Alles eine Frage der Einstellung!

Ein Forschungsprojekt zum Thema Propositionalismus

Wie fügen sich Wörter und Wortgruppen zu einem bedeutsamen Satz? Und wie lässt sich der Inhalt des Satzes analysieren? Ein linguistisches Forschungsprojekt an der Goethe-Universität sollte zeigen, inwiefern sich hierfür die These des Propositionalismus eignet, die selbst unter Linguisten nicht allzu bekannt ist. Das Thema ist durchaus komplex. 

Bevor wir uns dem Propositionalismus selbst widmen, müssen wir – zumindest vorläufig – eine Reihe von grundlegenderen Fragen beantworten: Was sind die Bedeutungen von sprachlichen Ausdrücken (Wörtern oder Sätzen)? Wie verstehen Hörerinnen und Hörer diese Ausdrücke und ihre Bedeutungen? Wie setzt sich die Bedeutung von komplexen Ausdrücken aus den Bedeutungen ihrer Bestandteile zusammen?

Die formale Semantik, ein Teilbereich der Sprachwissenschaft, widmet sich diesen und ähnlichen Fragen. Die Ergebnisse dieser Grundlagenforschung sind zum Beispiel für die Computerlinguistik relevant. Insbesondere erforscht die formale Semantik, welche strukturellen Regeln einer Sprache es ermöglichen, aus ­Wörtern und Sätzen eine bestimmte Bedeutung

zu ­konstruieren. Das DFG-geförderte Koselleck-Projekt »Propositionalismus in der Linguistischen Semantik« an der Goethe-Universität sollte klären, wie diese Bedeutungsgewinnung im Fall von Einstellungsberichten (zum Beispiel ›Heinz denkt, Merz ist der Präsident der USA‹) funktioniert. Die propositionalistische These besagt, dass alle Einstellungsverben (dazu gehören unter anderem ›denken‹, ›wollen‹, ›sich ­vorstellen‹) Beziehungen zu Satzinhalten als Bedeutungen haben. Aber stimmt das?

Doch beginnen wir bei den Wörtern: Wer einen Zeitungsartikel mit Gewinn lesen – und verstehen – will, sollte möglichst alle darin ­verwendeten Wörter kennen. Erst auf dieser Grundlage können die Leserinnen und Leser den Inhalt des Textes erfassen. Aber die Wort­bedeutung allein reicht nicht aus: Der Weg von den Wortbedeutungen über die Bedeutungen längerer Einheiten (Phrasen) und Sätze bis zum Inhalt des gesamten Textes wird in der Semantik als Bedeutungskomposition bezeichnet.

Wie hat man sich den Prozess des Verstehens vorzustellen? In der kompositionellen Semantik stellen wir uns die Bedeutungskomposition als ein Ineinandergreifen von Teil­bedeutungen vor. Die Bedeutungen der einzelnen Wörter und Satzteile sind dabei deren Potenzial, sich miteinander zu verschiedenen Satzinhalten zu verbinden – wie Puzzleteile, die bei richtiger Kombination ein stimmiges Bild, also Sinn, ergeben. Als Beispiel mag eine Analyse der Bedeutung von Sätzen wie (1) dienen:

(1) Merz ist der Präsident der USA.

Die Bedeutung des Hilfsverbs ›ist‹ kann man sich dabei als ein Puzzleteil vorstellen, das sich mit zwei weiteren, passenden Teilen zu einem vollständigen Satzinhalt ergänzen lässt. Das Verb ›sein‹ gehört wie ›werden‹ oder ›bleiben‹ zu den sogenannten Kopula, die keinen besonderen Inhalt transportieren, sondern vor allem dazu dienen, andere Bestandteile des Satzes miteinander zu verbinden. Die Bedeutungen von ›Merz‹ und ›der Präsident der USA‹ sind solche passenden Puzzleteile und ergeben in Kombination mit dem Verb ›ist‹ den Inhalt des Satzes (1).

