„Wir sind die Tür zur Universität“

Die Kunsthistorikerin und Kuratorin Ina Neddermeyer übernimmt ab Januar 2024 die Leitung des Museums Giersch der Goethe-Universität (MGGU).

UniReport: Frau Neddermeyer, eine Frage zu Ihrem Werdegang: Sie haben Kunstgeschichte, Politik und Philosophie studiert, dann haben Sie primär als Kuratorin gearbeitet.

Ina Neddermeyer.

Ina Neddermeyer: Ich habe schon eigentlich mit meinem Studium einen stark interdisziplinären Ansatz gewählt, der künstlerische Positionen in einem gesamtgesellschaftlichen Kontext verortet. Das spiegelt sich auch in meiner jetzigen Tätigkeit wider: Momentan leite ich die Kunstabteilung im Zeppelin Museum und ich habe auch ganz klassische kunsthistorische Ausstellungen kuratiert, beispielsweise zu Willi Baumeister, Otto Dix oder zu Marta Hoepffner – übrigens eine Frankfurter Künstlerin.

Darüber hinaus ist das Ausstellungsprogramm jedoch sehr interdisziplinär ausgerichtet, mit einem starken gesellschaftspolitischen Fokus. Gerade ist eine Ausstellung zum Thema „Mining“, dem Bergbau der Zukunft, zu Ende gegangen. Wir bereiten ebenfalls eine Ausstellung zum Thema „Blockchain“ vor. Davor haben wir Ausstellungsprojekte zu den „Grenzen von Staatlichkeit“ und zu Drohnentechnologien gezeigt. Das waren keine reinen Kunstausstellungen, sondern es wurde versucht, von ganz verschiedenen Perspektiven auf ein Thema zu schauen. Ein Ansatz, der meinen kuratorischen Ansatz auszeichnet und mir jetzt für meine neue Aufgabe in Frankfurt zugutekommen wird.

Museen müssen sich in gewisser Weise auf einem hart umkämpften Markt bewähren. Am Museumsufer reihen sich ja hochkarätige Museen aneinander. Aber das stellt gleichzeitig natürlich auch eine Konkurrenz dar. Wie sehen Sie diese in Deutschland sicherlich einmalige Konstellation?

Ich empfinde die Dichte an Museen gar nicht als Konkurrenz, sondern – das mag mit meinem Blick aus der Museumswelt heraus zusammenhängen – eher als eine Bereicherung. Für Besucher*innen aus nah und fern ist die Vielfalt doch sehr verlockend. Wenn man zum Beispiel ins Museum Giersch geht, kann man im Anschluss daran auch noch dem Städel oder einem der anderen Museen in Frankfurt einen Besuch abstatten. Das ist auch das Feedback, das ich von Besucher*innen bekomme: Man schätzt es sehr, wenn Museen über ein abwechslungsreiches Umfeld verfügen, in dem man gleich mehrere Sachen anschauen kann. Worauf man aber noch stärker schauen sollte, wären künftig tatsächlich Kooperationen, um diese Synergien noch besser zu nutzen. Das MGGU hat aufgrund der engen Anbindung an die Universität sicherlich ein Alleinstellungsmerkmal. Man sollte aber über das Bild vom „Fenster zur Universität“ hinausgehen. Denn wir sind doch vielmehr die „Tür zur Universität“, weil wir wollen, dass die Menschen zusammenkommen.

Wie kann man Kunstausstellungen und wissenschaftlichen Diskurs noch stärker zusammenbringen – hätten Sie Ideen für Formate?

Mein Ansatz wäre, über die thematische Anbindung beides zusammenzubringen: Welche Themen gibt es bereits an der Universität, wo findet man in Forschungsfragen oder Lehrveranstaltungen eine gesellschaftspolitische Relevanz? Was macht davon sowohl für die Universität als auch für das Museum Sinn? Wo sind die Schnittstellen und was könnte man über diese etablieren? Wie sieht es mit den den herausragenden Sammlungen der Goethe-Universität aus, wo bieten diese einen Ausgangspunkt für Ausstellungen oder schaffen Raum für Begegnung im musealen Rahmen? Wenn eine thematische Relevanz aufgegriffen und weiterentwickelt werden kann, wäre das Museum sowohl für Studierende als auch für Wissenschaftler*innen ein Ort des Austausches, der dann wiederum auch für die Stadtgesellschaft noch interessanter wird. Ich werde mir in den ersten Monaten genau anschauen, welche Formate bereits ausgetestet wurden, welche funktioniert haben, welche nicht – und aus welchem Grund. Man muss nicht alles neu erfinden, sondern kann auch auf Erfahrungen aufbauen.

Nach wie vor ist aber das Format der Ausstellung eines, von dem ausgehend man sehr viel machen kann. Man kann nun aber auch einen Schritt weitergehen und überlegen, welche Künstler*innen genau an der Schnittstelle zwischen universitärer Forschung und einem gesellschaftspolitischen Thema arbeiten: Die künstlerischen Positionen könnten gewissermaßen als ästhetische Form des Forschens fungieren. Über Artist Residencies, das heißt Künstler*innen, die vor Ort mit Wissenschaftler*innen zusammenarbeiten, könnte man zum Beispiel noch stärker und fokussierter an bestimmten Themen arbeiten und dabei auch neue Formen der Darstellung und Vermittlung entwickeln.

Frankfurt ist eine Stadt mit vielen Akademiker*innen, mit einem ausgeprägten Bildungsbürgertum. Aber gleichzeitig steht nicht jedem Bildung offen, es gibt auch gewissermaßen unsichtbare Barrieren. Wie könnte man Museen noch stärker öffnen, Zugänge ermöglichen?

