Seite hält man ihnen vor, Populisten wie Trump überhaupt erst zum Erfolg verholfen zu haben. Da entstehen echte Dilemmata für die Medienmacher, und die wollen wir beleuchten, indem wir Journalist*innen aus unterschiedlichen traditionellen Medien – von New York Times über FAZ bis hin zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk – zur kritischen Selbstreflexion einladen. Unsere Veranstaltungsreihe ist ja in einem Seminar des MA-Studiengangs „American Studies“ entstanden, und für die Studierenden war es keinesfalls selbstverständlich, den traditionellen Medien – und nicht etwa den sogenannten „sozialen Medien“ – die tragende Rolle im Zusammenspiel von Medien und Populismus zuzuschreiben. Aber am Ende kristallisierte sich doch ein besonderes Interesse an diesen Massenmedien heraus, nicht zuletzt auch, weil viele unserer Studierenden im Qualitätsjournalismus ein hohes Gut erkennen, das für die Demokratie wichtige Dienste leistet. Gerade Studierende der Amerikanistik wissen, wie besonders der öffentlich- rechtliche Rundfunk hierzulande ist. Was die Seminarteilnehmer*innen in der Zuspitzung des Themas daher besonders umtrieb, war nicht der vermeintliche Mangel an Meinungsvielfalt. Und nebenbei, mir persönlich erscheint die Behauptung eines Meinungskorridors auch als nicht haltbar. Die mediale Aufregung und Aufarbeitung von #allesdichtmachen beweist das ja eigentlich schon.

Nein, was die Studierenden umtreibt ist vielmehr, dass sich die Qualitätsmedien treiben lassen von der immer schneller werdenden Taktung der Schlagzeilen, von immer plumper werdenden Zuspitzungen, von immer noch persönlicheren Geschichten, kurz: vom Quotendruck. Dass diese Form von Journalismus einem Entertainment-Populismus den Weg bereitet: Das ist ein Verdacht, zu dem wir die Medienmacher*innen gern Stellung nehmen sehen würden.

Ein weiteres Thema der Reihe wird sein, welche Rolle die (fiktionale) Literatur einnehmen kann, um populistischen Bewegungen entgegenzutreten. Möglicherweise eine doppelte Überforderung angesichts der Tatsache, dass Literatur zum einen nicht zwingend der Wirklichkeitsdarstellung und -analyse verpflichtet ist und zum anderen im Zeitalter von Netflix & Co vielleicht nicht mehr die erforderliche Reichweite hat?

Ob die Literatur überfordert ist oder nicht, wenn sie sich dem Populismus anzunehmen versucht, werden wir mit unseren Gästen diskutieren. Jedenfalls wird heute an die Literatur die Erwartung herangetragen, sich mit aktuellen politischen und gesellschaftlichen Themen auseinanderzusetzen und Debattenbeiträge zu liefern – nicht nur in Form von publizistischen Essays, sondern auch mittels der Fiktion. Das lässt einerseits darauf schließen, dass die Literatur unter Relevanzdruck geraten ist: Jetzt, wo sie nicht mehr das unumstrittene Leitmedium ist, muss sie ihre Bedeutung ständig unter Beweis stellen. So entsteht der Druck, das „Buch der Stunde“ zu publizieren, was meist so etwas wie der „Roman zur Debatte“ ist. Das mag man zwar für literarisch nicht immer befriedigend halten, mitunter erfüllt es aber seinen Zweck.

Überhaupt würde ich sagen, dass sich die Literatur ruhig aus der Defensive trauen kann: dass man von ihr Beiträge erwartet, die die Gesellschaft wirklich etwas angehen, liegt schließlich auch daran, dass literarische Fiktionen Imaginationsräume aufmachen, in denen Einsichten entstehen können, die andere Medien nicht in gleicher Weise generieren können. Fiktionale Werke können zum Beispiel veranschaulichen, wie sich Erfahrungen anfühlen, die der Leserschaft erst einmal fremd sind. Und wenn wir Prozesse von gesellschaftlicher Spaltung und Fragmentierung beobachten, dann kommt der Literatur unter Umständen die Aufgabe zu, zwischen radikal unterschiedlichen Sichtweisen auf die Welt zu vermitteln. Wobei genau hier die Diskussion beginnt: Ist Literatur wirklich eine Empathiemaschine? Sollte sie anstreben, dies zu sein?