In der formalen Semantik modellieren wir Sprachbedeutung nach logisch-mathematischem Vorbild und behandeln sie als Funktion – in diesem Fall eine Funktion mit zwei ›Argumenten‹ (›Inputs‹), die im resultierenden ­Satzinhalt – dem Wert der Funktion (deren ›Output‹) – miteinander in Beziehung gesetzt werden. Die Bedeutungskomposition besteht also in diesem Fall in der Anwendung einer Funktion, der Kopula-Bedeutung, auf zwei Argumente, die Bedeutungen der nominalen Teile.

AUF DEN PUNKT GEBRACHT

  • Die formale Semantik ist ein Teilbereich der Linguistik. Sie untersucht, wie sprachliche Ausdrücke miteinander kombiniert werden, um eine Bedeutung zu erzeugen. Sie nutzt logische und mathematische Modelle, um diese Prozesse zu analysieren und anzuwenden.
  • Die Bedeutung von komplexen sprachlichen Ausdrücken entsteht durch das Zusammenspiel der Bedeutungen ihrer Bestandteile. Die Bedeutungen von Wörtern und Satzteilen verbinden sich zu einem Gesamtinhalt.
  • In der modernen Semantik wird die Bedeutung eines Satzes als eine Proposition verstanden, die durch verschiedene mögliche Szenarien beschrieben wird, auf die der Satz zutrifft.
  • Die These des Propositionalismus besagt, dass alle Einstellungsverben (z. B. »denken«, »wollen«) eine Beziehung zum Inhalt eines Satzes (Proposition) ausdrücken, der die Bedeutung des Satzes ausmacht.
  • Das Koselleck-Projekt zeigt, dass der Propositionalismus auch auf viele komplexe Fälle angewendet werden kann. Eine präzise mathematische Analyse kann helfen, die Bedeutung in diesen Fällen zu analysieren.

Bedeutungskomposition und Satzinhalte

Die Bedeutungen aller sprachlichen Ausdrücke werden in der Semantik als Beiträge zu Satz­bedeutungen analysiert. Was aber genau sind die Bedeutungen von Sätzen, auch Satzinhalte oder eben Propositionen genannt? Die moderne Semantik kann bei der Beantwortung dieser Frage auf Vorarbeiten einer anderen Disziplin, der formalen Logik, zurückgreifen. Ausgehend von der Formalisierung mathematischer Theorien wurden dort bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts Methoden entwickelt, um die Inhalte von (in einem bestimmten Kontext geäußerten) Sätzen zu analysieren. Dabei wird der Informationsgehalt eines Satzes durch die Bandbreite möglicher Szenarien dargestellt, auf die er zutrifft. In unserem Beispiel sind diese Szenarien durchweg fiktiv; denn der Satz trifft auf keine reale Situation zu, er ist falsch (im Gegensatz etwa zu dem Satz ›Trump ist der Präsident der USA.‹).

Dass unser Beispielsatz falsch ist, muss nicht unbedingt heißen, dass er nicht von Einzelnen für wahr gehalten werden kann, etwa infolge massiver Desinformation. Wenn Heinz eine derart irregeleitete Person ist, lässt sich wahrheitsgemäß behaupten:

(2) Heinz denkt, Merz ist der Präsident der USA.

Die kompositionelle Analyse von Satz (2) läuft ähnlich ab wie bei (1). Auch das Verb denkt besitzt eine Bedeutung, die sich mit den Bedeutungen der anderen beiden Bestandteile zum Inhalt des Satzes kombinieren lässt. Allerdings ist bei dieser Verb-Bedeutung die zweite Lücke anders ausgeprägt als in (1), denn hier muss ein Satzinhalt hineinpassen, nämlich gerade der von (1). Dieser Satzinhalt füllt dann die zweite Lücke in der Verbbedeutung, so dass nach Füllung der ersten Lücke durch die Bedeutung des Namens Heinz ein neuer Satzinhalt entsteht, nämlich der von (2).

