Das Forschungsgebiet des Geophysikers Georg Rümpker klingt zunächst nach Zerstörung und Katastrophe: Nach eingestürzten Gebäuden, verwüsteten Städten, Tausenden von Toten. Rümpker leitet nämlich am Institut für Geowissenschaften der Goethe-Universität die Arbeitsgruppe „Seismologie“, Erdbebenforschung. Natürlich gibt es Seismologen, die sich mit den Mechanismen von beziehungsweise mit der Gefährdung durch Erbeben beschäftigen – Rümpker gehört allerdings nicht unbedingt dazu.
Zwar überwacht er in Zusammenarbeit mit dem hessischen Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie die seismische Aktivität im nördlichen Oberrheingraben, um festzustellen, ob die dort geplante Nutzung von „tiefer Geothermie“ zu mehr Erdbeben führen würde. Vor allem aber interessiert er sich für Struktur und Aufbau des Erdinneren. „Die meisten Erdbeben, die wir dazu auswerten, werden vom Menschen gar nicht bemerkt“, sagt er, „man könnte sie als ,nützliche Erdbeben‘ bezeichnen, weil sie es ermöglichen, hunderte von Kilometern tief in die Erde zu blicken.“
Rümpker nutzt Erschütterungswellen, die von schwachen bis mittelstarken Beben ausgelöst und von Seismometern aufgezeichnet werden. Er und seine Arbeitsgruppe installieren und überwachen die Messinstrumente: auf dem kleinen Feldberg in der Umgebung des Taunus-Observatoriums, in Ostafrika und im Indischen Ozean; in einem Seismometerbunker, im Erdboden vergraben oder auf dem Meeresgrund; durch spezielle Stromkabel, Batterien oder Solarzellen mit Energie versorgt; als Teil eines Arrays, also einer Anordnung mehrerer Geräte, typischerweise jeweils im Abstand von einigen Kilometern.
Die gemessenen Seismogramme vergleicht Rümpker mit Simulationen, die für einen vorgegebenen Untergrund die zu erwartende Ausbreitung seismischer Wellen beschreiben; dieser Vergleich gibt Aufschluss über den tatsächlichen Untergrund. Weil in einem Array jede Erschütterungswelle von mehreren Seismometern registriert wird, lassen sich nicht nur ihr Ausgangsort, sondern auch ihre Fortbewegung im Untergrund bestimmen.
Auf diese Weise erhält Rümpker für einen bestimmten Ausschnitt des Erdinneren ein dreidimensionales Bild von den Vorgängen, die dort ablaufen. Er erfährt etwas darüber, welche Prozesse dort ablaufen, und kann rückschließen, wie sich der Aufbau des Erdinneren verändert.
Fließvorgänge im Erdinneren
Zum Beispiel dient das Mineral Olivin, das im oberen Erdmantel häufig vorkommt und aus ganz regelmäßig angeordneten Atomen besteht, in der Geophysik als wichtiger Informant: „Seismische Wellen breiten sich darin in einer Richtung schneller aus als in den anderen“, erläutert Rümpker, „sie geben dadurch einen eindeutigen Hinweis auf Fließvorgänge im oberen Erdmantel – über sehr lange Zeiträume fließen auch die festen Gesteine im Erdinneren.“
Zusammen mit dem Geoforschungszentrum (GFZ) Potsdam haben Rümpker, seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anhand der Wellenausbreitung in Olivinkristallen untersucht, wie der Zusammenstoß tektonischer Platten in Madagaskar über Jahrmillionen hinweg die Deformation der Gesteine beeinflusst hat. Einige Hundert Kilometer östlich der madagassischen Plattengrenze liegt die Insel La Réunion, wo sich ein sogenannter Hotspot befindet, ein geologisch sehr aktiver Bereich, der insbesondere durch Vulkanismus gekennzeichnet ist.
In einer großen Kooperation deutscher und französischer, auch einheimischer Arbeitsgruppen stellt Rümpker sich die Frage, wie und aus welcher Tiefe des Erdinneren heißes Gesteinsmaterial aufströmt, wie es für Hotspots charakteristisch ist. Auch die im Atlantik vor Westafrika gelegene Inselgruppe der Kapverden ist ein Hotspot, den Rümpker untersucht; im Gegensatz zu den Messungen auf La Réunion sind auf der kapverdischen Insel Fogo allerdings nur Seismologen der Goethe-Universität und einheimische Partner beteiligt.
Dort brach vor anderthalb Jahren der Vulkan Pico do Fogo aus. „Wir hatten einige Jahre zuvor schon den Untergrund unter den Kapverden analysiert“, berichtet Rümpker. „Deshalb wurde ich bei den Nachrichten von der aktuellen Eruption hellhörig und beschloss, dort die Gefährdung durch Vulkanismus genauer zu erforschen.“ Er möchte sich in Zukunft allerdings nicht nur dem Zusammenhang zwischen Vulkanismus und Erbeben widmen.
Traumziel Sandwich-Inseln
Sein wissenschaftliches Traumziel sind die südlichen Sandwichinseln. Er schwärmt über die unbewohnte Inselgruppe im Südatlantik: „In dieser Region gibt es alle geophysikalischen Phänomene der Plattentektonik auf einmal. Zum Beispiel schiebt sich dort die südamerikanische Platte unter die Sandwichplatte. Und Sie finden nicht nur diese Subduktions-, sondern auch eine ozeanische Riftzone und ausgeprägte Transformverwerfungen, und die ganze Gegend ist seismologisch höchst aktiv.
Wir haben schon Messzeit auf einem Forschungsschiff beantragt, um dort unsere Ozeanboden-Seismometer zu installieren.“ Aber Rümpkers wissenschaftliches Interesse richtet sich nicht nur auf exotische Inseln. Derzeit ist seine Arbeitsgruppe dabei, zusammen mit Seismologen von insgesamt sieben deutschen Universitäten, dem GFZ in Potsdam sowie Forschern aus sämtlichen Alpen-Anrainerstaaten ein Array aus mehreren Hundert seismologischen Messstationen in den und in der Nähe der Alpen aufzubauen.
„Wir wollen herausfinden, wie die tektonischen Platten unter den Alpen miteinander kollidieren. Die Frage ist, was dabei im Erdmantel passiert“, sagt Rümpker. Eine Antwort könnten die „nützlichen Erbeben“ geben.
[Autorin: Stefanie Hense]