Führt eine solche gesellschaftliche Aufgabe nicht in eine ästhetische Sackgasse, die der Literatur langfristig sogar schadet? Und ist es politisch der richtige Weg, antidemokratischen Tendenzen in unserer Gesellschaft mit Empathieangeboten zu begegnen? Das sind schwierige Fragen, auf die es keine simplen Antworten gibt –, die aber doch immerhin nahelegen, dass man das volle Ausmaß populistischer Spaltungspolitik nur erfassen kann, wenn man den Blick auch auf Literatur und andere Künste wirft.

Der letzte Abend der Populismus-Reihe wird sich der Frage widmen, inwiefern besonders die Geisteswissenschaften der Wissenschaftsfeindlichkeit und -skepsis Paroli bieten können. Ein Vorwurf lautet nun aber, dass es gerade postmoderne Theorien der Geistes- und Sozialwissenschaften gewesen seien, die grundlegende Wirklichkeitsannahmen nachhaltig in Frage gestellt hätten. Also eine unmögliche Aufgabe? Oder wo sehen Sie Ansätze, ein neues Vertrauen in Wissenschaft aufzubauen?

Als wir die Reihe konzipiert haben – das war noch vor der Coronapandemie – drehte sich die Diskussion sehr stark um „Post-Truth“ und – um Kellyanne Conway zu bemühen – „alternative Fakten“. Damals war der Vorwurf in aller Munde, das postmoderne Denken habe den Weg bereitet für populistische Parallelrealitäten. Schließlich hätte die Postmoderne den Gedanken salonfähig gemacht, die Realität sei nichts als ein soziales Konstrukt. Warum dann also nicht eine direkte Linie ziehen von Jean Baudrillard zu Kelly- anne Conway? In der schärfsten Variante lautete der Vorwurf, der demokratiegefährdende Populismus sei ein Beleg dafür, dass sich die Geisteswissenschaften insgesamt auf einen Irrweg begeben hätten. Jetzt sei es Zeit für einen neuen Realismus, für „evidenzbasierte“, harte Wissenschaft. Ich glaube – ich hoffe –, dass sich mittlerweile die Einsicht durchgesetzt hat, dass das postmoderne Denken jedenfalls in den meisten Fällen keinen solch naiven, radikal relativistischen Konstruktivismus vertreten hat; dass für postmoderne Denker nicht die Existenz einer objektiven Realität zur Diskussion stand, sondern vielmehr die Frage, wie diese Realität mit historisch und kulturell spezifischen Bedeutungen aufgeladen wird. Insofern verfolgte das postmoderne Denken ein kritisches Anliegen, das direkt an die Tradition der Aufklärung anschloss. Im Zuge von Corona hat sich die Diskussion noch einmal verlagert. In der Pandemie sind alle Scheinwerfer auf die Natur- und Humanwissenschaften gerichtet, was auch bedeutet, dass sie nun ordentlich Kritik abbekommen. Mal lautet der Vorwurf, die Wissenschaft würde sich selbst widersprechen, mal, die Forderungen der Wissenschaft seien eine gesellschaftliche Zumutung, mal geht es um Expertenbashing ganz allgemein. Um dieser Wissenschaftsskepsis zu begegnen, sind gerade die Geisteswissenschaften gefragt. Denn sie sind in der Lage, über die drängenden Fragen Auskunft zu geben, die hinter dieser Skepsis stehen: Was genau ist eigentlich wissenschaftliches Wissen und was bedeutet es für die Gesellschaft, dass dieses Wissen, wie Karl Popper sagte, „falsifizierbar“ sein muss? Welchen Stellenwert hat Expertise für die Demokratie und wie sollten wir das Verhältnis zwischen wissenschaftlicher Erkenntnis von Politik begreifen? Und wie kann wissenschaftliches Wissen zu einer Form der „kollektiven Intelligenz“ werden, wie der amerikanische Philosoph John Dewey es nannte? Schließlich: Welche Bedeutung hat die Internationalität der Wissenschaft in Zeiten von populistischer Renationalisierung? All das sind Fragen, mit denen sich unsere Gäste auf dem Podium sehr eingehend auseinandersetzen, und zwar nicht nur in ihrer eigenen wissenschaftlichen Arbeit, sondern in ihren Funktionen als Vorsitzender der Hochschulrektorenkonferenz, Vizepräsidentin der DFG und Präsidentin des DAAD. Das ist ein Line-Up voller herausragender Köpfe: Leute, die in die Tiefe denken und die dabei immer das Politische und Praktische im Visier haben.

Fragen: Dirk Frank

Zum Programm der Bürger-Uni-Reihe »POPULISMUS – KULTUR – KAMPF. Kulturelle Dynamiken illiberaler Demokratie«

Dieser Beitrag ist in der Ausgabe 3/2021 (PDF) des UniReport erschienen.

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