Propositionalismus und Einstellungsberichte

Sätze wie (2), in denen mentale Einstellungen einzelner Personen zu einer bestimmten Aussage beschrieben werden, bezeichnet man in der Semantik als Einstellungsberichte. Sie haben typischerweise die Gestalt ›X V S‹, wobei ›X‹ sich auf ein Individuum bezieht (das Einstellungssubjekt Heinz), während ›S‹ ein Nebensatz ist und ›V‹ ein geeignetes Verb. Unter Verwendung des Fachbegriffs für Satzinhalte – Propositionen – werden Einstellungen wie (2) häufig als propositionale Einstellungen bezeichnet.

Die linguistische Fachliteratur über Einstellungsberichte analysiert fast ausschließlich propositionale Einstellungsberichte, also solche, in denen ein Nebensatz die zweite Lücke füllt. ­Dieser Fokus auf propositionale Einstellungen begründet die These des Propositionalismus, wonach jedwedes unter ein Einstellungsverb eingebettetes sprachliches Material (oben: ›S‹) satzförmig ist, also eine Proposition enthält. Es gibt gute Gründe für diese Annahme. Vor allem ermöglicht sie eine einheitliche Analyse aller Einstellungsinhalte. Da Propositionen in logischen Beziehungen zu anderen Propositionen stehen (so folgt aus (1) zum Beispiel (3a)), verfügen propositionale Einstellungsinhalte quasi automatisch über ein logisches Folgerungs­system. So sagt dieses System die Gültigkeit des Schlusses von (2) auf (3b) vorher.

(3a) Die USA haben einen Präsidenten.

(3b) Heinz denkt, die USA haben einen Präsidenten.

Erste Herausforderungen für den Propositionalismus

Allerdings weisen nicht alle Einstellungsberichte eine propositionale Struktur wie in (2) und (3b) auf, und genau diese Beobachtung wirft Fragen für unser Projekt auf. Dies gilt zum Beispiel für den Bericht (4), in dem das Einstellungsverb ›wollen‹ einen Ausdruck für einen Gegenstand (›einen schnelleren Rechner‹) einbettet. Da ­solche sprachlichen Ausdrücke nicht Propositionen, sondern Individuen oder Eigenschaften als Bedeutungen haben, scheinen sie der propositionalistischen These zu widersprechen.

(4) Oskar will einen schnelleren Rechner.

Für »Wunschberichte« wie (4) haben frühe Verfechter des Propositionalismus – unter anderem Willard Van Orman Quine (1956) – eine einfache Lösungsstrategie gefunden: Sie zer­legen das Einstellungsverb (›sich wünschen‹)

in eine bedeutungsgleiche Verbindung aus einem propositionalen (!) Einstellungsverb (hier: ›wünschen‹/›wollen‹) und einem zusätzlichen Prädikat (›haben‹). Letzteres dient dann der Gewinnung von ganzen Sätzen, analog zur Strategie für die Bildung von (1). Die propositionale Analyse von (4) findet sich in (5).

(5) Oskar will einen schnelleren Rechner haben

(oder: Oskar wünscht, er hätte einen ­schnelleren Rechner.)

Schwierige Herausforderungen

Bereits die Ersetzung von ›einen schnelleren Rechner‹ in (4) durch eine andere Beschreibung, wie ›einen Kaffee‹, bereitet den präsentierten Strategien jedoch Probleme: So wird Oskars Verlangen nach einem Kaffee vermutlich nicht durch den Besitz einer Tasse frisch gebrühten Kaffees gestillt – er will den Kaffee trinken (nicht nur haben). Solche schwierigen Fälle ­stellen auch für das DFG-geförderte Koselleck-Projekt eine besondere Herausforderung dar.

Zu diesen gehören (neben dem bereits erwähnten ›Kaffee‹-Beispiel) Einstellungsberichte wie (6) und (7), in denen entweder Unklarheit über die Zerlegung des Einstellungsverbs herrscht oder in denen kein zu ergänzendes Prädikat wie ›haben‹ oder ›trinken‹ wie in den angeführten Beispielen geeignet scheint. So ist zum Beispiel ungeklärt, ob ›sich vorstellen‹ in (6) als ›zu sehen scheinen‹, ›zu sehen vortäuschen‹ oder ›sich vorstellen wie … sieht‹ zu deuten ist.

