Lehrerbildung: Mit Auslandspraktika den kulturellen Perspektivwechsel wagen

Videoberatung: Pegah M. Zadeh wird ihr Schulpraktikum in Vietnam absolvieren.

Wenn Lehramtsstudierende an einer Schule im Ausland hospitieren, stärkt das ihre interkulturelle Kompetenz. Sie profitieren davon auch im deutschen Schulalltag angesichts einer zunehmend heterogenen, internationalen Schülerschaft. Die Goethe-Universität gibt Unterstützung.

Ins Ausland zu gehen, um eigene Fremdsprachenkenntnisse zu verbessern, ist eine gute Sache. Ein fast noch wichtigerer Nebeneffekt ist der Perspektivenwechsel, der mit der ungewohnten Fremdheitserfahrung einhergeht. Die Kultur ist anders, das persönliche Sicherheitsnetz fehlt, man ist unsicher, wie die Dinge laufen und welches Verhalten angemessen ist. „Wer sich selbst einmal fremd im Ausland gefühlt hat, wird viel sensibler dafür, wie es Menschen geht, die aus anderen Ländern nach Deutschland gekommen sind und hier neu anfangen, zum Beispiel mit dem Schulbesuch“, sagt Andreas Hänssig, der bei der ABL im Arbeitsbereich International Teacher Education tätig ist. Wer außerdem schöne Erfahrungen macht bei menschlichen Begegnungen oder bei der Erkundung des Gastlandes, wird wahrscheinlich seine Begeisterung auch an die eigenen Schüler*innen im Unterricht weitergeben.

Viele Gründe für Lehramtsstudierende also, eine Zeitlang ins Ausland zu gehen. Idealerweise, um gleichzeitig mit einem Schulpraktikum schon einige praktische Erfahrungen für den späteren Beruf zu sammeln. An der Goethe-Universität hat Andreas Hänssig, selbst von Haus aus Oberstudienrat, das entsprechende Netzwerk aufgebaut. Der Anfang war mühsam. Gerade in den Anfangsjahren musste Hänssig viel Überzeugungsarbeit leisten – zum Beispiel auf der Bildungsmesse Didacta. „Zuerst bin ich auf Ablehnung gestoßen. Im Gespräch konnte ich die Schulleitungen dann aber doch immer öfter überzeugen, dass auch sie davon profitieren, deutsche Studierende aufzunehmen.“

Tatsächlich ist das Erfolgsgeheimnis vieler dieser Kooperationen der persönliche Draht. Als es mit der International Teacher Education losging, besuchte Hänssig auch Schulen in Luxemburg, Bangkok und Singapur; interviewte die Leitungen zu ihren Konzepten und Anforderungen. „Dieser persönliche Draht, das lässt sich einfach nicht mit Zoom ersetzen“, weiß Andreas Hänssig. An anderen Stellen spielt das Internet aber eine große Rolle. Studierende, die von ihren Schulpraktika zurückgekehrt sind, berichten lebendig und mit vielen Fotos von ihren Erfahrungen. Und nicht nur, wie aufregend es war, in Mexico, Ägypten oder auf Gran Canaria für eine Zeit alleine zu leben, sondern auch, wie diese Erfahrung sie besser vorbereitet hat auf ihre Rolle als Lehrer*in.

Trotz der Pandemie ist die Nachfrage nach Schulpraktika im Ausland hoch. So haben sich 14 Studierende für das Praxissemester 2021/22 und 27 Studierenden für das Schulpraktikum Frühjahr 2022 im Ausland angemeldet. Davon haben bereits fünf Studierende eine Zusage aus Griechenland, Mexiko und Vietnam erhalten.

Überhaupt, die Zielländer. Mittlerweile können sich die Lehramtsstudierenden über die ABL an 21 Kooperationsschulen in 18 Ländern weltweit bewerben. Andreas Hänssig findet es gut, wenn Lehramtsstudierende der Goethe-Universität mit Lust auf einen internationalen Schulaufenthalt sich nicht auf Ziele wie London, Paris oder Rom fixieren. Auch wenn das bedeutet, sich zumindest Grundkenntnisse in einer ganz neuen Sprache zuvor aneignen zu müssen – das Sprachenzentrum der Goethe-Universität bietet hier alle Möglichkeiten zur Vorbereitung. Hänssig: „Kulturelle Vielfalt bereichert unsere Schulklassen – auch aus Asien und Osteuropa. Deshalb ist es wichtig, dass die Studierenden ihre ‚Komfortzone‘ verlassen und neben kulturellen Erfahrungen auch andere Lern- und Unterrichtskonzepte kennenlernen.“

Die Vielfalt der Möglichkeiten bringt Hänssig den Lehramtsstudierenden gerne gemeinsam mit Nick Ebner, der im International Office zu Auslandspraktika berät, in Infoveranstaltungen nahe. Seit Corona per Zoom – aber das klappt auch ganz gut. Rund 70 „Lehramtsstudierende“ schalteten sich beim letzten Mal dazu. Hänssig und Ebner zeigen die Bandbreite der Möglichkeiten und geben praktische Unterstützung für die Bewerbungen, inklusive to-do-Checklisten und Infos zu Förderorganisationen wie dem DAAD, die bei der Vermittlung und teils auch mit Stipendien pragmatisch helfen. Wichtigster Kooperationspartner ist das Goethe-Institut mit seinem SCHULWÄRTS!-Programm. Dieses bietet den Studierenden neben einer finanziellen Unterstützung eine optimale Vorbereitung zu relevanten Themen (Deutsch als Zweitsprache bzw. Fremdsprache und kulturelle Diversität) und Vermittlung an eine nationale Schule im Ausland, betreut vom Goethe-Institut und eine Auswertung und Reflexion der gemachten Erfahrungen. Außerdem arbeitet die Goethe-Universität eng mit dem Weltverband Deutscher Auslandsschulen und dem Deutschen Akademischen Austauschdienst und dem Pädagogischen Austauschdienst zusammen.

