Susanne Weissman über die Digitale Kompetenz an den Hochschulen

Auf dem Workshop »Praxis trifft Forschung: Learning in a Digital World« hielt Prof. Susanne Weissman, Professorin für Psychologie an der Technischen Hochschule Nürnberg und dort als Vizepräsidentin verantwortlich u. a. für die Bereiche Hochschulentwicklung und Digitalisierungsstrategie, die Keynote zum Thema »Learning in a Digital World in Higher Education 2030«.

UniReport: Frau Prof. Weissman, Digitalisierung ist ein Thema, das mit vielen Hoffnungen verbunden ist. Manche sagen aber auch, dass Deutschland in Sachen Hightech hinterherhinkt. Wo stehen die deutschen Hochschulen Ihrer Meinung nach?

Susanne Weissman: Eine allgemeine Aussage dazu ist sicherlich nicht ganz einfach, die Hochschullandschaft ist dafür zu heterogen. Ich finde aber, dass nicht zuletzt dank der Aktivitäten des Hochschulforums Digitalisierung viel passiert ist. Ich sehe sehr deutlich nicht nur in den technischen Fakultäten, dass die Digitalisierung wirklich in die Lehre einfließt. Aber auch die Fachwelten ändern sich über die Digitalisierung.

Macht es denn Sinn, angesichts verschiedener Statusgruppen und Funktionsbereiche einer Hochschule bei der Frage nach der Digitalisierung die ganze Institution in den Blick zu nehmen?

Ich würde die Digitalisierung immer ganzheitlich betrachten, weil die Prozesse auch ineinandergreifen. Wenn man eine Digitalisierungsstrategie ausarbeitet, was ich für sinnvoll halte, dann sollte das über die ganze Hochschule gehen und nicht nur einzelne Bereiche betreffen.

Wie verändert sich die Fächerkultur?

Zunächst verändern sich die einzelnen Fächer hinsichtlich ihrer Inhalte, und das trifft selbst auf Fächer im sozialen Bereich zu, wo man das vielleicht nicht vermutet hätte. Die größte Veränderungschance sehe ich darin, dass man komplexe Probleme gemeinsam aus unterschiedlichen Fachrichtungen angehen kann; in allen Hochschultypen sehe ich daher eine Entwicklung hin zu einer größeren Inter- und sogar Transdisziplinarität.

Viel diskutiert wird in den letzten Jahren auch zum Schlagwort „Open Science“; wie schätzen Sie das Potenzial dieser Entwicklung für die Hochschulen ein?

Das muss man differenziert betrachten: Einerseits halte ich das offene Publizieren für eine sehr sinnvolle Sache, insbesondere, wenn die Veröffentlichung für den Karrierepfad des Wissenschaftlers / der Wissenschaftlerin wichtig ist. Das ist allerdings in den einzelnen Hochschultypen unterschiedlich. Es ist ein Thema, bei dem nicht nur die Wissenschaft, sondern auch andere Interessensgruppierungen mitmischen; wer sich da letztendlich durchsetzen wird, kann ich noch nicht einschätzen.

Man spricht heute ja von Digital Literacy, von der Digitalen Kompetenz: Welche Schlüsselkompetenzen benötigt eine Hochschule, welche muss sie vermitteln?

Einen Bedarf an Wissens- und Kompetenzzuwachs sehe ich in diesem Bereich nicht nur bei den Studierenden, sondern bei allen Statusgruppen der Hochschule. Strebt eine Hochschule nach einer Digital Maturity, dann müssen auch die Wissenschaftler und die administrativ Tätigen mitgenommen werden. Das Europäische Framework setzt da einen guten Rahmen, den könnte man zugrunde legen und sagen: In diese Richtung muss es gehen. Tatsächlich gibt es auf dem Feld der Digitalen Kompetenz auch Bereiche, wo die Studierenden ihren Dozierenden sogar überlegen sind, zumindest was das Handling der neuen Technologien angeht. Zentral wäre aber, einen reflektierten Umgang mit den neuen Technologien zu vermitteln. Da sehe ich die Hochschulen sowohl prädestiniert als auch in der Pflicht, darauf hinzuarbeiten; denkbar wäre eine Art „hippokratischer Eid“ für die Digitalisierung. Denn man sollte nicht nur den Anwendungsnutzen sehen, sondern immer auch reflektiert fragen, wohin uns diese Technologien führen.

