Interview mit Wilhelm Bender / „Es war zu einfach, uns als aufmüpfige Jugend abzustempeln.“

Foto: Dettmar

Ein Gespräch mit Prof. Bender, Vorsitzender der Freundesvereinigung, über seine Studienzeit an der Goethe-Universität.

Der „bekennende“ Alumnus Wilhelm Bender berichtet über Vorlesungen bei Carlo Schmid, gemeinsame Aktionen mit den Brüdern KD und Frank Wolff sowie seine Erfahrungen bei Demos in der 68er Zeit.

Herr Professor Bender, Sie sind in vielfältiger Weise mit der Goethe-Universität verbunden – Sie waren einige Jahre Honorarprofessor im Fachbereich Wirtschaftswissenschaften, sind seit 2010 Vorsitzender der Freundesvereinigung der Universität. Sie haben hier von 1964 bis 1969 – damals noch auf dem Campus Bockenheim – Jura und Volkswirtschaft studiert. Erinnern Sie sich, heute als „bekennender“ Alumnus, noch an besonders prägende Erlebnisse?

Die geistige Breite der Uni hat mich fasziniert. Ich wollte nicht schnell zum Examen durchlaufen, sondern fand und finde ein ‚Studium generale‘ wichtig. So war ich zum Beispiel in Vorlesungen des Staatsrechtlers und SPD-Politikers Carlo Schmid – dieses grandiosen Mannes, der spanische Lyrik genauso übersetzte, wie er herausragende Vorlesungen über Machiavelli hielt und der den großen Wurf des Grundgesetzes mitgestaltet hat. Und ich war natürlich bei Vorlesungen von Adorno und Habermas, das waren ganz große Köpfe, die in den 1960er Jahren in Frankfurt tätig waren. So habe ich diese Uni noch etwas anders erlebt als diejenigen, die relativ stringent auf ihr Examen zumarschiert sind.

Haben Sie deshalb auch etwas länger gebraucht?

Bis zum ersten juristischen Staatsexamen habe ich insgesamt fünf Jahre benötigt, das war okay. Nebenbei habe ich noch etwas Volkswirtschaft studiert, allerdings ohne Abschluss. Auch so mühsame Geschichten wie Statistik habe ich mir angetan.

Welche Professoren haben Sie während Ihres Studiums besonders geprägt?

Carlo Schmid, bei ihm konnte ich sogar ein Seminar besuchen, das war damals eine besondere Auszeichnung; auch Rudolf Wiethölter, der uns mit seinem scharfen Intellekt in seinen Vorlesungen aufforderte, mit darüber nachzudenken, wie sich Rechtswissenschaftler in die Gesellschaft einbringen können.

Der Staatsrechtler Erhard Denninger war eine wichtige Persönlichkeit. Bei ihm hätte ich promovieren können, habe mich dann aber für eine Promotion bei Helmut Ridder in Gießen entschieden. An dessen Lehrstuhl waren übrigens später Brigitte Zypries und Frank-Walter Steinmeier als Assistenten. Ridder war nicht nur ein brillanter Staatswissenschaftler, er hatte auch viele politische Antennen und sah Entwicklungen früher voraus als andere.

Mich hat die Kombination aus Jura, Volkswirtschaft und Politik während meiner ganzen akademischen Ausbildung begleitet. In den meisten beruflichen Positionen, auch als Vorstandsvorsitzender bei Fraport, war ich durchaus politiknah tätig. Insofern hat es mir immer genutzt, dass ich im Studium ein Grundverständnis dafür bekommen habe, wie Politik funktioniert.

Sie waren in den Sechzigern auch in der Studentenbewegung aktiv. Wilhelm Bender mit schulterlangen Haaren bei Demos, habe ich gelesen. Schwer vorstellbar!