„Aber wie bewerbe ich mich bei einer mir unbekannten Schule in einem anderen Kulturraum, zum Beispiel in Sankt Petersburg? Wir haben festgestellt, dass diese Frage bei vielen Studierenden Unsicherheit auslöst“, erzählt Andreas Hänssig. Darum lädt die ABL seit einiger Zeit immer wieder internationale Schulleiter*innen ein, in (zurzeit virtuellen) Vorträgen ihre Schule vorzustellen, ihre Erwartungen an die Studierenden aus Frankfurt zu benennen und Fragen der Interessenten zu beantworten. Mit diesen konkreten Eindrücken wird es für die Studierenden leichter, sich erfolgreich zu bewerben, und sie können sich auch dafür noch Support von Andreas Hänssig holen.

„Manchmal berate ich Studierende vier Mal, bevor sie ihre Bewerbung für ein Schulpraktikum abschicken“, erzählt der ABL-Kollege. Wer mit Hänssig spricht, spürt schnell, dass ihm dieser Service mehr Lust als Last ist, dass sein Job ihn erfüllt. Ein bisschen hat es auch etwas von Life Coaching: Die Studierenden sind oft noch unsicher, ob sie gut genug sind für eine internationale Hospitation. Auch, weil immer mehr junge Menschen als Erste in ihrer Familie studieren, denen Mut machende Vorbilder fehlen. „Ich sage dann gerne: ‚Jetzt schauen wir erst einmal, was Sie alles können, und nicht, was Sie nicht können‘“, sagt Andreas Hänssig. Er freut sich, wenn er „seine“ Studierenden manchmal nach dem Auslandsaufenthalt wiedertrifft. Manchmal erkennt er sie erst auf den zweiten Blick: Aus dem Auslandspraktikum kehren nicht selten neue, starke, gereifte Persönlichkeiten zurück.

Botschafter, die Mut machen, ihrem Beispiel zu folgen: Über 50 Lehramtsstudierende berichten über ihre Auslandserfahrungen auf der ABL-Homepage.

»ES FEHLEN NACH WIE VOR MEHR LEHRKRÄFTE MIT MIGRATIONSBIOGRAFIE«

Wie haben Sie sich der Thematik International Teacher Education genähert?
Andreas Hänssig: Aufgrund eigener Auslandserfahrungen in meinem Lehramtsstudium und Schulbesuchen im Ausland konnte ich die Kompetenzerweiterung der Lehrkräfte und Praktikant*innen persönlich erfahren. Außerdem habe ich über 20 Jahre Lehramtsstudierende auf Schulpraktika im Rhein-Main-Gebiet vorbereitet, in den Schulen besucht und beraten. Dabei wurde deutlich, dass die kulturelle Vielfalt und die Wertschätzung unterschiedlicher Herkunftsländer zugenommen haben. Viele Kinder sprechen nicht Deutsch als Erstsprache und es fehlen nach wie vor Lehrkräfte mit Migrationsbiografie in deutschen Schulen, die Schüler*innen mit Migrationshintergrund als Vorbild dienen könnten.

Was sind typische Fragen der Mobilitätsmaßnahmen interessierten Lehramtsstudierenden, vielleicht auch typisch falsche Vorstellungen im Vorfeld?
Die drei wichtigsten Fragen sind: Wird mein Auslandssemester bzw. Schulpraktikum im Ausland anerkannt? Droht mir eine Studienzeitverlängerung? Wie kann mein Auslandsaufenthalt finanziert werden?
Falsche Vorstellungen beziehen sich auf den Wunsch ins Ausland zugehen und quasi „sinnhaft Urlaub“ zu machen. Sicher ist die Wahl des Landes wichtig. Entscheidend ist aber, warum Studierende sich für eine Universität oder für ein Schulpraktikum im Ausland studienbedingt entscheiden. Für ein Schulpraktikum im Ausland erwarten unsere Kooperationsschulen zum Beispiel, dass sich die Studierenden mit dem Schulkonzept und speziellen Fördermaßnahmen auseinandergesetzt haben. Der Wunsch „schon immer einmal die Great Ocean Road“ in Australien“ sehen zu wollen, ist verständlich, aber nicht relevant für das Motivationsschreiben.

Im Gegensatz zum Uni-Auslandssemester muss ich mich als Lehramtsstudierende*r in einer fremden Umgebung direkt vor „Publikum“ präsentieren und Leistung öffentlich sichtbar abliefern. Gibt es hierfür Vorbereitungskurse?  
Ja, die Akademie für Bildungsforschung und Lehrkräftebildung (ABL) bietet Informationsveranstaltungen zu Auslandsaufenthalten an und gibt Hilfestellungen bei der Bewerbung. Außerdem bereiten wir gerade eine verbindliche Blockveranstaltung mit Themen wie kulturelle Vielfalt, sprachsensibler Fachunterricht und DaF-/DaZ-Unterricht vor. Im Studiengang Lehramt an Gymnasien werden die Studierenden in einer zweitägigen Blockveranstaltung vor Antritt der Praxisphase auf das Schulpraktikum im Ausland vorbereitet.


Dieser Artikel ist in der Ausgabe 2/2021 des Mitarbeitermagazins GoetheSpektrum erschienen.

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