Interview mit Birgit Sander, Leiterin des Museum Giersch der Goethe-Universität

Ein Haus für die Bürgergesellschaft und die universitäre Community: Birgit Sander leitet seit dem 1. Mai das Museum Giersch der Goethe-Universität. Im Gespräch mit dem UniReport spricht die promovierte Kunsthistorikerin über ihre ersten 100 Tage im Amt.

Birgit Sander vor dem Doppelbildnis des Justinian von Holzhausen und seiner Frau Anna von Conrad Faber von Kreuznach, 1536, in der Sonderausstellung »Welt im BILDnis. Porträts in Frankfurt zwischen Renaissance und Aufklärung«. (Foto: Dettmar)

UniReport: Frau Dr. Sander, herzlichen Glückwunsch zur Leitung des Museums. Hatten Sie Pläne für die berühmten »ersten 100 Tage«, wie sind Sie in Ihre neue Position gestartet?

Birgit Sander: Mein Start am 1. Mai 2020 fiel in eine Zeit der Museumsschließung. Angesichts des Corona-Lockdowns hatten wir Mitte März die Aufbauten zu unserer Sonderausstellung „Welt im BILDnis. Porträts, Sammler und Sammlungen in Frankfurt von der Renaissance bis zur Aufklärung“ abbrechen müssen. Die geplante Eröffnung am 26. März konnte nicht stattfinden. Anfang Mai zeichnete sich ab, das Museum wieder behutsam öffnen zu können. So ich habe ich den finalen Ausstellungsaufbau koordiniert, mich mit dem Kulturamt der Stadt Frankfurt ebenso wie mit dem Corona-Krisenstab der Universität abgestimmt und die notwendigen Hygiene- und Schutzmaßnahmen eingeleitet. Sämtliche Leihgeber haben einer Leihfristverlängerung zugestimmt, so dass wir die Ausstellung bis zum 13. September zeigen können. Ich habe hier eine große Kollegialität unserer Partner empfunden. Als wir am 12. Mai wieder die ersten Besucher und Besucherinnen im Museum begrüßen konnten, war dies für uns ein ausgesprochen glücklicher Tag!

Was konnten Sie von Ihren Planungen realisieren?

Die Ausstellung „Welt im BILDnis“ zeigt, dass die Faszination des Porträts, die sich in unserer Gegenwart in massenhaft digital verbreiteten Porträts und „Selfies“ ausdrückt, Tradition hat. Ausstellung und Katalog vermitteln die Ergebnisse mehrjähriger gemeinsamer universitärer Forschungsarbeit von Lehrenden und Studierenden am Kunstgeschichtlichen Institut und eröffnen faszinierende Perspektiven auf das neuzeitliche Porträt und seinen sozialen Gebrauch – und dies möchten wir der Öffentlichkeit vermitteln! Momentan ist nur der Einzelbesuch möglich. Ganz in Ruhe kann die Ausstellung angeschaut und die besondere Atmosphäre unseres Museums erlebt werden. Unser vielfältiges Bildungs- und Vermittlungsprogramm mit Führungen auch unter Beteiligung von Studierenden, mit Workshops für Kinder, Jugendliche und Erwachsene oder Lesungen ist zunächst abgesagt. Auch finden keine weiteren Veranstaltungen in den Erdgeschossräumen statt. Wir prüfen kontinuierlich, welche Formate wieder möglich sein können, und hoffen, bald auch wieder Gruppen im Haus begrüßen zu dürfen. Wir freuen uns, dass die Ausstellung von einem interessierten Publikum wahrgenommen und besucht wird. Mir ist die Bildungs- und Vermittlungsarbeit sehr wichtig: Ich möchte unser Museum noch mehr beleben und verstärkt in der Wahrnehmung der gesamten Bürgergesellschaft und der universitären Community positionieren.

Ist der Aspekt digitaler Angebote wichtiger geworden?

Ja, unbedingt. Gerade die Corona-Pandemie bedeutet für die Museen einen enormen Digitalisierungsschub. Auch wir haben umgehend mit einer Intensivierung unserer digitalen Angebote reagiert. So bieten wir nicht nur ein einführendes Ausstellungsvideo, sondern auch einen virtuellen 3D-Ausstellungsrundgang mit über 40 Infopoints und detaillierten Informationen zu den ausgestellten Werken an. Darüber hinaus werden wir unsere digitale Marketing- und Vermittlungsarbeit durch Social Media oder Newsletter weiter verstärken. Zugleich sind mir die bereichernden persönlichen Erfahrungen im Museum selbst außerordentlich wichtig – das unmittelbare Erlebnis der originalen Exponate, die Begegnung, der lebendige Austausch und das Gespräch vor Ort und die Möglichkeit zur praktischen Erprobung eigener kreativer Ideen.

Am Frankfurter Schaumainkai befindet sich eine gewaltige Ansammlung namhafter und beliebter Museen – wie sehen Sie in dieser Konkurrenz das Museum Giersch?

