Arbeitsgruppe von Studierenden der Physischen Geographie untersucht Mikroklima an zwei Plätzen im Stadtteil Riedberg. Großes mediales und stadtpolitisches Interesse am Untersuchungsergebnis.
Der Klimawandel ist im Frühsommer besonders deutlich mit Händen zu greifen: Die Trockenheit verwandelt ehemals saftige grüne Wiesen in gelblich-braune Flächen. Auf normalerweise belebten Plätzen herrscht gähnende Leere, die Hitze vertreibt viele Passanten. Das globale Thema Klimawandel treibt auch in Deutschland auf lokaler Ebene zunehmend die Stadtbevölkerung um. Die Politik nimmt sich nun etwas energischer als früher der Problematik an, Medien berichten häufiger über die verschiedenen Herausforderungen vor Ort. Wie müssen die Städte von morgen aussehen, wie kann man Straßen, Plätze und Wohngebäude resilienter gestalten angesichts einer mittelfristig wohl kaum zu stoppenden Erwärmung? Dass wissenschaftliche Erkenntnisse auf dem Feld der Klimaforschung mittlerweile auf ein entsprechend großes Interesse stoßen, dürfte nicht überraschen. Doch im Falle einer Untersuchung über das Mikroklima in einem vergleichsweise noch jungen Frankfurter Stadtteil ist die Resonanz dennoch erstaunlich: Denn die Urheber von „Wirkung von Begrünung auf das Mikroklima“ sind Studierende eines Seminars der Physischen Geographie.
Hoher Erkenntniswert mit einfachem Instrumentarium
Alicia Böhme hat mit zwei Kommiliton*innen untersucht, wie sich die Bepflanzung mit Bäumen auf das Mikroklima auswirkt und dabei zwei städtische Plätze im noch recht jungen Frankfurter Stadtteil Riedberg vergleichend untersucht. Dafür wurden die Untersuchungsstandorte Riedbergplatz und Ewald-Heinrich-von-Kleist-Platz betrachtet. Beim zentral gelegenen Riedbergplatz handelt es sich um eine nahezu vollständig versiegelte Fläche in Nähe des Unicampus, die nur schwach begrünt ist. „Ursprünglich seien laut Andrzej Lyson, dem Architekten des Riedbergplatzes, durchaus verschiedene Formen der Begrünung angedacht gewesen, die letzten Endes allerdings aus finanziellen Gründen durch die Stadt Frankfurt verworfen und daher nie umgesetzt wurden“, erklärt Alicia Böhme. Um zu schauen, wie gravierend die Bebauung und Gestaltung des Riedbergplatzes im Hinblick auf das Mikroklima ausfällt, durchkämmte Böhme mit ihren beiden Mitstreiter*innen aus dem Seminar, Marita Hörberg und Leon Rudat, gemeinsam den Stadtteil und stieß dabei auf den baumumstandenen und nicht versiegelten Ewald-Heinrich-von-Kleist-Platz, der sich gut für einen Vergleich eignet. Am Riedbergplatz und am Vergleichsstandort wurden von den studentischen Forscher*innen parallele Temperaturmessungen im Monat Juni 2021 durchgeführt. „Pro Tag haben wir sechs Messungen zwischen 6:00 Uhr und 21:00 Uhr in einem Abstand von je drei Stunden durchgeführt. Somit konnten wir die Zeitpunkte höchster und niedrigster Temperatur im Tagesgang erfassen“, erläutert Alicia Böhme. Die Temperaturmessungen wurden im Bereich der Sitzmöglichkeiten gemacht, da sich die Menschen dort am meisten aufhalten und das Temperaturempfinden dort am relevantesten ist. Gemessen wurde mit einem Digital-Thermometer, einem Oberflächen-Laser-Thermometer sowie einer Infrarotkamera. „Das sind relativ einfach zu bedienende Instrumente. Gleichwohl liefern sie wichtige und aussagekräftige Daten“, betont Alicia Böhme. Die Ergebnisse sind deutlich: Die Oberflächentemperatur des Bodens liegt am Riedbergplatz dauerhaft über der des Ewald-Heinrich-von-Kleist-Platzes, durchschnittlich ist der Boden 8 Grad wärmer. Die höchste gemessene Temperaturdifferenz lag bei 13,5 Grad. Die jungen Forscher*innen sprechen bei einer Spitzentemperatur von 69,7 Grad, die an einer Bank am Riedbergplatz gemessen wurde, von einer „lebensfeindlichen Umwelt“. Auch wenn sich die Messergebnisse im Bereich der Lufttemperatur auf den beiden Plätzen nicht so stark unterscheiden, ist für die jungen Forscher*innen klar, dass es im Zuge einer nachhaltigen Stadtentwicklung dringend einer Begrünung bedarf: Der Riedbergplatz würde, so das Fazit, von einer Begrünung mit Schatten spendenden Laubäumen profitieren. Bauliche Veränderungen, zum Beispiel eine hellere Pflasterung, könnten die Wärmespeicherung auf dem Platz reduzieren und die Reflexion des Sonnenlichtes erhöhen. „Auch in der begleitenden Befragung von Passant*innen hat sich ein relativ deutliches Stimmungsbild ergeben: Man wünscht sich mehr Grün, übrigens auf beiden Plätzen“, erklärt Alicia Böhme.
