Zum ersten Mal in seiner 70-jährigen Geschichte wurden die Preisträger zweier Jahre mit dem Paul Ehrlich- und Ludwig Darmstaedter-Preis geehrt. Bonnie Bassler und Michael Silverman erhielten die Auszeichnung des Jahres 2021 für ihre bahnbrechenden Beiträge zur Kommunikation zwischen Bakterien, die den Weg zu einer völlig neuen Antibiotikaklasse eröffnen. Den Preis des Jahres 2022 teilen sich Katalin Karikó, Uğur Şahin und Özlem Türeci, deren Erforschung der messenger RNA (mRNA) in der spektakulär schnellen Entwicklung eines hochwirksamen Impfstoffs gegen Covid-19 gipfelte und zudem aussichtsreiche Perspektiven im Kampf gegen Krebs bietet.
Für einen sehr berührenden Moment in der Frankfurter Paulskirche sorgte Bonnie L. Bassler. In ihrer Dankesrede erinnerte die Preisträgerin des Jahres 2021 daran, dass sie die Auszeichnung nur deshalb persönlich entgegennehmen kann, weil die ihr nachfolgenden Preisträger des Jahres 2022 spektakulär schnell einen Impfstoff gegen das Corona-Virus SARS-CoV-2 entwickelt haben. Wegen der Corona-Pandemie war die Ehrung im vergangenen Jahr ausgefallen. „Tatsächlich hat ihr Engagement dafür gesorgt, dass die gesamte Menschheit dort sein kann, wo jeder Mensch heute ist“, sagte die Professorin der Princeton University.
Resistente Bakterien im Visier
Sie selbst und ihr Mitstreiter Prof. Michael R. Silverman – er nahm virtuell an der Preisverleihung teil – haben das Fundament für ein neues Antibiotika-Prinzip gelegt. Die beiden Mikrobiologen entdeckten und entschlüsselten die Sprache, in der Bakterien miteinander kommunizieren. Die genaue Kenntnis der Sprachenvielfalt und deren gezielte Beeinflussung bieten einen völlig neuen Ansatz, gegen unerwünschte Bakterien vorzugehen. Denn Bakterien, gegen die herkömmliche Antibiotika nichts mehr ausrichten können, sind weltweit auf dem Vormarsch. Das bedeutet eine tödliche Gefahr, die nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation alarmierende Ausmaße angenommen hat.
Medizinrevolutionäre im Kampf gegen Krebs und SARS-CoV-2
Große Aufmerksamkeit erhielten auch die Biochemikerin Katalin Karikó und das Medizinerpaar Uğur Şahin und Özlem Türeci. Das Team des Pharmaunternehmens BioNTech leistete Entscheidendes: Durch die langjährige Arbeit der drei Preisträger war es überhaupt erst möglich, dass bereits kurz nach Ausbruch der Corona-Pandemie ein hochwirksamer Impfstoff gegen COVID-19 zur Verfügung stand. Diese „spektakulär schnelle“ Entwicklung würdigt die Jury als „herausragenden Erfolg“ – nicht nur im Kampf gegen Corona. Über die Entwicklung des Impfstoffes hinaus etablierten Katalin Karikó, Özlem Türeci und Uğur Şahin eine Technologie, „die in Teilbereichen der Medizin einen Paradigmenwechsel einleiten dürfte“, begründete der Stiftungsrat seine Wahl. Die Möglichkeiten reichten von der Gabe von Impfantigenen oder therapeutisch wirksamen Proteinen hin zur internen Produktion in den Körperzellen der Patienten.
Entscheidender Durchbruch
Ohne Katalin Karikó hätte es die Corona-Impfstoffe von BioNTech vielleicht nie gegeben. Die Ungarin entdeckte bereits in den 1990er Jahren, wie sich die körpereigene Abwehrreaktion gegen synthetische mRNA ausschalten und damit die intrazelluläre Proteinproduktion deutlich erhöhen ließ. Lange Jahre jedoch fand die Entdeckung der Biochemikerin keine Beachtung. Während in Therapien mit DNA große Hoffnungen gesetzt wurden, schien mRNA für einen medizinischen Einsatz nicht infrage zu kommen. Karikó verlor ihr Ziel jedoch nie aus den Augen. Obwohl sie keine Forschungsmittel erhielt, blieb sie bei ihrer RNA und forschte weiter an der Universität von Pennsylvania in den USA.
Wegweisendes Verfahren
Özlem Türeci und Uğur Şahin konzentrierten sich zunächst auf Krebs-Impfstoffe. mRNA schien ihnen am besten dafür geeignet. Sie entwickelten „ein wegweisendes Verfahren, um jeden mRNA-Impfstoff maßgenau an das genetische Profil des Tumors eines Patienten anzupassen“, so der Stiftungsrat. Diese „bahnbrechenden Fortschritte“ bildeten die Grundlage für einen breiteren Einsatz von mRNA – wie für die Entwicklung des COVID-19-Impfstoffs. 2008 bewiesen sie großen Unternehmermut und gründeten die Firma BioNTech. Katalin Karikó schloss sich dem Unternehmen 2013 an – eine vielversprechende Zusammenarbeit. Denn die drei Wissenschaftler möchten, dass mRNA Grundlage für viele neue Therapien wird, gegen Krebs, gegen Erbkrankheiten. Damit könnte eine über 100 Jahre alte Idee von Paul Ehrlich Wirklichkeit werden: maßgeschneiderte Medikamente gegen verschiedene Krankheiten, passend für jeden Patienten.
Herausragende Nachwuchsforscherinnen
Neben den Hauptpreisen wurde auch der Paul Ehrlich- und Ludwig Darmstaedter-Nachwuchspreis zweifach vergeben. Den Nachwuchspreis für 2021 erhielt die Biologin Elvira Mass. Sie hat durch die geschickte Anwendung genetischer Markierungsverfahren entdeckt, dass die gesunde Entwicklung eines Organismus schon sehr früh von spezialisierten Immunzellen gesteuert wird, die dem Dottersack des Embryos entstammen. Mit dem Nachwuchspreis für 2022 wurde die Ärztin Laura Hinze ausgezeichnet. Sie hat mit Hilfe eines genomweiten Screenings entdeckt, auf welchem Weg sich die Resistenz von Leukämiezellen gegen ein bestimmtes Chemotherapeutikum überwinden lässt. Daraus hat sie auch eine neue mögliche Strategie zur Behandlung solider Tumore wie Darmkrebs abgeleitet.
Mehr Informationen unter der Webpage: www.paul-ehrlich-stiftung.de/