„Keine Angst vor Technologie oder Datenwissenschaft!“

Prof. Ingrid Fleming, Direktorin des „Institute for Vascular Signalling“ an der Goethe-Universität und Faculty-Mitglied des Cardio-Pulmonary Institute, erforscht die Funktionsweise des Herz-Kreislauf-Systems und wie Medikamente darauf einwirken können.

Ich habe immer nur die Richtungen verfolgt, die ich interessant fand, und bin hier gelandet“, erläutert die Forscherin ihren wissenschaftlichen Werdegang. In ihrem Forschungslabor gibt es eine Reihe verschiedener Projekte, die von den Auswirkungen neuartiger Lipidmediatoren auf das Herz über das Wachstum neuer Lymphgefäße und bis zu Stoffwechselkrankheiten reichen. Außerdem erforscht sie, wie Modifikationen an Proteinen deren Funktion verändern, die Rolle matrixassoziierter Proteine bei der Regeneration von Blutgefäßen und identifiziert vaskuläre Mikroproteine.

Volkskrankheit Diabetes

In den letzten Jahren hat die Arbeitsgruppe von Prof. Fleming, mithilfe des Cardio-Pulmonary Institute (CPI), eine Metabolomics-Core-Unit eingerichtet, die es ihnen ermöglicht, eine große Anzahl verschiedener Abbauprodukte von Stoffwechselvorgängen in biologischen Proben, sei es Blut, Urin oder Gewebe, zu messen und zu untersuchen. Ihr besonderes Interesse gilt der Volkskrankheit Diabetes und der Frage, wie diese Erkrankung mit der beschleunigten Entwicklung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen zusammenhängt. Diabetes-Patient*innen haben ein bis zu dreifach erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, vor allem für Herzinfarkt, Schlaganfall und die arterielle Verschlusskrankheit. Auch Alzheimer, häufig als Typ-III-Diabetes bezeichnet, wird erforscht. Ein Merkmal dieser Krankheiten scheint eine Störung der Mikrozirkulation in den kleinen Gefäßen zu sein, die den Blutdruck und die Verfügbarkeit von Sauerstoff und Nährstoffen für das Gewebe bestimmen. Die Forschenden konnten ein Enzym identifizieren, das in diesem Prozess eine Schlüsselrolle spielt und in der Netzhaut die diabetische Retinopathie in einem Mausmodell verhindern kann. „Unsere Entdeckung und anschließende Entwicklung neuartiger Hemmstoffe für dieses Enzym schafft Hoffnung, dass die diabetische Retinopathie, eine der Hauptursachen für Erblindung in der Bevölkerung, hoffentlich eines Tages behandelt werden kann“, fasst Prof. Fleming zusammen. 

Die jüngste Veröffentlichung von Prof. Fleming, in dem renommierten Wissenschaftsmagazin Nature, wurde von der Gruppe von Prof. Braun am Max-Planck-Institut für Herz- und Lungenforschung in Bad Nauheim geleitet. Sie sind seit Langem daran interessiert, Mechanismen zu finden, die die Reparatur des Herzens erleichtern und insbesondere die Vermehrung von Herzmuskelzellen ermöglichen, um den Verlust der Zellen nach einem Herzinfarkt auszugleichen. Das ist ein hochgestecktes Ziel und so etwas wie ein heiliger Gral in der Herz-Kreislauf-Forschung. Warum sich erwachsene Herzmuskelzellen nicht mehr vermehren können, hängt zum Teil mit einer Veränderung ihres Stoffwechsels zusammen, da Herzmuskelzellen mehr auf die Fettsäureoxidation von Laktat als auf Glukose angewiesen sind. Es wurde festgestellt, dass die Ausschaltung der Fettsäureoxidation in erwachsenen Herzmuskelzellen die Vermehrung der Zellen anregt und so die Regeneration des Herzens nach einem Herzinfarkt fördert. Auf molekularer Ebene führte die Umstellung des Stoffwechsels zur Anhäufung eines bestimmten Metaboliten, der die Aktivität von Enzymen reguliert, in diesem Fall einer Demethylase, die die Expression von Genen verändert, die die Herzreifung bestimmen. Wenn also der Fettsäurestoffwechsel gehemmt wurde, kehrten die reifen Herzmuskelzellen zu einem weniger reifen Phänotyp zurück und waren in der Lage, sich zu vermehren. Diese Forschungsarbeit ist ein großartiges Beispiel für das kollaborative Netzwerk im Cardio-Pulmonary Institute und den Austausch an Expertise und gemeinsamer Nutzung von Infrastruktur.

Prof. Ingrid Fleming.
Foto: Klaus Wäldele

Advisory Professorship an der Huazhong University of Science and Technology

Prof. Ingrid Fleming ist seit 2023 advisory Professorin an der Huazhong University of Science and Technology Wuhan in China. Diese Zusammenarbeit hat eine lange Geschichte und begann damit, dass der Leiter der Kardiologie am Tongji Medical College, das zur Huazhong University of Science and Technology gehört, an demselben Lipidsignalweg arbeitet wie das Labor von Prof. Fleming. »Wir sind dabei, ein deutsch-chinesisches Labor für Herz-Lungen-Wissenschaften aufzubauen und arbeiten mit der Goethe-Universität zusammen, um den Austausch von Studenten zwischen den beiden Universitäten zu ermöglichen«, erklärt Prof. Fleming.


