Der Ökonom Prof. Guido Friebel hat zusammen mit anderen Wissenschaftler*innen die Einführung eines sogenannten Mitarbeiterempfehlungsprogramms (ERP = Employee Referral Program) in einer Lebensmittelkette untersucht. Der größte Effekt liegt in der gestiegenen Wertschätzung der Mitarbeitenden seitens der Unternehmensleitung.
Mitarbeiterempfehlungsprogramme (MEPs) wurden in einem kontrollierten Feldexperiment in einem Teil der Supermärkte einer Kette eingeführt (die »Behandlungsgruppe«). Höhere Empfehlungsprämien führen zu mehr Empfehlungen, verringern aber die Qualität. Der Gesamteffekt des MEP ist beträchtlich, obwohl dessen Anteil an allen Einstellungen relativ gering ist. Die Personalfluktuation sinkt um 15 Prozent und damit sinken Personalkosten erheblich. Dies ist vor allem auf indirekte Effekte zurückzuführen: Mitarbeitende in den »behandelten« Supermärkten verweilen länger als in den Supermärkten, in denen es kein MEP gab. Arbeitnehmende schätzen, an der Einstellung von Kolleg*innen beteiligt zu sein und sich von der Unternehmung respektiert zu fühlen.
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(erhältlich in der Uni Bibliothek oder Kontakt an: gfriebel@wiwi.uni-frankfurt.de)
UniReport: Herr Prof. Friebel, die Kultur der Mitarbeiterempfehlungsprogramme kennt man in Deutschland noch nicht so gut – die stammt eher aus dem amerikanischen Kontext?
Guido Friebel: Ja, in den USA steht das in Verbindung mit dem sogenannten „War for talent“; wir würden das wohl weniger martialisch als Fachkräftemangel bezeichnen. Mitarbeiterempfehlungsprogramme (MEP) sind in der Tat bei uns in Deutschland erst in der letzten Zeit aufgetaucht. Viele Unternehmen fragen sich: Wie ziehe ich qualifizierte Leute an und wie behalte ich sie? Die MEP kommen klassischerweise in sehr illiquiden Arbeitsmärkten zum Einsatz: Stellen Sie sich einen spezialisierten und engen Arbeitsmarkt vor, zum Beispiel für Erdölingenieure, die große Anlagen im Offshore-Bereich entwerfen. Da haben Personaler dann gesagt: Unsere Mitarbeitenden verfügen über soziale Netze mit ähnlich Qualifizierten. Fragen wir die einfach mal, ob die jemanden empfehlen können. Wenn das gelingt, kriegt der Empfehlende eine Prämie. Die Prämien waren sehr substanziell, ungefähr in der Höhe von einem Monatslohn, der ausgezahlt wird, wenn die eingestellte Person die Probezeit übersteht. Das ist billiger, als einen Headhunter zu engagieren, dessen Dienste zwischen 3 und 15 Monatsgehältern des Eingestellten kosten. Und vielleicht macht der es auch gar nicht besser.
Steht nicht dabei immer auch der Verdacht des Nepotismus, der Vetternwirtschaft, im Raum?
Ein gewisses Misstrauen gegenüber dem Prinzip der Empfehlung gibt es sicherlich. Aber unsere Forschung dazu zeigt, dass die Vorbehalte unbegründet sind. Denn mit dem eigenen Namen muss man dafür bürgen, dass die empfohlenen Leute etwas können – falls man nur aus Eigennutz eine berufliche „Niete“ empfiehlt, fällt das auf einen selbst zurück.
Wie sieht die Empfehlung im Rahmen des von Ihnen untersuchten Programms praktisch aus, wie formalisiert ist das?
Wir wissen alle, dass in der Arbeitswelt Jobs sehr oft über Netzwerke vermittelt werden. Es wäre absurd anzunehmen, dass wir nur aufgrund unserer Qualifikationen und der eigenen Bewerbung eingestellt würden. In der Arbeitssoziologie ist das hinreichend erforscht worden. Marc Granovetter ist da mit seinen Arbeiten führend, vor allem mit „The Strength of Weak Ties“: Es ist von großem Vorteil, wenn man Leute kennt, die einen darauf hinweisen, wo ein Jobangebot besteht. Im Rahmen unserer Studie haben wir aus diesem Grundprinzip ein Programm gemacht: Den Mitarbeitenden in der von uns untersuchten Supermarktkette wurde präzise mitgeteilt, wer empfohlen werden kann. Man sagt der Personalabteilung Bescheid, gibt den Namen des/der Empfohlenen an und präzisiert, für welchen Supermarkt man die Person empfiehlt. Darauf bewirbt sich die Person und weist auf die Empfehlung hin. Die Personalverantwortlichen schauen sich die Person an. Der Bonus für die Empfehlung wird dann ausgezahlt, wenn die neueingestellte Person die Probezeit überstanden hat. Das Verfahren ist hochorganisiert und transparent.
Können Sie etwas zu Ihrer Methode sagen?
