Im Juni spricht der Leipziger Schriftsteller Clemens Meyer im Rahmen der Frankfurter Poetikvorlesungen über den „Untergang der Äkschn GmbH“. Meyers ungewöhnliche Biographie und seine Romane über Leipziger Jugendgangs, Prostituierte und Zuhälter versprechen interessante Vorträge. Wir haben ihm vorab einige Fragen gestellt – seine mitunter forschen Antworten deuten jedenfalls an, dass der Autor sein Publikum bestimmt nicht langweilen wird.
Herr Meyer, Ihr Roman „Als wir träumten“ wurde kürzlich von dem renommierten Regisseur Dresen verfilmt – kann der Film, der doch sehr oft eine Literaturvorlage den Erwartungen nach einer abgerundeten Geschichte unterordnet, einem vielschichtigen und vielstimmigen Roman gerecht werden?
Eine Verfilmung ist immer eine Transformation. Der Film erschafft etwas Neues, basierend auf der Vorlage. Ein Roman erzählt in ganz anderen Logarithmen. Aber wenn ich mir beispielweise „Es war einmal in Amerika“ von Leone anschaue, der sehr verschachtelt ist, dann gibt es da durchaus gegenseitige Beeinflussungen, das heißt von einer Kunstform zur anderen. Es geht nicht um Gerechtwerden, es geht um etwas Anderes, Neues. Natürlich habe ich die Figuren erschaffen, die zugrunde liegende Geschichte erzählt. Dann sind Drehbuch und Regisseur gefordert, auf der Leinwand herrschen nun andere Gesetze, und ich kann mich zurücklehnen.
Passt sich Dresens Film zu sehr medial ausgereizten Bildern von Rebellentum und Party an, wie manche Kritiker moniert haben?
Nein. Die Bilder haben große Kraft.
In „Als wir träumten“ wird ein desillusionierter Blick auf Jugend und Jugendkultur in der Vor- und Nachwendezeit in Leipzig geworfen. Dieser Blick unterscheidet sich doch erheblich von den Darstellungen der Popliteratur, die eher auf den Konsum und Lifestyle von Jugendlichen der Mittelschicht fokussiert ist. Gibt es vielleicht einen speziell ostdeutschen „Sound“?
Weiß ich nicht. Es gibt „Als wir träumten“. Und da geht es um eine Jugend auf Ruinen, vor einem untergegangenen Staat. Um Mechanismen von Gewalt und Verrat. Um Desillusionierung und Tod. Auch um Spaß, den sie bei aller Verlorenheit haben. Ihr Konsum ist Diebstahl, ihr Lifestyle der Rausch.
Sie haben mal den jüngeren deutschen Autoren vorgeworfen, dass sie zu sehr auf die Gegenwartsliteratur schielen. Sie selber halten recht viel von literarischer Tradition und literarischer Bildung – wie kommt’s? In welchem Alter haben Sie sich die Klassiker erschlossen? Wie kommt’s?
Weil ich mich seit meiner Kindheit für Literatur interessiere. Man muss wissen woher man kommt, man will sich doch einreihen in den Strom der Kollegen. Also muss man sie lesen und von ihnen lernen. Wenn ich die Moderne verstehen will, muss ich die Klassiker kennen.
In Ihrem neuesten Roman „Im Stein“ dominiert ein monologisches Erzählen; anstelle einer linearen Geschichte wird dem Leser ein narratives Puzzle geboten. Warum „verweigern“ Sie sich einer traditionell erzählten Geschichte? Sehen Sie dabei sich in der Tradition der Moderne? Stößt die literarische Postmoderne, mit ihren ironisch-versöhnlichen Erzählformen, bei Ihnen auf Ablehnung?
Ich verweigere mich überhaupt gar nichts. Ich schreibe den Roman so, wie es für ihn angemessen ist. Die sogenannte Postmoderne existiert für mich nicht. Die Moderne erfindet sich permanent neu. Man kann spielen, ironisieren etc., oder man kann versuchen etwas Relevantes zu erschaffen.
Ihre Schreibweise könnte man auch als hard-boiled bezeichnen, sie erinnert an amerikanische Autoren. Warum haben Sie ein Faible für gesellschaftliche Underdogs? Ist die Großstadt mit ihrer Hektik, Unübersichtlichkeit und sozialen Disparität eine dauerhafte Inspirationsquelle für Ihr Schaffen?
Hard-boiled? Entschuldigung, das ist doch totaler Unsinn. In „Im Stein“ erinnert mich wenig bis nichts an amerikanische Autoren, naja, Pynchon vielleicht. Das ist doch auch viel zu verallgemeinert: amerikanische Autoren. Dos Passos und Hemingway beispielsweise trennen Welten in ihrer literarischen Herangehensweise. Hard-boiled bezeichnete eine Kriminalliteratur, die in den 30er Jahren ihren Anfang hatte, vielleicht etwas eher, dann später von Spillane und anderen fortgeführt wurde. Da sehe ich wenig Gemeinsamkeiten zu dem, was ich tue, auch wenn Mike Hammer einen Auftritt in der Äkschn GmbH haben wird. Für „Im Stein“ war eher Wolfgang Hilbig wichtig, oder Hubert Fichte. Was die „Underdogs“ betrifft: Für mich muss Kunst in jeden Winkel der Gesellschaft dringen, das ist für mich alles gleich. Alles Teile der uns umgebenden Welt. Die Großstadt, ja, mit ihrer Montage, ihren Brüchen, ihren Sounds, ihren Leben.
Gibt es eine Autorin/einen Autor der Frankfurter Poetikvorlesungen, die/der für Ihr Schaffen besonders relevant ist?
Einige. Die oben genannten. Märchen. Filme. Die Äkschn GmbH.
Eine Ihrer Vorgängerinnen der Poetikvorlesungen, Juli Zeh, hat vor Jahren mal etwas provokant gesagt, dass kein Schriftsteller eine Poetik habe – zumindest nicht, wenn er schreibe. Wie sehen Sie das?
Was ist denn das überhaupt, eine Poetik? Die setzt sich doch aus so vielen Versatzstücken zusammen, ist ständig neuen Influenzen ausgesetzt. Sie sollte beweglich sein. Dennoch weiß ich natürlich, was da entstehen soll, bei aller Überraschung. Es gibt sie, die Poetik, sie ist wie ein Vogel oder eine Drohne, dem/der ich hinterherjage. Und morgen kann meine Antwort schon wieder eine andere sein.
Nervt es Sie, wenn man Sie auf Ihre „bewegte“ Jugend anspricht? Glauben Sie, dass das eher bildungsbürgerliche Publikum in Frankfurt auf einen Autor mit Tattoos irritiert reagieren wird?
Was interessiert mich das denn, bitte? Der S. Fischer Verlag, der meine Bücher verlegt, befindet sich in Frankfurt. Denken Sie, ich habe keinen Anzug? Irritation? Ja, durch Literatur.
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Termine der Frankfurter Poetikvorlesungen mit Clemens Meyer:
9./16./23./30. Juni und 7. Juli, Campus Westend,
HZ 1 & 2, Beginn jeweils 18 Uhr.
8. Juli: Abschlusslesung im Literaturhaus Frankfurt
Ab 10. Juni: Begleitausstellung im Fenster zur Stadt/Restaurant Margarete
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