Von Konkurrenz möchte ich nicht sprechen. Die Museen haben alle ein unverwechselbares Profil und decken ganz unterschiedliche Themenfelder ab – Kunst, Kommunikation, Architektur, Film und vieles mehr. In diesem Kanon der Museen hat das Museum Giersch der Goethe-Universität seine ganz eigene Stimme – wird sind traditionell ein Ausstellungshaus für Kunst- und Kulturgeschichte des Rhein-Main-Gebiets und werden diese inhaltliche Ausrichtung fortführen. Zugleich greifen wir Themen mit einem Bezug zur Forschung, zur Lehre und zu den Sammlungen der Goethe-Universität auf. Unser klar mehrgliedriges Profil besitzt Offenheit und Vielfalt – was sich mir in unserer gegenwärtigen stark diversifizierten Gesellschaft als große Chance darstellt. Zudem sind wir ein Haus mit einer besonderen räumlichen Situation: Unsere Villa strahlt eine gewisse private Atmosphäre aus, was von vielen unserer Besucherinnen und Besucher sehr wertgeschätzt wird.

Das Museum verfügt selber nicht über eigene Sammlungen: Wie kann ein solches Haus sich in der üppigen und an Highlights nicht armen Museumslandschaft behaupten?

Als ein reines Ausstellungshaus können wir in der Tat bei Leihanfragen keine Gegenleihgaben anbieten. Doch haben wir in der Vergangenheit bewiesen, dass uns die wissenschaftliche Erschließung unserer Exponate und Themen überaus wichtig ist. Dies findet seinen Niederschlag nicht nur in den Ausstellungen selbst, sondern auch unseren sorgfältig recherchierten und edierten Ausstellungskatalogen. Dank dieses wissenschaftlichen Renommees ist die Leihbereitschaft von öffentlicher Museumsseite auch von großen, renommierten Häusern ebenso wie von privaten Leihgebern außerordentlich hoch. Forschung und Museum gehören für uns ganz eng zusammen.

Das Museum Giersch gehört seit 2015 zur Goethe-Universität: Welche Funktion kann und sollte Ihrer Meinung nach diese universitäre Einrichtung haben?

Die Anbindung an diese große Bildungs- und Wissenschaftsinstitution ist ein großer Gewinn für unser Haus. Das Museum wurde gegründet von einem Bürger und Stifter dieser Stadt, von Carlo Giersch, als eine Institution für die gesamte Bürgergesellschaft und für die Community der Goethe-Universität im Besonderen. Umgekehrt stellt es für die Hochschule einen Mehrwert dar, durch das Museum in die Gesamtgesellschaft hineinwirken zu können und es für Forschung, Lehre und als Ort der Wissenschaftskommunikation und Begegnung nutzen zu können. Ich habe den Eindruck, dass die Anbindung an die Goethe-Universität gut geglückt ist: Die jetzige Ausstellung ist im Rahmen von Forschung und Lehre entstanden. Zahlreiche Exponate stammen aus den Sammlungen der Universität. Unser Haus ist Ort von Lehrveranstaltungen. Führungen für Hochschulangehörige der Goethe-Universität durch „ihr“ Museum erfreuen sich großer Beliebtheit, ebenfalls sind die Alumni und die Freunde der Universität regelmäßig zu Gast bei uns. Die Kooperationen mit universitären Partnern zukünftig zu intensivieren und wirklich die gesamte universitäre Community für unser Haus zu begeistern, ist mein Ziel.

Wo liegen im Bereich der Kunst Ihre persönlichen Schwerpunkte?

Ich bin eher „breit“ aufgestellt. Meine Dissertation zum Künstlerplakat vom Historismus bis zum Bauhaus widmete sich einem Thema der Klassischen Moderne. In meinen anschließenden Museumstätigkeiten in Hamburg und Schleswig habe ich mich mit angewandter Kunst und Skulptur beschäftigt. Die Ausstellungsthemen im Museum Giersch, für das ich seit 2000 tätig bin, betrafen Kunstund Kulturgeschichte vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart und nahezu alle Gattungen. Ich denke, dass diese Vielseitigkeit meiner neuen Funktion entgegenkommt. Mir sind ein thematisch breit gefächertes Ausstellungsspektrum und auch ein interdisziplinärer Austausch wichtig.

Fragen: Dirk Frank

1964 in Hannover geboren, hat Birgit Sander in Bonn und Wien Kunstgeschichte, Germanistik und Geschichte studiert. In ihrer Doktorarbeit untersuchte sie das Künstlerplakat der Avantgarde vom Historismus bis zum Bauhaus. Nach einem Volontariat am Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg war sie als Kustodin am SchleswigHolsteinischen Landesmuseum Schloss Gottorf in Schleswig tätig. Am Museum Giersch wirkt Birgit Sander seit dem Jahr 2000. Sie war am Aufbau des regional ausgerichteten Hauses beteiligt und gab dem Museum mit zahlreichen Sonderausstellungen sein spezifisches Profil. Nachdem das Museum Giersch zum 100-jährigen Bestehen der Goethe-Universität angegliedert worden war, forcierte sie gemeinsam mit Manfred Großkinsky, der als Gründungsdirektor das Haus bis Ende 2019 leitete, auch die thematische Anbindung an die Hochschule. Als Kuratorin zeichnete sie zuletzt für die Ausstellungen „Ersehnte Freiheit – Abstraktion in den 1950er Jahren“ (2017) und „Frobenius – die Kunst des Forschens“ (2019) mitverantwortlich. Sie ist sowohl innerhalb der Museumsszene als auch mit verschiedenen Bereichen der Goethe-Universität gut vernetzt.

Dieses Interview ist in der Ausgabe 4.20 des UniReport erschienen.

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