Die aktuelle Diskussion um Datenklau und -missbrauch liefert da ja bereits wichtige Stichwörter.

Richtig. In den Medien wird das vor allem als individuelles Verschulden dargestellt, es ist aber eben auch eine systemische Frage. Wenn ein junger Mann ohne große IT-Kompetenz – wenn es so gewesen ist – es schafft, sich in unzählige Accounts einzuhacken, dann kann man sich ja vorstellen, was das insgesamt für die Sicherheit der IT bedeutet.

Eine Frage zur digitalen Lehre: Ist das vorstellbar, dass diese irgendwann mal auch die Präsenzlehre komplett ersetzen könnte?

Nein, das halte ich für ziemlich ausgeschlossen. Überall dort, wo es die reine Online-Lehre gibt, hat das mit der Geografie zu tun, also mit der Entfernung der Lernenden zur Bildungsstätte. Das ist in Deutschland ja nicht das Problem. Ich denke, dass ein reales Treffen von Lehrenden und Lernenden im physischen Raum aus verschiedenen Gründen weiterhin noch Sinn macht.

Wie müssen sich Personalentwicklung und Führung an Hochschulen verändern, um den Herausforderungen des digitalen Zeitalters gewachsen zu sein?

Grundsätzlich gehört auch im administrativen Bereich das tägliche Lernen mit neuen Technologien dazu, da muss also eine gewisse Bereitschaft für da sein, die Hochschule sollten ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter darauf vorbereiten. Ich finde nicht, dass sich Führung dramatisch durch Digitalisierung verändert. Die Governance einer Hochschule sehe ich wie ein Symphonieorchester, das sollte ein Zusammenschluss von Menschen sein, die ihr Instrument beherrschen und befähigt sind, gemeinsam zu spielen. Diese Anforderung war aber immer schon, da ändert sich auch durch die Digitalisierung nichts Wesentliches.

Was wäre im Hinblick auf die Finanzierung von Digitalisierung zu bedenken?

Es handelt sich auf jeden Fall um einen Bereich, der im Haushalt mitbedacht werden muss. Wenn jemand eine Idee für eine technische Lösung hat, dann bedarf es auch Ressourcen. Das kann Know-how sein, das betrifft Fachpersonal, das können aber auch Serverkapazitäten sein.

Stichwort Open Educational Resources: Welche digitalen Kanäle werden Hochschulen künftig nutzen können, um ihrer gesellschaftlichen Verantwortung nachzukommen?

Mein Eindruck ist, dass die Hochschulen auf diesem Feld noch eine gewisse Unterstützung benötigen, wenn sie etwas als OER veröffentlichen. Da gibt es zwar schon ein paar Handreichungen, aber bei bestimmten Fragen, zu urheberrechtlichen Verletzungen, herrscht noch eine gewisse Unsicherheit. Im Prinzip ist das ein interessanter Bereich, vor allem im Hinblick auf die gesellschaftliche Verantwortung unter dem Stichwort Third Mission. Die Hamburg Open Online University ist ein gutes Beispiel dafür, wie der Austausch mit der Gesellschaft interaktiv vonstattengehen kann. In diesem Bereich sind auf jeden Fall „geblendete“ Formate zu empfehlen, bei denen virtuelle und reale Begegnungen Hand in Hand gehen.

Die Fragen stellte Dirk Frank

Der Workshop „Praxis trifft Forschung: Learning in a Digital World“ fand am 22. November 2018 im Rahmen des Bund-Länder-Programms für bessere Studienbedingungen und mehr Qualität in der Lehre an der Goethe-Universität statt. Für die Durchführung dieser Digitalisierungstagung waren vom BMBF Sondermittel ausgelobt worden; die Goethe-Universität hatte in einem kompetitiven Vergabeverfahren den Zuschlag erhalten.

Mehr zum Workshop „Praxis trifft Forschung: Learning in a Digital World“ unter http://tinygu.de/z9xy

Dieser Artikel ist in der Ausgabe 1.19 des UniReport erschienen. 

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