Das Deutschlandstipendium funktioniert nach einem so einfachen wie schlagenden Prinzip: Jeder gespendete Euro wird vom Bund verdoppelt. In diesem Jahr wurde ein Teil der Summe an der Goethe-Universität sogar vervierfacht. Ein Modell, das zum Nachahmen einlädt?
Gleich vorab: Es hat geklappt. Die jetzigen und ehemaligen Deutschlandstipendiaten haben 9.000 Euro gespendet. Wenn diese Summe zusammenkommen würde, so die beiden Förderer Georg Greitemann und Kirsten Schwartzkopff, würden sie sie verdoppeln. Nach dem Matching-Modell des Deutschlandstipendiums würde die Summe dann wiederum vom Bund verdoppelt werden. Aus 9.000 Euro mach 36.000 Euro – knapp sechzig aktuelle und rund hundert ehemalige Stipendiat*innen waren von dem Rechenmodell überzeugt und trugen über zwei Monate zur Challenge bei: mit kleineren Euro-Beiträgen oder mitunter auch einer 200 Euro-Überweisung. 4000 Studierende wurden seit der ersten Stipendienvergabe vor zwölf Jahren gefördert. Bei der Challenge wurden sie nun von Marc Heinbücher, Referent der Privaten Hochschulförderung an der Goethe-Universität, ermunternd begleitet – in sieben aufeinander folgenden Mails wies er auf den nahenden Stichtag hin und die Chance, zehn Kommilitonen mit Stipendien zu beschenken. Es blieb spannend – am 7. Juli überschritt der Kontostand die kritische Marke.
„An amerikanischen Universitäten läuft die Spenden-Maschine zwar wie geölt“, kommentiert Kirsten Schwarzkopff, die selbst in den USA studiert hat. An deutschen Hochschulen dagegen sei das Alumnisystem oft erst im Aufbau begriffen, und ohne jahrelang gepflegte Mailinglisten fehle es Spendenaufrufen oft an Reichweite. Manchen Universitäten fehlt, so scheint es, auch einfach der Mut. „Gibt es das schon? Nein? Dann machen wir es nicht“, bekam Georg Greitemann, der Ideengeber der Challenge, bei ersten Anfragen von Universitäten zu hören. Antworten, die den 51-jährigen Rechtsanwalt anspornten. Mit einer hochenergetischen Mischung aus missionarischem Eifer und mathematischem Kalkül stößt Greitemann nicht nur an Hochschulen Spendenprojekte an. „Wenn mehr und vor allem auch wohlhabende Menschen spenden würden“, ist er überzeugt, „dann wären wir als Gesellschaft weiter“. Und: „5 Euro gehen immer. Die größte Hürde ist, überhaupt zu spenden.“ Wer mit Greitemann übers Spenden spricht, wird freimütig mit Sätzen wie „Spenden macht glücklich“ beschenkt, was bei ihm gleichzusetzen ist mit „Wirken macht glücklich“. In den Auserwählten des Deutschlandstipendiums entdeckte er „die besten“ Adressaten, die er sich vorstellen konnte: talentierte und gleichzeitig sozial engagierte junge Menschen. In der TU Dresden fand er für das Konzept einer Challenge mit „drastischer Hebelwirkung“ 2021 einen ersten Mitspieler. In diesem Jahr warb er an weiteren Hochschulen für seine Idee. An der Goethe-Universität rannte er bei Marc Heinbücher, Referent des Deutschlandstipendiums, eine offene Tür ein.
Dass Spendenaufrufe keine Selbstläufer sind, oder frei nach Karl Valentin, dass Spenden schön ist, aber viel Arbeit macht, weiß Greitemann auch aus seiner Spendenerfahrung außerhalb von Universitäten. Der Aufbau eines Spendensystems brauche Zeit, sagt er. Mit fünf Prozent Rückläufen starte ein Spendenaufruf für gewöhnlich, nach fünf Jahren habe sich ein Spendenaufruf etabliert – oder eben erledigt. „Ich würde mir wünschen, dass das Projekt an den Universitäten zum Selbstläufer wird und es mich nicht mehr braucht.“ Anstoßen, dranbleiben und weiterziehen zu neuen Wirkungsfeldern mit viel Hebeleffekt, das scheint eine Wunschvorstellung Greitemanns zu sein.
