Wie sauber ist die Nidda?

Während ihrer Doktorarbeit in der Aquatischen Ökotoxikologie bei Prof. Jörg Oehlmann hat Carolin Völker oft Sedimentproben an der Nidda genommen. „Die Tiere im Sediment zu bestimmen und zu zählen gibt einem schnell Auskunft über die Wasserqualität“, sagt die Biologin. „Findet man beispielsweise Libellenlarven, ist das ein gutes Zeichen. Sind jedoch die Larven der roten Zuckmücke vermehrt, ist das Wasser verschmutzt“, fährt sie fort. Zuweilen traf Carolin Völker bei der Probenentnahme auch Schulklassen, die ihr neugierig zuschauten.

Nach nur einer Stunde Einweisung konnten die Schüler bereits fachmännisch Schnecken, Muscheln, blutsaugende Egel und stachelbewehrte Grundwanzen erkennen. Bürger über die Belange des Gewässerschutzes zu informieren ist eines der Ziele von „NiddaMan“. Das regionale Verbundprojekt unter Federführung der Goethe-Universität wird in den kommenden drei Jahren Strategien für ein nachhaltiges Wasserressourcenmanagement im Einzugsgebiet der Nidda entwickeln. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert das Vorhaben im Förderschwerpunkt „Nachhaltiges Wassermanagement“ mit 2,4 Millionen Euro. Hintergrund der BMBF-Fördermaßnahme ist, dass 70 Prozent der Gewässerabschnitte in Deutschland nicht den von der Europäischen Union geforderten guten bis sehr guten ökologischen Zustand erreicht haben.

Ende 2015 läuft die Frist für die Einhaltung der EUWasserrahmenrichtlinie ab. Deshalb hat das BMBF vor zwei Jahren Forschungsprojekte zur nachhaltigen Bewirtschaftung der regionalen Gewässer ausgeschrieben. „NiddaMan“ gehört zu den 14 Anträgen, die jetzt aus ursprünglich 121 Projektskizzen zur Förderung ausgewählt wurden. „Das Einzugsgebiet der Nidda ist in vielfacher Hinsicht repräsentativ für Fließgewässer in Mitteleuropa. Hier lassen sich exemplarisch Nutzungskonflikte untersuchen und modellhaft Lösungen entwickeln“, erklärt Prof. Jörg Oehlmann, Koordinator von „NiddaMan“ und Leiter der Abteilung Aquatische Ökotoxikologie der Goethe-Universität.

Belastungen im Mittel- und Unterlauf der Nidda

Die von der Quelle im Vogelsberg bis zur Mündung in den Main etwa 100 Kilometer lange Nidda ist in ihrem Oberlauf noch in einem nahezu naturnahen Zustand. Die Wasserqualität ist gut, der Flusslauf naturbelassen und die Biodiversität entsprechend groß; das heißt, es gibt eine breite Vielfalt an Mikroorganismen, wirbellosen Tieren, Fischen, anderen Wirbeltieren und Vegetation am Ufer. Im Mittellauf treten zunehmend Konflikte zwischen Ökologie und landwirtschaftlicher Nutzung angrenzender Flächen auf.

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blog_unireport_nidda_graphBezugsgröße der Belastungskarte für das Arzneimittel Diclofenac (z.B. aus dem Schmerzmittel Voltaren) ist die neue Umweltqualitätsnorm (UQN) von 0,1 μg/L für Diclofenac, die für einen guten chemischen Zustand der Gewässer eingehalten werden muss. Nur in den grün markierten Bereichen werden die UQN nicht überschritten, in den gelb, orange, rot und violett markierten Gewässerabschnitten dagegen bis zum Faktor 2, 3, 4 bzw. um mehr als Faktor 4 überschritten.

 

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Im Unterlauf entstehen weitere Belastungen durch Wasserentnahmen in Siedlungen, Abläufe von Verkehrsflächen und versiegelten Bereichen, Industrie- und kommunale Abwässer und die Einleitung von solehaltigem Wasser durch Bäderbetriebe. Außer der Verschlechterung der Wasserqualität hat die menschliche Besiedlung auch Veränderungen im Flussverlauf mit sich gebracht. Zur Landgewinnung und zum Schutz vor Hochwasser wurden Flussabschnitte kanalisiert, eingedeicht und mit Wehren versehen. Damit verschwanden die Flussauen mit ihrer typischen Flora und Fauna und die Wanderung von Fischen wurde behindert. Stellenweise hat man versucht, diesen Verlust durch Renaturierungsmaßnahmen und Fischtreppen in den Wehren rückgängig zu machen. Doch die milliardenschweren Investitionen waren nur mäßig erfolgreich.

Das Ziel der elf Projektpartner von „NiddaMan“ ist es, bisher verstreutes Wissen zu bündeln und Synergien zwischen Wissenschaft, Praxis und Öffentlichkeit zu nutzen. Beteiligt sind die Universität Tübingen, das Karlsruher Institutfür Technologie, die Technische Universität Darmstadt, das Frankfurter ISOE – Institut für sozial-ökologische Forschung, die Bundesanstalt für Gewässerkunde in Koblenz sowie zwei Darmstädter Ingenieurbüros (Brandt Gerdes Sitzmann Wasserwirtschaft GmbH, Unger Ingenieure GmbH).

