»Gespräche sollen ein Dialog sein, in dem alle Beteiligten in sicherem Rahmen zu Wort kommen«

Studierende stellen Fragen an die israelische Generalkonsulin Talya Lador-Fresher zum Krieg in Nahost.

Talya Lador-Fresher. | Foto: Manuel Rudel

Die Terrorangriffe der Hamas auf Israel sowie dessen militärisches Vorgehen beschäftigen auch viele Mitglieder der Goethe-Universität, zum Teil, weil sie Menschen in der Region familiär oder freundschaftlich verbunden sind. Zugleich sind der Konflikt, seine Geschichte und seine Folgen Themen für Forschung und Lehre an der Universität.

Prof. Dr. Christian Wiese, Direktor des Buber-Rosenzweig-Instituts für jüdische Geistes- und Kulturgeschichte der Moderne und der Gegenwart und Professor am Fachbereich Evangelische Theologie, hatte für Anfang Juni eine Veranstaltung geplant, bei der sich Talya Lador-Fresher, Generalkonsulin
Israels in München, Fragen Studierender stellen wollte. Aufgrund einer bei der Stadt angezeigten Protestversammlung gegen diesen Besuch entwickelte sich eine Dynamik, in der die Universitätsleitung die Sicherheit der teilnehmenden Studierenden und der Generalkonsulin nicht mehr gewährleistet
sah. In Absprache mit den Sicherheitsbehörden entschied sich die Universitätsleitung dazu, die Veranstaltung auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben.

Das Gespräch wurde am 8. Juli nachgeholt. Vor einem neuen Anlauf für diesen durch das Buber-Rosenzweig-Institut begleiteten Diskurs stellten zwei Studierende, die an dem Gespräch teilnehmen wollten, der Generalkonsulin schriftlich ihre Fragen. Wir dokumentieren diese sowie die Antworten
der Generalkonsulin.

Liebe Frau Generalkonsulin, vielen Dank für Ihre Bereitschaft, mit uns in Austausch zu treten. Der erste Termin für das gemeinsame Gespräch musste aus Sicherheitsbedenken verschoben werden. Was hat diese Absage für Sie bedeutet? Vonseiten der Protestierenden wurde Ihr Gesprächsangebot als eine Apologie israelischen Staatshandelns dargestellt. Was war Ihre Intention, als Sie zum Gespräch eingeladen haben?

Talya Lador-Fresher: Dass der erste Termin verschoben werden musste, war eine große Enttäuschung. Ich kann die Sorge um die Studierenden und die Sicherheitsbedenken bezüglich der Veranstaltung seitens der Goethe-Universität nachvollziehen. Gleichzeitig ist es erschreckend, dass der Terror zu einer Verschiebung der Veranstaltung geführt hat. Terror findet nicht nur physisch, sondern auch psychisch statt – beispielsweise, wenn man wie in diesem Falle seine Meinung nicht frei äußern kann.

Genau das war die Intention des Gesprächsangebotes: die Erfahrungen und Einschätzungen als israelische Diplomatin zu teilen und mit den anwesenden Studierenden in einen Austausch über ihre Erfahrungen und Gedanken zu kommen.

Die Darstellung des Gesprächsangebotes als „Apologie israelischen Staatshandelns“ folgt erneut dem Paradigma der Anwendung von Doppelstandards in Bezug auf den Staat Israel sowie Vertreterinnen und Vertreter des Staates Israel. Unter dieser Prämisse wird ein Dialog nahezu unmöglich gemacht. Gespräche sollen ein Dialog sein, in dem alle Beteiligten in sicherem Rahmen zu Wort kommen und vor allem einander zuhören können.

Ich bin davon überzeugt, dass die schrecklichen Ereignisse des 7. Oktober im Bewusstsein aller Studierenden, aller Menschen in Deutschland verankert sein müssen. Wer dieses grausame Massaker vergisst, verdrängt oder negiert, betreibt eine Täter-Opfer-Umkehr.

Kann man aus Ihrer Sicht unter diesen Bedingungen überhaupt in einen echten Austausch kommen? Sie haben viel Erfahrung mit konflikthaften Gesprächen. Haben Sie einen Rat für Studierende, wie man mit Personen, die aggressiv auftreten, in ein konstruktives Gespräch kommen kann, das beide Seiten wirklich weiterbringt?

Grundsätzlich bedarf jedes Gespräch Rahmenbedingungen. Wenn ein Part aggressiv auftritt, wird ein Gespräch weitestgehend unmöglich gemacht. Mir ist an dieser Stelle wichtig zu sagen: Die Menschen, die am 4. Juni antisemitische Ressentiments und Israelhass reproduzierend vor der Goethe-Universität protestiert haben, haben kein Interesse an einem tatsächlichen Dialog.