Das Cardio-Pulmonary Institute

Herz- und Lungenkrankheiten sind weltweit die häufigsten Todesursachen. Das Cardio-Pulmonary Institute (CPI) besteht aus grundlagenorientierten, klinischen und translationalen Forscher*innen und Expert*innen, die sich zusammengeschlossen haben, um Herz- und Lungenerkrankungen zu verstehen und neue Therapieansätze zu finden. Das Konsortium der Universitäten Frankfurt (GU) und Gießen (JLU) sowie des Max-Planck-Instituts für Herz- und Lungenforschung (MPI-HLR) wird im Rahmen der Exzellenzstrategie der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert.

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Förderung von Nachwuchsforschenden

Prof. Fleming war federführend an dem Aufbau des CPI PhD-Programms und des Förderprogramms für Nachwuchsforschende, der CPI-Akademie, beteiligt. „Wir haben die CPI-Akademie mit dem Ziel konzipiert, Nachwuchswissenschaftler*innen eine kontinuierliche und fortgeschrittene Unterstützung zu bieten, die sich auf Herz und Lunge konzentrieren soll“, so Prof. Fleming. Die Idee ist es, Workshops, Weiterbildungen und Mentoring anzubieten, die auf die ganz spezifischen Bedürfnisse der CPI-Akademie Mitglieder zugeschnitten sind. Es gibt auch bereits Erfolgsgeschichten: Einige ehemalige CPI-Akademie Mitglieder haben inzwischen ihre eigenen Forschungsgruppen gegründet und eine eigene Professur inne. Es hat sich gezeigt, dass die CPI-Akademie ein ausgezeichnetes und äußerst wertvolles Trainingsfeld sowie ein effektives Netzwerk für die Zusammenarbeit ist. „Mein Rat ist, das Beste aus der Gelegenheit zu machen und eine aktive Rolle zu spielen. Als ich mich in einem frühen Stadium meiner Karriere befand, gab es solche Möglichkeiten nicht, und ich denke, dass ich davon sehr profitiert hätte“, bestätigt Prof. Fleming.

Auch in Zukunft möchte Prof. Fleming sich allein von ihren Forschungsinteressen leiten lassen. „Ich habe keine Kristallkugel, aber was mich im Moment wirklich fasziniert, ist die Erforschung der Ursachen für Mikrozirkulationsstörungen in der Netzhaut, im Herzen oder im Gehirn und wie Diabetes deren Entwicklung beschleunigt“, erzählt Prof. Fleming. Innerhalb des CPI gibt es glücklicherweise Experten mit viel Erfahrung in der Arbeit an neurovaskulären Interaktionen sowie wichtige Forschungsinfrastruktur für Einzelzellsequenzierung, Proteomik usw., die sich als äußerst wertvoll erweisen werden, um dieses Ziel zu erreichen. Ein weiteres wichtiges Forschungsfeld der Zukunft sieht Prof. Fleming in der geschlechtersensiblen Medizin und Forschung. „Wir müssen uns mehr darauf konzentrieren, wie sich weibliche und männliche kardiopulmonale Erkrankungen unterscheiden.

In den nächsten Jahren wird es wahrscheinlich zu einer explosionsartigen Zunahme personalisierter Screening- und Krankheitsanalysen kommen, sodass die Therapieoptionen flexibel werden und sich von dem derzeitigen Ansatz, der auf einer weißen, männlichen Bevölkerung basiert, wegbewegen müssen“, erläutert die Professorin. Auch für angehende Forscher*innen hat Sie abschließend noch den Rat Keine Angst vor Technologie oder Datenwissenschaft zu haben, denn beides erweist sich als absolut unerlässlich für die kardiopulmonale Wissenschaft der Zukunft.

Katharina Schulenburg

ExStra – die Exzellenzstrategie des Bundes und der Länder

Mit vier neuen Clustern bewirbt sich die Goethe-Universität Frankfurt für die anstehende Runde der Exzellenzstrategie des Bundes und der Länder: Es sind die Forschungsthemen Vertrauen im Konflikt (CONTRUST), Infektion und Entzündung (EMTHERA), Ursprung der Schweren Elemente (ELEMENTS) und zelluläre Architekturen (SCALE). Die Anträge vereinen die Kompetenzen und zukunftsweisenden Ideen der Goethe-Universität mit denen der Kolleg:innen des Verbunds der Rhein-Main-Universitäten (RMU) und weitere Partner der vier großen Organisationen der außeruniversitären Forschung. Der seit 2019 bestehende Exzellenzcluster Cardiopulmonary Institute (CPI) wird im kommenden Jahr direkt einen Vollantrag einreichen.

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