DaZ? Nicht zuletzt aufgrund des derzeitigen Flüchtlingszustroms wissen immer mehr Menschen, wofür dieses Kürzel steht: Deutsch als Zweitsprache. Mit ihrem Forschungsschwerpunkt ‚Deutsch als Zweitsprache‘ ist die Professorin Petra Schulz, die am Institut für Psycholinguistik und Didaktik der deutschen Sprache lehrt, derzeit verstärkt als Expertin gefragt, wenn es um Themen wie Sprachförderung und Mehrsprachigkeit geht. Hat sie doch seit 2006, als sie von der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe an die Goethe-Universität wechselte, die erste und immer noch einzige DaZ-Professur Hessens inne.
Gemeinsam mit ihren aktuell elf wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern hat sie den Bereich Deutsch als Zweitsprache mit einer forschungsorientierten Perspektive etabliert. Ihr Anliegen ist es, Erkenntnisse der Grundlagenforschung unmittelbar für didaktische Themen wie Sprachdiagnostik und Sprachförderung fruchtbar zu machen. So hat sie 2011 zusammen mit der Mannheimer Kollegin Prof. Rosemarie Tracy den Sprachtest LiSe-DaZ® veröffentlicht, der als erstes Verfahren explizit Kinder mit DaZ als Zielgruppe hat.
Auch zur Entwicklung und Evaluation von Konzepten zur Sprachförderung bei Kindern mit DaZ hat Schulz mehrere Projekte geleitet. „Unser Schwerpunkt liegt auf dem Zweitspracherwerb im Kindergarten- und Grundschulalter“, erläutert Schulz. Da bestehe trotz der hohen gesellschaftspolitischen Relevanz in Deutschland immer noch ein erhebliches Forschungsdefizit. Mit Hilfe von spracherwerbstheoretisch motivierten Untersuchungen geht Petra Schulz folgenden Fragen nach:
Wie unterscheidet sich der frühe Zweitspracherwerb vom Erwerb der Erstsprache? Welche Faktoren beeinflussen den Spracherwerb und wie äußern sich Sprachentwicklungsstörungen? Antworten auf diese Fragen dienen im besten Fall sowohl der Theoriebildung in der Sprachwissenschaft als auch der Nutzung für die Didaktik. Als Beispiele nennt Schulz das vor kurzem abgeschlossene LOEWE-Projekt „MILA“ im Zentrum IDeA, in dem sie mit ihrem Team den gestörten und ungestörten Zweitspracherwerb des Deutschen im Längsschnitt untersucht hat.
Und auch in dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projekt cammino ging es um mehrsprachige Kinder mit und ohne Sprachentwicklungsstörung. Das cammino-Team untersuchte, wie zuverlässig Erzieher, Lehrer, Ärzte und Eltern die sprachliche Entwicklung eines mehrsprachigen Kindes am Übergang von der Kita zur Grundschule beurteilen können und wie häufig Fehldiagnosen sind. Schulz interessiert sich besonders dafür, wie Kinder die Fähigkeit erwerben, Sprache zu verstehen.
Das sei für viele sprachliche Strukturen, wie zum Beispiel Relativsätze, noch völlig offen, erklärt sie. Als Mitglied der DFG-Forschergruppe „Relativsätze“ leitet sie das Teilprojekt, das klären soll, wann und wie Kinder verschiedene Bedeutungen von Relativsätzen unterscheiden lernen. Beispiel: „Gib mir bitte das Auto, das blau ist.“ Entweder geht es nur um ein einziges Auto, und man bekommt die Zusatzinformation, dass das Auto blau ist. Oder aber es gibt mehrere Autos, und der Relativsatz ist nötig, um das richtige, nämlich das blaue Auto auszuwählen.
In diesem Projekt wird ausschließlich der Spracherwerb einsprachiger Kinder untersucht. „Nur wenn Sie wissen, wie einsprachige Kinder ihre Muttersprache erwerben, können Sie den Zweitspracherwerb sinnvoll erforschen“, erklärt Schulz. Der Erwerb verlaufe prinzipiell nach den gleichen Mechanismen, sei allerdings variationsreich. So sei es wichtig, in welchem Alter das Kind systematisch in Kontakt mit der deutschen Sprache komme, ob im Kindergarten oder erst während der Schule, und wie lange es Kontakt mit dem Deutschen gehabt habe.
Grundlagenforschung mit Relevanz für Alltag „Das Fach DaZ bietet mir die Möglichkeit, Grundlagenforschung mit Themen zu verbinden, die eine hohe Relevanz für den Alltag besitzen“, sagt Schulz. „Außerdem finde ich es faszinierend, dass das Thema so viele Facetten besitzt: Als Spracherwerbsforscher müssen wir uns in der linguistischen Theorie sehr gut auskennen, verschiedene empirische Methoden beherrschen, Statistikkenntnisse sind wichtig, und natürlich kreative Ideen“, zählt sie auf.
„Nicht zu vergessen die Teamarbeit, die bei uns eine große Rolle spielt. Die besten Ideen für ein neues Experiment entstehen oft beim gemeinsamen Nachdenken.“ Dabei ist die Zusammenarbeit mit anderen Wissenschaftlern bei weitem nicht auf Deutschland beschränkt. „Der Bauplan der menschlichen Sprachen ist universell“, erläutert Schulz, „deshalb kann ich mit Spracherwerbsforschern auf der ganzen Welt sinnvoll kooperieren.“ Als Beispiel nennt sie das von 2009 bis 2013 laufende europäische Projekt Bi-SLI zur Diagnostik von Spezifischen Sprachentwicklungsstörungen (SLI) bei mehrsprachigen Kindern;
Schulz hat hier gemeinsam mit Theo Marinis (University of Reading) eine internationale Arbeitsgruppe geleitet, die Teilnehmer aus mehr als 30 Ländern umfasste. Neben ihrer Forschung bemüht sich Schulz darum, eine Brücke zur pädagogischen Praxis zu schlagen: Mit ihrer Arbeitsgruppe betreibt sie die „Informations- und Forschungsstelle Deutsch als Zweitsprache“ (Info-DaZ), die sich mit Vorträgen und Fortbildungen dem Wissenstransfer für Schulen, Kitas und Gesundheitsinstitutionen widmet.
Auch verschiedene Kultusministerien hat sie schon beraten. Daneben fordert der akademische Alltag Zeit und Energie, da sie nicht nur als geschäftsführende Institutsdirektorin fungiert, sondern auch als Prodekanin des Fachbereichs 10. Sie wünscht sich daher in der Hektik des Uni-Alltags mehr Zeit für die vielen Ideen, die schon lange auf der To-do-Liste stehen.