Auf Kundgebungen wie der vor der Goethe-Universität am 4. Juni werden häufig jenseits seriöser Fakten und Quellen antisemitische und antiisraelische Meinungen reproduziert. Informationen, die beispielsweise
von der Terrororganisation Hamas kommen, entstammen keiner verlässlichen und vertrauensvollen Quelle. Dies haben beispielsweise die Vorgänge rund um die Explosion auf dem Parkplatz des Al-Ahli-Krankenhauses am 17. Oktober 2023 gezeigt. Bei der Explosion wurden Palästinenserinnen und Palästinenser, die dort Schutz suchten, getötet oder verletzt. Die Berichte über die Ursache der Explosion gehen weit auseinander. Laut Angaben der Hamas sei ein israelischer Luftangriff für die Explosion verantwortlich. Geheimdienstquellen Israels, der Vereinigten Staaten, Frankreichs, des Vereinigten Königreichs und Kanadas belegen dagegen, dass die Ursache der Explosion ein fehlgeschlagener Raketenabschuss aus dem Gazastreifen durch den Palästinensischen Islamischen Dschihad war. Bereits wenige Stunden nach der Explosion und während noch andauernder Ermittlungen wurde Israel auf sogenannten „pro-palästinensischen“-Kundgebungen, die vielerorts vielmehr „Pro-Terror“-Kundgebungen waren, verantwortlich gemacht. Auch nach Bekanntwerden des fehlgeschlagenen Raketenabschusses aus dem Gazastreifen als der tatsächlichen Ursache der Explosion folgte meist keine Korrektur der verbreiteten Falschinformationen.

Wenn gegenseitiger Wille und Geduld, einander vorurteilsfrei zuzuhören, bestehen, schätze ich auch potenziell konfliktbehaftete Gespräche. In der Vergangenheit habe ich häufig herausfordernde Gespräche mit Personen geführt, die nicht mit mir übereingestimmt haben. Vieles aus diesen Gesprächen nehme ich bis heute mit.

Die Stimmen, die einen Abbruch des wissenschaftlichen Austausches mit israelischen Universitäten fordern, werden immer lauter. Welche Bedeutung hat der universitäre Austausch für die deutsch-israelischen Beziehungen? Wie blicken Sie vor diesem Hintergrund auf die Forderung BDS-naher Personen, diese zu beenden? Aktuell wird in Deutschland viel über Israel gesprochen. Wird Israel hierzulande korrekt dargestellt? Begegnen Ihnen Fehlvorstellungen oder Leerstellen, die korrigiert
werden müssen?

Offen gestanden kann ich diese Entwicklung absolut nicht nachvollziehen. Das Erstarken der BDS-Bewegung nach dem Massaker der Hamas am 7. Oktober ist unfassbar. Die Menschen, die Opfer dieser barbarischen Terrorattacke wurden, die sich und die westlichen Werte gerade verteidigen, sollen als Reaktion darauf nun boykottiert werden?

Der Abbruch des wissenschaftlichen Austausches wäre nachteilig für alle – natürlich für die deutschen wie auch für die israelischen Universitäten, primär aber für die weltweite Zivilgesellschaft. Ein Beispiel für eine erfolgreiche Kooperation ist das an der hiesigen Universität erst vor Kurzem gegründete „Frankfurt-Tel Aviv Center for the Study of Religious and Interreligious Dynamics“, das sich quasi aus allen geisteswissenschaftlichen Disziplinen den drei abrahamitischen Religionen widmet. Wie wichtig dieser ganzheitliche Ansatz ist, zeigen deutlich die Zeiten, in denen wir leben.

Außerdem ist Israel in vielen Bereichen Vorbild: Zahlreiche israelische Universitäten liegen beispielsweise im Shanghai-Ranking unter den Top 100. Es ist beschämend, dass derzeit israelische Professorinnen und Professoren aufgrund der BDS-Bewegung gehäuft Schwierigkeiten haben, im Ausland Lehrveranstaltungen zu halten oder ihre wissenschaftlichen Artikel in Fachzeitschriften zu publizieren.
An dieser Stelle möchte ich ein Gedicht von Johann Wolfgang von Goethe zitieren:

»Wer nicht von dreitausend Jahren
Sich weiß Rechenschaft zu geben,
Bleibt im Dunkeln unerfahren,
Mag von Tag zu Tage leben.«

Die Hochschulrektorenkonferenz hat sich bereits 2019 klar zur IHRA-Definition von Antisemitismus und deren Anwendung an ihren Mitgliedshochschulen bekannt. Durch die konsequente Umsetzung dieses Beschlusses und der Anwendung der IHRA verbietet es sich für die Universitäten, den BDS-Forderungen, den wissenschaftlichen Austausch mit israelischen Universitäten abzubrechen, nachzukommen.

Bezüglich der Darstellung Israels in Deutschland komme ich nochmals auf die bereits angesprochene Täter-Opfer-Umkehr zurück: Es darf nicht vergessen werden, was am 7. Oktober passierte. Israel wurde von der Hamas, einem vom Iran unterstützen Flügel der Muslimbruderschaft, angegriffen. Über 1200 Menschen in Israel, überwiegend Zivilistinnen und Zivilisten, wurden auf grausamste Weise von einer Terrororganisation, die auch ihre eigene Zivilbevölkerung als Schutzschilde missbraucht, bestialisch ermordet und über 250 weitere Menschen wurden als Geiseln genommen. Leider erlebe ich häufig, dass die Ursache der aktuellen Situation – die Angriffe auf Israel – verschwiegen oder gar völlig verkannt wird, wenn über Israel gesprochen wird. Auch ich empfinde Mitleid mit der Zivilbevölkerung im Gazastreifen und kann sehr gut nachvollziehen, dass dieses Mitgefühl adressiert wird. Es muss möglich sein, Mitgefühl zu äußern und gleichzeitig die aktuelle Situation klar zu benennen: Israel verteidigt gerade die demokratischen Werte des Westens gegen die Hamas aus dem Gazastreifen und die Hisbollah aus dem Libanon.

Die Fragen stellten Antonia Steins und Malte Blaha.

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