Wir haben bei einem großen Unternehmen im Nordosten der EU, das unter Einstellungsproblemen und einer hohen Fluktuation von Mitarbeitenden litt, quasi am offenen Herzen eine Untersuchung durchgeführt. Dabei haben wir ein Forschungsdesign angewendet, das man aus klinischen Studien kennt: das sogenannte randomized control led trial (RCT). Die Logik dieser Feldexperimente basiert darauf, dass eine Vergleichsgruppe gebildet wird, die statistisch identisch ist mit der Behandlungsgruppe. In der Medizin bekommt eine Gruppe ein Antibiotikum zur Behandlung einer Atemwegsinfektion, die andere lediglich ein Placebo. Alles, was ich an Ergebnisveränderung beobachten kann, also das Verschwinden der Infektion, beruht damit auf der Einnahme eines Antibiotikums, ist also zurückzuführen auf die Intervention und nicht auf irgendetwas anderes. Entsprechend fungierte ein Teil der von uns untersuchten Supermärkte als „Treatment-Gruppe“, in denen das Mitarbeiterempfehlungsprogramm zur Anwendung kam. Als Vergleichsgruppe haben wir eine Gruppe von Supermärkten herangezogen, in denen Empfehlungen von Mitarbeitenden nicht möglich waren. Das war ungefähr ein Viertel der Supermärkte. Wir sind nicht die Ersten, die diese Methode in der Ökonomie angewendet haben. Abhijit Banerjee, Esther Duflo und Michael Kremer wurden unter anderem für ihre RCTs zur Bekämpfung der Armut in Entwicklungsländern mit dem Nobelpreis ausgezeichnet.
Wie hat das Programm funktioniert?
Normalerweise wird in Supermärkten von vier Bewerber*innen nur eine/r angestellt. Bei den Empfohlenen hat man aber eine Einstellungsquote von 85 Prozent. Sicherlich kann man dieses Ergebnis unterschiedlich auslegen. Entweder sind die Empfohlenen besser als die anderen Bewerberinnen oder der Supermarkt vertraut einfach den empfehlenden Mitarbeitenden. Ein Vertrauensvorschuss ist auf jeden Fall damit verbunden. Mit unserem formalisierten Programm bekommt man also mehr Struktur in die Empfehlungspraxis als bei der normalen Mund-zu-Mund-Propaganda. Wir haben übrigens Mitarbeitende befragt, warum sie, wenn sie das Programm kennen, trotzdem niemanden empfohlen haben. Da kam interessanterweise nicht so stark raus, dass die Leute nicht die Sorge hatten, dass einer aus ihrem Netzwerk beruflich nicht kompetent ist; eher dominierte die Angst davor, dass sich der Job als zu hart und zu anspruchsvoll erweisen könnte. Also war die Reputation dem Netzwerk gegenüber wichtiger als gegenüber der Firma.
In Ihrem Paper sprechen Sie von der hohen Bedeutung »indirekter Effekte« des Mitarbeiterempfehlungsprogramms.
Das halte ich für fundamental: Ein Arbeitsplatz ist nicht einfach nur der Ort, wo ich für meine Arbeit bezahlt werde. Ich gehe zur Arbeit, weil ich das Umfeld schätze oder verlasse es, wenn es mir nicht mehr gefällt. Es geht also auch um die Wertschätzung, die ich für meine Arbeit erfahre. Damit stellt sich die Frage, wie das Management glaubwürdig Respekt vermitteln kann. Wenn man einfach nur immer wieder den Mitarbeitenden bescheinigt, dass sie ihre Arbeit gut gemacht haben, dann glaubt das irgendwann niemand mehr. Es ist wesentlich besser und glaubwürdiger, wenn der/die Vorgesetzte sagt: „Das hast Du super gemacht, weil…“ Diese Begründungen zu liefern, kostet aber Zeit und Mühe. Der/die Vorgesetzte muss also wissen, warum ein/e Mitarbeitende/r etwas kompetent geregelt hat. MEP sind ein geeignetes Mittel, um Respekt zu erweisen. In unserer Studie finden wir, dass die Personalfluktuation in der Behandlungsgruppe selbst dann sinkt, wenn in einem Supermarkt niemand empfohlen wurde. Aber die Mitarbeitenden wussten von der Möglichkeit, jemanden zu empfehlen. Wir finden, dass die Leute in der Behandlungsgruppe sich mehr respektiert fühlen. Sie haben das Recht erhalten, neue Mitarbeitende zu empfehlen. Als Unternehmensleitung signalisiere ich damit, dass ich bei den Mitarbeitenden ein gutes Einschätzungsvermögen sehe. Das ist nur eine Möglichkeit, Respekt zu kommunizieren. Eine andere ist das sogenannte „Idea Management“, früher auch unter dem Namen betriebliches Vorschlagswesen bekannt. Jemand, der an der Maschine arbeitet und eine Verbesserungsmöglichkeit sieht, kann diese einreichen und erhält dafür eine Belohnung. Ähnlich wie bei dem Mitarbeiterempfehlungsprogramm wird damit Respekt bezeugt. Es geht also nicht nur um die Verbesserung technischer Abläufe, sondern auch um die Verbesserung des Betriebsklimas.
Insgesamt aber ist das keine geeignete Strategie, um das Fach kräfteproblem zu lösen, oder?
Nein, überhaupt nicht. Ungefähr 5 Prozent der Neueinstellungen können damit erreicht werden. Den gesamten Personalbedarf kann man also mit MEP nicht decken. Wir haben unser Programm auch auf die Höherqualifizierten in Produktion und Logistik ausgerollt, aber 10 Prozent war die absolute Obergrenze. Die klassischen Einstellungskanäle bleiben gerade im Segment der Hochqualifizierten erhalten; hier sind oft die Personalberatungsunternehmen unterwegs, die im Internet ganz gezielt nach Kandidaten Ausschau halten und Unternehmen und Mitarbeitende zusammenbringen. MEP aber werden sicherlich auch in Deutschland viel wichtiger werden.
Fragen: Dirk Frank
Prof. Dr. Guido Friebel ist Professor für Personalwirtschaft an der Goethe-Universität.
Foto: Dettmar