„Es braucht Zeit, bis ein Antrag rund wird“, sagt Corinna Sonntag, die Forschungsreferentin am Fachbereich Evangelische Theologie. Ihre Aufgabe: Forschungsförderung vor Ort mit Rückkopplung ans Research Service Center der Goethe-Universität.
Natürlich können Professorinnen und Professoren Forschungsförderung. Sie können es, weil sie es müssen. Denn auch wenn das Research Service Center (RSC) und andere Anlaufstellen der Goethe-Universität etwa auch per Newsletter Hilfestellungen leisten: Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind es gewohnt, selbst nach Drittmitteln zu suchen und komplizierte Förderanträge zu verfassen. Manchmal ist dieses Können allerdings auch eher ein „Durchwursteln“. Dies meint Corinna Sonntag keineswegs abwertend. Sie beschreibt damit eine Tatsache. Denn im Angebot von Landes-, Bundes- und EU-Förderinstitutionen, von A+B- bis Zwillenberg-Tietz-Stiftung, ist Durchwursteln Pflicht. Die Kür kann vermutlich nur, wer sein Acht-Stunden-Arbeitsleben der Aufgabe widmet, den Förderdschungel zu durchkämmen und zu lichten. Das Verzeichnis deutscher Stiftungen, drei kiloschwere Bände in griffbereiter Nähe auf Sonntags Schreibtisch, ist 4049 Seiten dick. Bei anderen könnte man sagen: Das Stiftungsverzeichnis ist ihre Bibel. Aber da Corinna Sonntag Evangelische Theologie studiert hat, verbietet sich das.
Wie wäre es also, Drittmittelförderung als Brückenkopf zwischen zentraler Beratung und fachlicher Anbindung in einem Fachbereich zu professionalisieren? Diese Frage stand vor zwei Jahren hinter dem Pilotprojekt von Universitätsleitung und dem Fachbereich Evangelische Theologie im Rahmen der Strategie-Vereinbarungen. Die Person zur Idee ist Corinna Sonntag.
Kompetenz hat sie sich in und außerhalb der Universität erworben, wobei ihr Lebensweg die Universität in einem Zick-zack-Kurs immer mal wieder gekreuzt hat: Nach ihrer kaufmännischen Ausbildung arbeitet sie in der Gastronomie. Während anstrengender Wochenenden in Hotelbetrieben stellt sich das Gefühl ein: Es fehlt etwas. Die Lücke füllt ein Studium der Evangelischen Theologie und Germanistik. Der hervorragenden Arbeit des schulpraktischen Studienleiters hat sie zu verdanken, dass sie erkennt: Gymnasiallehrerin ist nichts für sie. Also steckt die Theologin nach dem Abschluss des Studiums ihre Energie lieber in Erwachsenenbildung für Langzeitarbeitslose. Kurz bevor ihr Enthusiasmus in Desillusionierung kippen kann, macht Theologieprofessor Markus Wriedt Corinna Sonntag auf ein Promotionsstipendium im Graduiertenkolleg „Theologie als Wissenschaft“ aufmerksam. Gern kommt Sonntag an die Universität zurück, widmet sich ihrer kirchengeschichtlichen Promotion zum Thema „Melanchthons schola domestica“- und bewirbt sich auf die freiwerdende halbe Stelle zur Koordinierung des Graduiertenkollegs.
Und jetzt kommt, wie sie selbst sagt, ihre „Affinität für Zahlen“ ins Spiel. Man könnte auch sagen, ihr quasi elektrisch aufgeladenes, knisterndes Verhältnis zu Zahlen. Denn was anderen eine nervenaufreibende Zumutung erscheint – Kostenabrechnungen zu Workshop-, Tagungs-, Hotel- und Reisekosten, die Kalkulation von ¼, ½ und ¾-Stellen, das gesamte Zahlenkunstwerk eines Graduiertenkollegs samt Kontrollbesuchen gestrenger DFG-Wirtschaftsprüfer – es ist ihr ein „Vergnügen“. „Ich durfte das abrechnen“, sagt sie lächelnd (ein Lächeln, das selbst durch die Maske sichtbar wird), als gäbe es nichts Schöneres zu tun.
Hochachtung hat sie deshalb, als die Stelle der Forschungsreferentin im Fachbereich Evangelische Theologie ausgeschrieben wird. Stapelweise Rechnungen – geschenkt. Aber strategische Projektberatung? Kann sie das? Sonntag zögert, sich zu bewerben. Aber bringt sie nicht Beratungserfahrung durch ihre Erwachsenenbildung mit? Sonntag muss nachdenken. „Es stimmt: Ich kann unheimlich ruhig hundert Mal dasselbe sagen.“ Dieser Satz deutet an, dass Corinna Sonntag die Beratungsaufgabe keineswegs unterschätzt hat.
Als neue Fachbereichs-Forschungsreferentin zapft sie also im Schnellverfahren die umfassende Beratungserfahrung des RSC an. Wie läuft gute Beratung ab? Corinna Sonntag hospitiert bei Gesprächen, erhält im Blitzkurs Orientierung in der nationalen und internationalen Förderlandschaft sowie im Wust von Formularen und Vorgaben und schließt sich immer wieder mit den erfahrenen RSC-Beraterinnen kurz.
