Prof. Dr. Ingeborg Hauser im Interview mit Dr. Anne Hardy: Die Nephrologin spricht darin über die Organspende, ihre Notwendigkeit und mehr Aufklärungsarbeit zum Thema Transplantation.
Anne Hardy: Frau Prof. Hauser, viele Menschen scheuen den Schritt, nach ihrem Tod ihre Organe zur Spende freizugeben. Was sind die Gründe?
Ingeborg Hauser: Obwohl wir positive Erfahrungen mit der Lebendspende machen, ist die Mehrheit der Dialysepatienten auf die postmortale Organspende angewiesen. Die Zurückhaltung, seine Organe nach dem Tod für die Transplantation freizugeben, könnte darauf beruhen, dass man ungern an den eigenen Tod denkt. Manche Menschen befürchten auch, dass man ihnen Organe entnimmt, bevor sie wirklich hirntot sind. Aber ich kann Ihnen versichern: Für die Kollegen in der Neurologie / Neurochirurgie und Intensivmedizin zählt zuerst das Leben ihres Patienten. Sie tun ihr Bestes, um es zu erhalten. Außerdem ist der Hirntod genau definiert und die Prozesse der Organgewinnung und Organtransplantation sind in Deutschland streng getrennt.
Hardy: Nach welchen Kriterien werden die Organe vergeben?
Hauser: Berücksichtigt werden verschiedene Kriterien: die Blutgruppe, die Wartezeit ab Beginn der Dialyse, der Grad der Gewebeübereinstimmung zwischen dem Spenderorgan und dem potenziellen Empfänger, die Entfernung zwischen dem Ort der Organentnahme und dem Transplantationszentrum sowie eine Länderbilanz. Diese Daten werden in ein Computerprogramm bei der Vergabestelle Eurotransplant in Leiden, Holland, eingegeben und der passende Empfänger ermittelt. Bei Eurotransplant, kurz ET, werden alle Organspender und Empfänger gemeldet und gelistet. ET vermittelt Organe in den Benelux-Staaten, Deutschland, Kroatien, Österreich, Slowenien und Ungarn.
Hardy: Man hört auch immer wieder gruselige Geschichten von Organhandel.
Hauser: Das ist sogar ein Thema in Kriminalromanen. In Deutschland gibt es ein Transplantationsgesetz, das Transparenz, Nachvollziehbarkeit, Dokumentation und Qualitätssicherung vorschreibt. Dessen Einhaltung wird von einer Kommission streng überwacht. Wäre ich nicht überzeugt, dass die Prozesse, an denen ich als Ärztin beteiligt bin, korrekt ablaufen, könnte ich meine Arbeit nicht machen.
Hardy: Wünschen Sie sich mehr Aufklärung über Organtransplantation?
Hauser: Ja, es sollte Fortbildungen an Schulen und Universitäten geben, aber auch in der breiten Öffentlichkeit und wir führen diese schon durch, aber sicher noch zu wenig. Eine objektive, sachliche Aufklärung, zum Beispiel darüber, wie der Hirntod festgestellt wird und dass die Diagnostik über Richtlinien geregelt ist, nimmt Ängste und Befürchtungen und ist der wichtigste Weg, die Organspendebereitschaft zu steigern. Wichtig ist es auch zu erzählen, wie viele Leben durch die Vergabe von Organen gerettet oder verlängert werden. Für mich ist es sehr befriedigend, bei der Langzeitbetreuung von Patienten zu sehen, dass es ihnen nach der Transplantation dauerhaft besser geht.
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Zur Person
Prof. Dr. Ingeborg Hauser studierte Medizin an der Goethe-Universität und begann ihre Ausbildung in der Abteilung für Nephrologie des Universitätsklinikums. Sie befasste sich schon in ihrer Dissertation mit der Nierentransplantation. 1990 bis 1992 führte sie ein durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft geförderter Studienaufenthalt an die Yale University, an der sie die Leukozyten-Endothelzellinteraktion in der Niere untersuchte. Von 1993 bis 1997 war sie an der Universität Erlangen-Nürnberg tätig, wo sie sich 1997 für Innere Medizin habilitierte. Seit 1998 arbeitet sie am Zentrum für Innere Medizin der Goethe-Universität; 2005 wurde sie zur außerplanmäßigen Professorin ernannt. Seit April 2010 leitet sie den Bereich Nierentransplantation an der Universitätsklinik im Funktionsbereich Nephrologie.
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Hardy: Welche Faktoren begünstigen ein langes Leben mit einem Spenderorgan?
Hauser: Entscheidend ist, dass das Organ passend und zur Transplantation geeignet ist. Bei der Nachsorge wird eine gründliche Anamnese erhoben, der Patient körperlich untersucht, die Laborwerte von Blut und Urin werden kontrolliert, die Durchblutung der Niere im Ultraschall überprüft und immunologische und infektiologische Marker getestet. Wichtig für die Prognose sind zudem die Begleiterkrankungen des Empfängers und die sorgfältige Einnahme der Immunsuppressiva. Der Erfolg der Transplantation ist insgesamt das Ergebnis einer engen Teamarbeit, an der viele Fachdisziplinen und Berufsgruppen beteiligt sind und nicht zuletzt der Patient selbst.
Hardy: Es mehren sich die Hinweise darauf, dass die jahrelange Immunsuppression bei transplantierten Patienten das Krebsrisiko erhöht.
Hauser: Auch bei Dialysepatienten, die nicht transplantiert wurden, ist eine erhöhte Tumorrate beobachtet worden. Richtig aber ist, dass insbesondere Hauttumore unter der Immunsuppression bei Langzeittransplantierten deutlich häufiger als bei der Durchschnittsbevölkerung auftreten; bei diesen Patienten werden sogenannte mTor-Inhibitoren erfolgreich als Immunsuppressiva eingesetzt. Diese vermindern die de novo Tumorentstehung signifikant, wie in Studien gezeigt wurde. Unbedingt sollten die Patienten einmal pro Jahr zum Hautarzt gehen und konsequent Sonnenschutz verwenden. Mit weniger als einem Prozent zwar selten, aber lebensbedrohlich sind virusassoziierte Lymphome im Posttransplantationsverlauf.
In vielen Fällen sind diese durch Reduktion und Modifikation der Immunsuppression behandelbar, wenn sie rechtzeitig erkannt werden. Das gilt genauso für Infektionen, die frühzeitig erfasst und rasch therapiert werden müssen, um ungünstige Verläufe zu vermeiden. Infektionen stellen neben Herz-Kreislauf-Erkrankungen eine Hauptkomplikation nach Nierentransplantation dar. Bei allen Komplikationen, die auftreten können, ist aber zu bedenken, dass die Lebensqualität und auch die Lebenserwartung des Nierentransplantierten signifikant besser ist als an der Dialyse.
Hardy: Gibt es für die Organempfänger eine psychologische Betreuung? Man liest, dass sie oft schon vor der Transplantation mit Schuldgefühlen belastet sind, weil sie auf den Tod eines anderen Menschen warten. Manche Menschen entwickeln nach der Transplantation eine posttraumatische Belastungsstörung. Wie ist Ihre Erfahrung damit?
Hauser: Wir bieten psychologische Betreuung für die Organempfänger an, aber sie wird nur selten in Anspruch genommen. Unausgesprochene Schuldgefühle mögen bei einigen Patienten vorhanden sein, aber in der Mehrzahl der Fälle sind die Organempfänger nur unendlich dankbar für den Altruismus der Organspender, die bereit waren, ihre Organe zu spenden und damit ihnen und meist noch weiteren Organempfängern zu helfen.