Assoziierte Partner sind das Hessische Landesamt für Umwelt und Geologie in Wiesbaden, das Regierungspräsidium Darmstadt und der Wetteraukreis, Friedberg. Im ersten Forschungsschwerpunkt wollen die Wissenschaftler neue Verfahren zur Überwachung von anthropogenen Spurenstoffen entwickeln und neue, bisher unbekannte Substanzen im Wasser aufspüren. Im zweiten Schwerpunkt soll erforscht werden, wie sich Abwassereinleitungen und Gewässerausbau auf Organismen und Lebensgemeinschaften im Fluss auswirken. Dafür eignen sich die in der Abteilung Aquatische Ökotoxikologie entwickelten Tests mithilfe wirbelloser Tiere.

„Wir wollen weitere Biomarker finden und organismische Tests entwickeln, aus denen wir Grenzwerte für bisher nicht ökotoxikologisch bewertete Substanzen ableiten können“, erklärt Dr. Ulrike Schulte-Oehlmann das Arbeitspaket, das sie in den kommenden Jahren zusammen mit Master-Studenten und Doktoranden in Angriff nehmen wird. Einen Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis ist im dritten Schwerpunkt geplant, in dem die sozial-ökologischen Prozesse untersucht werden sollen, die zur Belastung des Flusses geführt werden.

„Für ein nachhaltiges Wasserressourcen-Management ist es wichtig, die Interessen unterschiedlicher Akteure in einer Konfliktfeldanalyse zu erfassen und mit ihnen in einen regelmäßigen Dialog zu treten“, erklärt Carolin Völker. Sie arbeitet inzwischen am ISOE – Institut für sozial-ökologische Forschung, das sich auf diese Schnittstelle spezialisiert hat. „Das Interesse der Stakeholder an einem Dialog war bereits in der Phase der Antragstellung sehr groß“, berichtet sie.

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blog_unireport_nidda_makroMakrozoobenthos-Organismen, d. h. tierische Organismen, die man noch mit dem Auge erkennen kann (von oben im Uhrzeigersinn): 3 Bachflohkrebse, 3 Eintagsfliegenlarven von zwei verschiedenen Spezies, 2 Egel, 1 Kugelmuschel, 4 Dipterenlarven von 4 unterschiedlichen Arten, 3 Zwergdeckelschnecken, 2 Käferlarven und 2 Käfer-Imagines, 1 Hydropsyche (köcherlose Köcherfliegenlarve), 2 unterschiedliche Köcherfliegenlarven). Foto: Oehlmann

 

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Solche Dialoge dienen nicht nur der Aushandlung von Kompromissen. Hier werden Forschungserkenntnisse auf ihre Praxistauglichkeit überprüft, praktische Erfahrungen geben neue Impulse für die Forschung. Bürgerbeteiligung Bewusst werden auch Bürger dazu eingeladen, durch ihre Beobachtungen einen Beitrag zur Forschung zu leisten. Geplant ist ihre Mitwirkung an einer „Wissenslandkarte“ der Nidda. Darin will Carolin Völker alle bisher bekannten Daten zur Schadstoffbelastung und Renaturierungsmaßnahmen in verständlicher Form eintragen. Sie sollen im Laufe des Projekts ergänzt werden, auch durch die Mitarbeit von Bürgern, die per App eintragen können, wo sie beispielsweise ein Nutria oder einen Eisvogel gesehen haben.

„Auch Angler wissen unglaublich viel über ihren Fluss und sind sehr daran interessiert, ihn zu schützen“, weiß die Biologin. Sie hat bereits viele Ideen, wie Bürger auch an wissenschaftlichenBeobachtungen beteiligt werden könnten. „Die Leute interessieren sich unglaublich für diesen Fluss“, sagt sie aus Erfahrung. Um die technische Seite, nämlich Maßnahmen zur Verminderung vonSchadstoffeinträgen, geht es im vierten Schwerpunkt. Hier wollen die Partner Abwasseranlagen entlang der Nidda bewerten sowie ein Baukastensystem für technische und betriebliche Maßnahmen entwickeln, um den Eintrag von Pflanzennährstoffen und Schadstoffen zu reduzieren.

Eine Vorhersage über die Wirkung unterschiedlicher Maßnahmen soll die Modellierung unterschiedlicher Szenarien im fünften Schwerpunkt ermöglichen. Dabei werden nicht nur Abflüsse, Stoffeinträge und die Gewässergüte im Einzugsgebiet der Nidda berücksichtigt, sondern auch demographische Entwicklungen und Auswirkungen des Klimawandels wie Starkregen oder Wasserknappheit.

Die gesammelten Erkenntnisse von NiddaMan sollen abschließend in ein Informations- und Managementsystem einfließen, das als Instrument für die wasserwirtschaftliche Praxis auch auf andere Regionen übertragbar sein sollte. Im Fokus stehen die Bereiche Gewässerüberwachung, effektive Planung wasserwirtschaftlicher Maßnahmen, Bildung und Qualifizierung von Fachpersonal, die Überwindung bisheriger Hemmnisse für ein effizientes Management der Wasserressourcen sowie Wissenstransfer in angrenzende Forschungssektoren.

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