„Der Endfassung eines Drittmittelantrags“, weiß sie heute, „sieht man die Arbeit nicht an. Es braucht Zeit, bis er rund wird.“ Vermitteln wir uns also einen Eindruck, indem wir uns sein Entstehen als Kurzfilm vorstellen: Die Kamera zoomt auf die Seiten eines Projektantrags, taucht in die Vergangenheit ein und bewegt sich in einem Netzwerk von Räumen. In jedem dieser Räume sehen wir Corinna Sonntag: Wie sie erstmals der Antragstellerin, dem Antragsteller begegnet – und dabei mitunter „einer sehr selbstbewussten Persönlichkeit“. Mag sein, dass dies die dezente Umschreibung für die Erfahrung ist, dass ihr Gegenüber sagt: „So machen wir das und nicht anders.“ Nicht jede und jeder ist begeistert, erzählt sie verständnisvoll, wenn sie „in den Antragstext hereingrätscht“. Es braucht manchmal „positives Vorarbeiten“, um klarzumachen, woran es noch hapert. Manchmal fehlt eine längere Publikationsliste, manchmal ein weiterer Auslandsaufenthalt.
Bei größeren Forschungsprojekten wird die Prüfliste komplexer: Sind alle möglichen Institutionen für Drittmittel bedacht? Welcher Ansprechpartner bei der DFG hilft weiter? Da Corinna Sonntag durch Verbundprojekte auch andere Fachbereiche mit berät ist, ist ihre Expertise vielerorts wertvoll. Passt die Argumentationsstrategie des Antrags zur gewählten Förderinstitution? Ist der Tagungsort ausreichend begründet, die Kostenaufstellung komplett? Könnte man einen Antrag um Personalstellen erweitern, wenn ja, um wie viele? Gibt es Formfehler? Wird an einem anderen Fachbereich aus anderem wissenschaftlichen Blickwinkel geforscht? Ist man gemeinsam erfolgreicher?
Immer wieder treffen wir sie bei Absprachen mit Christian Wiese, dem Forschungsdekan des Fachbereichs Evangelische Theologie; beim Research Service Center übt sie ihre Scharnierfunktion zwischen Fachbereich und Universitätsverwaltung aus. „Niederschwelliges Austauschen“ nach allen Seiten, sagt Corinna Sonntag, sei die Voraussetzung dafür, dass neben dem Kleingedruckten einer Ausschreibung auch das große Ganze im Blick bleibt: das Forschungsprofil der Universität, zu dem der ein Drittmittelantrag eben auch passen soll.
An einem Ort treffen wir Corinna Sonntag besonders oft an: Dort spricht sie Studierenden oder Postdocs Mut zu, Stipendien oder eine Stelle zu beantragen. „Wenn die Uni Frankfurt interessant sein soll“, so Sonntag, „dann müssen wir bei der Nachwuchsförderung anfangen.“
Bei manchen Anträgen bewegt sich die Kamera nur einige Monate in die Vergangenheit zurück, bei Exellenzinitiativen kann die Zeitreise rückwärts schon einmal zwei Jahre dauern. Jedenfalls wissen wir nun, warum ein Antrag Zeit braucht, „bis er rund wird“.
Für all das nimmt Corinna Sonntag einen weiten Weg in Kauf: Die „Superfrühaufsteherin“ verlässt morgens um 5 Uhr ihre Wohnstätte nahe Bad Herzfeld, um um 7 Uhr an ihrem Schreibtisch zu sitzen und einen Guten-Morgen-Gruß an die Daheimgebliebenen zu senden. Dazu gehört ihr kleiner Sohn, der Sonntags fortgeschrittenes Promotionsprojekt ein wenig ausgebremst hat. Ausgebremst, sagt sie, aber nicht aufgehoben. Im Moment fehlt noch etwas Zeit dafür und auch für ihr Hobby: das Restaurieren alter Möbel. Wenn Corinna Sonntag von jüngst erstandenen Cocktailsesseln der 50er und 60er Jahren erzählt, die sie demnächst aufpolstern will, dann leuchten ihre Augen über der Maske mindestens so wie beim Abrechnen eines komplexen Drittmittelantrags. Am Ende müssen wir aber doch zu den Zahlen zurück. Bringt die Forschungsreferentin die Ausgaben, die sie selbst verursacht, dem Fachbereich wieder ein? Oder gar mehr als das? Kurz: Ist das Pilotprojekt gelungen? Christian Wiese braucht keine Zahlen, um Bilanz zu ziehen. „Bei uns ist es jetzt kein Zufall mehr, ob ein Drittmittelantrag gestellt wird oder nicht“, sagt er. „Viele trauen sich jetzt einen Antrag zu und werden gut beraten, so dass das Drittmittelaufkommen auf jeden Fall gestiegen ist. Um wieviel, das sehen wir schon im nächsten Jahr.“ Es geht ihm um Nachhaltigkeit bei der Förderung. Und die klappt nur, wenn Corinna Sonntag bleibt.
Pia Barth
Dieser Artikel ist in der Ausgabe 4/2020 des Mitarbeitermagazins GoetheSpektrum erschienen.