Eine Öffnung hin zu allen Bevölkerungsgruppen sollte für alle Kulturinstitutionen selbstverständlich sein. Wie kann man potenziell möglichst viele Leute erreichen? Das schafft man am besten, denke ich, über eine lebensweltliche Anbindung. Was sind gerade die Themen, die die Leute umtreiben? Wir beschäftigen uns als Gesellschaft jetzt gerade mit dem Thema Ressourcenabbau. In der Forschung wird sehr viel dazu gearbeitet, aber es gibt natürlich auch eine ganz praktische lebensweltliche Dimension des Themas. Wie gehen wir mit Ressourcen um, wie nutzen wir Recycling? Wir hatten gerade im Zeppelin Museum tatsächlich das Glück, dass wir sehr viele Besucher*innen für die Ausstellung zum Thema hatten, ungefähr 72 000 Besucher*innen, ein sehr diverses Publikum. Mit einem Thema, dass diese lebensweltliche Relevanz hat, kann man vielen Menschen eine Teilhabe ermöglichen.

Man spricht ja häufig von den ersten 100 Tagen im Amt – haben Sie eine Vorstellung, wie Sie diese gestalten möchten?

Ich habe mir vorgenommen, viele Gespräche zu führen und genau zuzuhören, vor allem bei meinem neuen Team. Auch auf den Austausch mit Kolleg*innen anderer Museen bin ich sehr gespannt. Ich möchte verstehen, was die Bedürfnisse des Museums, der Universität, aber auch der Stadtgesellschaft sind. Ich freue mich auf das Museum Giersch, auf den Austausch mit der Stiftung Giersch, aber auch auf Frankfurt, mit seinem reichhaltigen kulturellen Angebot.

Wo stecken Schätze im Museum Giersch, die man noch heben könnte?

Das Museum Giersch ist an sich schon einzigartig und besonders in dieser Konstellation, dass es ein lebendiger Teil der Universität ist. Daneben hat es in der besonderen Museumslandschaft Frankfurts eine großartige Lage. Mit seinen Räumen lässt sich viel machen. Für Künstler*innen sind sie dadurch interessant, dass sie eine Geschichte mitbringen. Es handelt sich eben nicht um einen White Cube. Auch das bisherige Ausstellungsprogramm war spannend, weil  künstlerische Positionen gezeigt wurden, die etwas in Vergessenheit geraten sind. Es wurde damit zugleich eine wichtige Grundlagenarbeit geleistet, indem man bestimmte Künstler*innen wieder in den Fokus gerückt hat. Diese Sichtbarkeit zu schaffen, ist unglaublich wichtig und daran würde ich gerne anknüpfen. Was man aber sicherlich noch ausbauen kann, ist der Bezug zur Universität. Die Frage ist also: Wie bringt man beide Akteure zusammen, sodass sie sich noch stärker miteinander vernetzen? Damit das Museum zu einem wichtigen Diskursort der Universität wird. Dafür werden wir 2024 ein Sounding Board einsetzen, in dem Studierende, Wissenschaftliche Mitarbeiter*innen und Professor*innen vertreten sind, um den Austausch zwischen Museum und Universität zu vertiefen.

Ein weiterer Aspekt wäre die Zugänglichkeit. Die Eingangssituation hat immer noch etwas Exklusives – das ist sicherlich dem Denkmalschutz geschuldet. Zudem könnte man auch überlegen, wie man die Aufenthaltsqualität weiter verbessert. Hier wäre beispielsweise ein gastronomisches Angebot vorstellbar. Auch andere Veranstaltungs- und Vermittlungsformate könnten dazu beitragen, dass das Museum noch mehr zu einem lebendigen Austausch- und Aufenthaltsort wird.

Haben Sie bereits konkrete Ideen für kommende Ausstellungen oder Aktivitäten?

Es gibt schon eine ganze Reihe an Ideen, die sind aber noch nicht spruchreif, zudem haben die Kuratorinnen bereits wichtige Weichen für das kommende Jahr gestellt. Welches übergreifende Thema aber künftig eine große Rolle spielen könnte, wäre überschrieben mit „Zukünfte“. Mein Eindruck ist, dass das an Universitäten ein sehr präsentes Thema ist, an dem verschiedene Forschungsbereiche arbeiten. Es spielte tatsächlich auch in meiner kuratorischen Praxis eine wichtige Rolle. Wie kann das Leben in der Zukunft gestaltet werden, wie sehen zukünftige Gesellschaftsmodelle aus? Welche Ressourcen wären dafür notwendig, welche Technologien? Das fände ich sehr spannend.

Fragen: Dirk Frank

Ina Neddermeyer studierte Kunstgeschichte, Politik und Philosophie in Berlin und Florenz. Nach ihrem wissenschaftlichen Volontariat war sie von 2013 bis 2016 Sammlungskuratorin am Kunstpalais in Erlangen. Von 2016 bis 2023 arbeitete sie als Kuratorin und Leiterin der Abteilung Kunst am Zeppelin Museum Friedrichshafen. Sie kuratierte zahlreiche Ausstellungen, u.a. Einzelausstellungen von Otto Dix, Marta Hoepffner, Peter Land und Reynold Reynolds sowie Gruppenausstellungen wie »Into the deep. Minen der Zukunft«, »Beyond States. Über die Grenzen von Staatlichkeit«, »Game of Drones. Von unbemannten Flugobjekten« und »Schöne neue Welten. Virtuelle Realitäten in der zeitgenössischen Kunst«.

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