(6) Uli stellt sich ein Einhorn vor.

(7) Peter mag Anna.

Noch problematischer ist der Fall in (7). Dort scheint es unter Umständen kein passendes Prädikat zu geben, das sich mit ›Anna‹ zu einem Satz verbindet. Dies ist dann der Fall, wenn Peter nur Anna selbst mag, dies aber nicht mit einer bestimmten Eigenschaft verknüpft ist (Grzankowski, 2016).

Durch eine sorgfältige Analyse dieser und anderer Beispiele konnte im Rahmen des Projekts gezeigt werden, dass die Klasse der propositionalistisch analysierbaren Fälle weit größer ist als bislang angenommen – zumindest sofern man auf ausgeklügelte Analysestrategien aus der mathematischen Logik zurückgreift. In logisch-semantischen Grundlagenuntersuchungen konnte in der Tat der in der formalen Semantik schon lange gehegte Verdacht erhärtet werden, dass sich jede semantische Analyse so umschreiben lässt, dass sie den Ansprüchen des Propositionalismus entspricht. Allerdings laufen die angewandten Ersatzformulierungen vielfach Gefahr, dass die oben genannten Vorzüge des Propositionalismus mit einer unnötigen Verkomplizierung der Bedeutungskomposition einhergehen.

Foto: Daniel Gutzmann

Der Autor
Thomas Ede Zimmermann, (geboren 1954 in Hannover) hat sich bereits während seiner Schulzeit mit moderner Grammatiktheorie vertraut gemacht. Seine Begeisterung für die formale Modellierung der Sprachstruktur führte ihn zunächst zum Studium an die Universität Konstanz, der damaligen Hochburg der theoretischen Linguistik. Nach dem Magister-Abschluss forschte er als Mitarbeiter im SFB 99 »Linguistik« und wurde mit der wohl kürzesten Dissertation des Fachs (13 Druckseiten) promoviert. Nach weiteren Stationen an den neu gegründeten Tübinger und Stuttgarter Instituten für Computerlinguistik nahm er 1999 einen Ruf an die Goethe-Universität an, wo er bis zu seiner Pensionierung im Herbst 2020 als Professor für formale Semantik tätig war. Er war Sprecher einer Forschungsgruppe über Relativsätze und leitete das beschriebene Koselleck-Projekt zum Propositionalismus (ab 2018). Als Autor von zwei Lehrbüchern, regel- mäßiger Dozent bei internationalen Sommerschulen und im Rahmen einer Reihe von Gastprofessuren an US-amerikanischen Universitäten vermittelt er dem wissenschaftlichen Nachwuchs die Grundlagen seines Fachs.
t.e.zimmermann@lingua.uni-frankfurt.de

Foto: RUB, Marquard

Die Autorin
Kristina Liefke, (geboren 1983 in Neumünster) wusste seit ihrem ersten Linguistikseminar: Die Semantik würde sie nicht mehr loslassen. Um sich nicht zwischen Sprachwissenschaft und Philosophie entscheiden zu müssen, ging sie für die Promotion ins »semantische Holland« (Promotion 2014 an der Universität Tilburg). Nach Postdoc-Stationen am Munich Center for Mathematical Philosophy und an der Goethe-Universität (im besagten Koselleck-Projekt) wurde sie 2020 auf eine Juniorprofessur an die Ruhr-Universität Bochum berufen. Ihre dortige Denomination »Philosophie der Information und Kommunikation« hat ein Kollege vor Kurzem passend als »philosophische Semantik und Pragmatik« beschrieben. Im Rahmen der Professur beschäftigt sie sich sowohl mit dem Propositionalismus als auch mit Kommunika­tionsmodellen und der Semantik von Gedächtnisrepräsentationen.
kristina.liefke@ruhr-uni-bochum.de

Zur gesamten Ausgabe von Forschung Frankfurt 1/2025: Sprache, wir verstehen uns!

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