Von der Theorie in die Praxis – vom Seminar in die Stadtentwicklung
Auch Dr. Rainer Dambeck, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Physische Geographie, hat die große mediale und öffentliche Resonanz auf das studentische Forschungsprojekt zum Mikroklima zweier Frankfurter Plätze sehr überrascht. Ihn freut es, dass die Ergebnisse der Gruppe bereits Thema vieler Gespräche waren, die zwischen dem Grünflächenamt der Stadt Frankfurt, dem Ortsbeirat des Stadtbezirkes, dem Center of Dialogue und der Klimaschutz-Initiative Riedberg geführt wurden. „Selbst eine im Stadtparlament behandelte Petition nahm darauf Bezug.“ Schon seit einigen Jahren bietet Dambeck gemeinsam mit Prof. Jürgen Wunderlich ein auf zwei Semester angelegtes Pflichtmodul zum Thema „Stadtentwicklung Frankfurt am Main. Wege in die Nachhaltigkeit“ an. Während im Wintersemester theoretische Grundlagen erarbeitet werden, geht es im darauffolgenden Sommersemester um den Anwendungsbezug, um Projektarbeit. Die Themen sind dabei stadtteilbezogen. Neben „Wirkung von Begrünung auf das Mikroklima“ wurden die Themen „Mikroklima im Westend an ausgewählten Standorten“, „Wasser Riedberg“, „Starkregen am Frankfurter Berg“, „Nachhaltige Versorgung, Mensa Riedberg“ sowie „Papiersparen im Büro“ behandelt. Rainer Dambeck ist von den Ergebnissen aller Gruppen beeindruckt. „Die Studierenden arbeiteten sehr selbstständig, wir stehen als Dozierende natürlich beratend zur Verfügung. Neben den sechs thematischen Gruppen sorgte eine sogenannte Steuerungsgruppe aus Studierenden für die nötige Netzwerkarbeit, setzte sich mit potenziellen Stakeholdern auseinander, schaute nach rechtlichen Grundlagen der Stadtentwicklung und besorgte Planungsunterlagen“, erläutert Dambeck. Auch wenn es sich um einen vergleichsweise einfachen Forschungsansatz handelt, ist Dambeck davon überzeugt, dass die Studierenden von einer solchen Projektarbeit und Elementen des Service Learning erheblich profitieren. „Forschendes Lernen spielt eine immer größere Rolle und ist ein zentraler Punkt des Leitbildes Lehre der Goethe-Universität. In unserem Seminar erhalten die Studierenden zudem wichtige Einblicke in kommunalpolitische Zusammenhänge, was im Hinblick auf spätere berufliche Perspektiven sehr wichtig ist. Zugleich werden sie zu zivilgesellschaftlichem Engagement motiviert.“ Alicia Böhme kann da ihrem Dozenten nur zustimmen: „Oft sind Seminare sehr theorielastig konzipiert, aber hier gefällt mir der Anwendungsaspekt sehr gut. Sehr niedrigschwellig wird man an das wissenschaftliche Arbeiten herangeführt – und man sieht, dass man selbst in einem überschaubaren Projektrahmen über Methoden verfügt, Erkenntnisse zu generieren, die für die Zukunft einer nachhaltigen Stadtentwicklung wichtig sein können.“
Website zu den Projekten des Seminars »Stadtentwicklung Frankfurt am Main. Wege in die Nachhaltigkeit« https://blog.studiumdigitale.uni-frankfurt.de/psnachhaltigkeit/