Na, schulterlang waren meine Haare nicht, aber auf jeden Fall sehr viel länger als heute! Die Ermordung Benno Ohnesorgs am 2. Juni 1967 – so deutlich muss man nach den abschließenden Erkenntnissen seinen Tod wohl bezeichnen – war für mich wie für viele andere der Auslöser, auf die Straße zu gehen. Denn wir erlebten einen so starken Kontrast zwischen dem, was uns an Errungenschaften des bundesrepublikanischen Rechtsstaats gelehrt wurde, und dann den Lügen vor allem der Berliner Politiker, aber auch bundesdeutscher, was die Geschehnisse rund um den Schah-Besuch und um den Tod Benno Ohnesorgs anging.

Und wie reagierten die Professoren darauf, wurde diese Diskrepanz in den Vorlesungen thematisiert?

Dieser Widerspruch wurde von den meisten Jura-Professoren an der Frankfurter Universität eben nicht aufgegriffen, und das empörte uns. Auch gerade vor dem Hintergrund der deutschen Nazi-Vergangenheit wollten wir das nicht hinnehmen. Es war zu einfach, uns als aufmüpfige Jugend abzustempeln.

Waren Sie auch Mitglied im SDS – im Sozialistischen Deutschen Studentenbund?

Ich bin nie in den SDS gegangen. Ich habe eine klare Meinung – sowohl damals als auch heute, was Gewalt angeht: die ist für mich nicht akzeptabel! Da bin ich mir mit vielen Freunden einig gewesen. Ich war auch nie ein Wachstumskritiker. Als Student war ich schon eher wirtschaftlich orientiert, meine Eltern waren selbständig und das prägt. SPD-Mitglied bin ich durch Willy Brandt geworden, zu Zeiten der Ostverträge.

Aber es gab durchaus Aktionen, die ich mit KD Wolff und seinem Bruder Frank, die damals im SDS ganz vorne dabei waren, gemeinsam organisiert habe. Ich erinnere mich, dass wir mit dem Lieferwagen meiner Eltern – die hatten einen kleinen Betrieb in Rödelheim – eine Art Litfaß-Säule in die Innenstadt transportiert haben, um darüber aufzuklären, was nach unserer Meinung mit Benno Ohnesorg passiert war.

Die Stimmung bei Demonstrationen war häufig extrem aufgeheizt. Da flogen nicht nur Steine vonseiten gewaltbereiter Demonstranten, auch die Polizei ging nicht gerade zimperlich mit den Studenten um, wie fotografische Zeitdokumente belegen.

Ja, das habe ich bei einer Demonstration an der Uni in Bockenheim selbst erlebt: Eine Studentin war gefallen, ich habe versucht, ihr beim Aufstehen zu helfen, aber dann sind schon Polizisten angerückt und ein Beamter hat auf uns eingeprügelt. Als ich dann so ungerechtfertigterweise den Gummiknüppel im Rücken spürte, dachte ich schon: Was fällt diesem Menschen eigentlich ein? Dieses autoritäre Vorgehen gegen Wehrlose hat schon meinen Sinn für Gerechtigkeit und Rechtstaatlichkeit verletzt.

In Ihrer Studienzeit erschien auch die NPD wieder massiver auf der politischen Bühne. War das auch ein Thema unter Ihren Kommilitonen?

Uns bewegte natürlich die Frage, wie konnte es passieren, dass in diesem Land über mehr als ein Jahrzehnt der Faschismus auf übelste Weise regierte und 20 Jahre nach Kriegsende diese neofaschistische Partei schon wieder relativ viel Erfolg erzielte? Wir wollten das nicht passiv hinnehmen, und so sind meine Freunde und ich zum Beispiel in NPD-Veranstaltungen gegangen und haben dort die Funktionäre zur Rede gestellt.

Und wie halten Sie es heute mit Pegida und der AfD?

Ich bin entsetzt, dass Vereinfacher, die keinerlei Beiträge zur Lösung unserer Probleme leisten können, diesen Zuspruch erhalten. Gerade in unserer Stadt und Region sind Toleranz und Internationalität gewachsene Tugenden, die wir verteidigen müssen.

Die Fragen stellte Ulrike Jaspers.

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