Seine Spendenpartnerin Kirsten Schwartzkopff, die Greitemann spontan bei der Initiative finanziell unterstützt hat, sieht die Aktion pragmatischer. Sie versteht die Challenge als weiteren Ansporn zu mehr Stipendien, deren Notwendigkeit für viele Studierende sie aus ihrer langjährigen Erfahrung als Förderin und Mentorin des Programms nur zu gut kennt. Dass die Stipendiaten die 9.000 Euro-Hürde genommen hätten, sagt sie, sei gar nicht hoch genug zu schätzen. „Machen wir uns nichts vor, die Inflation trifft diejenigen am stärksten, die am wenigsten haben“, sagt die studierte Volkswirtin. „Wer am Monatsende nur fünf Euro in der Tasche hat, überlegt sich eine Spende.“ Von ihr aus könne die Challenge deshalb fortgesetzt werden, dies sei aber kein Muss. „Wenn Stipendiaten das Geld nutzen, um in Ruhe zu studieren, sich weiterzubilden oder ein Auslandssemester einzulegen, dann machen sie schon das Beste daraus.“
Und die Stipendiaten? Wie denken sie über die Challenge? Als die Challenge-Mail eintraf, wirkte dies für Philip Daltrop im ersten Moment unglaublich. V-i-e-r-f-a-c-h-e Hebelwirkung?, staunte der Masterstudent International Management, der selbst aktuell Deutschlandstipendiat war. Im zweiten Moment schickte er die Challenge schon durch seinen Familien-Chat. „Heute“, sagt er, „würde ich da noch viel mehr Gas geben, um den Pool zu vergrößern.“ Klar war ihm aber, dass er die tolle Erfahrung des Stipendiums unbedingt weitergeben wollte. „Ich habe über Projekte wie das Welcome Program für internationale Studierende, das WiWir-Programm, und die TechAcademy viele coole Leute kennengelernt.“ Den finanziellen Zuschuss hat er im Lockdown bei Seite gelegt – als „kleine Karotte“ für eine gezielte Belohnung. Die „kleine Karotte“ fiel dann doch etwas größer aus – während seines Auslandsstudiums in Singapur waren die 300 Euro des Stipendiums eine unverzichtbare Unterstützung. Seiner Meinung nach sollte die Challenge unbedingt fortgesetzt werden – „allein schon damit diejenigen, die diesmal nichts spenden konnten, das nächste Mal die Chance haben.“
Als die Medizinstudentin Julia Heinen Marc Heinbüchers erste Mail liest, empfindet sie Freude über die Möglichkeit, etwas von der positiven Erfahrung ihres Stipendiums zurückgeben zu können – und sich als Deutschlandstipendium-Alumna zu erleben. „Schön wäre es, wenn es eine Alumnigruppe gäbe, wir also noch mehr unternehmen könnten als gemeinsam zu spenden“. Während sie an ihrer Doktorarbeit schreibt, leitet Julia Heinen den Aufruf weiter an die Redaktion des medizinischen Online-Newsletters auf dem medizinischen Campus. „Wenn nur jeder ein bisschen gibt, dann müsse es klappen“, denkt sie, beobachtet aber auch, wie der Spendenbarometer nur beunruhigend langsam klettert. Heinen half das im Lockdown angesparte Stipendium, um danach erstmals eine eigene Wohnung zu beziehen. Trotzdem zögert sie bei der Frage, ob sie es für eine gute Idee halte, die Challenge fortzusetzen. „Was nicht passieren darf: dass der Druck steigt, dass man spenden muss.“ Wichtig sei also, die Challenge richtig zu kommunizieren. Als Angebot, und nicht als Pflicht. Und als eine Herausforderung, die eben auch schiefgehen könne.
Was allen Challenge-Beteiligten bewusst ist: In wirtschaftlich schwierigen Zeiten wird es für Studierende besonders eng. Jeder der studentischen Gesprächspartner finanziert sein Studium auch durch Jobs. Und nicht immer ist es nur einer. In einem Fall hat das Deutschlandstipendium verhindert, dass ein dritter Job nötig wurde. 300 Euro machen den Unterschied. Zehn neue Deutschlandstipendien auch.