Gegen den Jargon der Uneigentlichkeit

Jürgen Kaube: Im Reformhaus – Zur Krise des Bildungssystems, zu Klampen Verlag 2015, Springe, 176 Seiten
Jürgen Kaube: Im Reformhaus – Zur Krise des Bildungssystems, zu Klampen Verlag 2015,
Springe, 176 Seiten

Jürgen Kaube, der seit Jahresbeginn 2015 in der Nachfolge Frank Schirrmachers als Leiter des Feuilletons und Mitherausgeber der F.A.Z. steht, versammelt im vorliegenden Band neun seiner bisher verstreut veröffentlichten Essays aus den Jahren 2010 bis 2014 über die Lage unserer höheren Bildungseinrichtungen. Den Autor verband schon eine lange Geschichte mit der F.A.Z., bevor er zu Jahresbeginn die Leitung des Feuilletons übernommen hat:

Von den frühen 90er Jahren an schrieb er zunächst für das Feuilleton, trat dann in die Berlinredaktion ein und übernahm schließlich das Ressort Geisteswissenschaften. Im Dezember des letzten Jahres ist er zudem in den Kreis der Herausgeber aufgestiegen. Fragte man ihn, ob er den Schulen und Hochschulen, die er besucht hat, die Bildung zu verdanken habe, die es ihm ermöglicht, nicht nur zu besonderen Themen, sondern dem gesamten geisteswissenschaftlichen Themenkreis und gelegentlich auch darüber hinaus Stellung zu nehmen – in dieser Bandbreite Max Weber nicht unähnlich, über den er letztes Jahr eine vielfach beachtete Biographie veröffentlichte – bekäme man vielleicht einen Hinweis auf Bielefeld.

Es darf aber bezweifelt werden, ob Schulen oder Hochschulen tatsächlich solche Bildung zu vermitteln vermögen – wenn sie es überhaupt je vermocht haben. Max Weber traute dem Universitätsbetrieb seiner Zeit in dieser Hinsicht schon nicht mehr viel zu. Kaube misstraut aber weniger den Institutionen als vielmehr deren Wissen über sich selber und den daraus entwickelten normativen Vorgaben im Hinblick auf die Vermittlung von Bildung.

Sozialisation statt Erziehung? Dass die weiterführenden Schulen mit dem Ziel der Vergabe der Hochschulzugangsberechtigung Zielkonflikten unterliegen, arbeitet Kaube am soziologischen Bildungsverständnis, das Erziehung als beabsichtigtem von Sozialisation als unbeabsichtigtem Lernen unterscheide, heraus. Freilich würden diese Zielkonflikte verschleiert, wenn in der Tradition des Neuhumanismus Bildung wesentlich als Selbstbildung begriffen werde, die ihren Abschluss in der Universität finde.

Der Trend gehe von der Erziehung, die Lehrpläne voraussetze, hin zur Sozialisation: „Den Lehrern wird zugemutet, an den Nebeneffekten ihres Tuns ein primäres Interesse zu nehmen. Man hört von Unterrichtsproben, in denen es vor allem darauf ankommt, daß Gruppenarbeit stattfand, weil diese sozialpsychologisch approbiert ist.“ (S. 53). Wer wie Kaube die Schule nicht als Gesellschaft im Kleinen betrachtet, fragt sich dann schon, wie da Sozialisation gelingen soll.

Und inwiefern soll Schule darüber hinaus gesellschaftlichen Aufstieg ermöglichen? Dass sie einen Habitus zu vermitteln vermöge, wie es in George Bernhard Shaws Stück „Pygmalion“ dem Professor Henry Higgins gelingt, indem er dem Blumenmädchen Eliza Doolittle ihren Cockney austreibt, bezweifelt Kaube und hinterfragt bei dieser Gelegenheit überhaupt die Aussagekraft des Begriffs des Habitus. Dennoch finde Selektion statt, nicht zuletzt beim Einstellungsgespräch.

Aber auch hier bezweifelt Kaube, dass Status eine Rolle spiele: „Die wichtige Information, die ein Zeugnis aus Yale oder von Sciences Po enthält, ist (…) nicht, daß es sich beim Absolventen um ein As in politischer Wissenschaft oder Ökonomie handelt, sondern daß er kognitiv und motivational belastungsfähig ist, sich in einem kompetitiven Milieu behauptet hat und über Adressen verfügt.“ (S. 70).

Demgegenüber habe Bologna im Bereich der Lehre dazu geführt, „daß sich die Studenten an der Universität wohl fühlen müssen“ (S. 80), denn nur so gelinge es der Universität als Organisation, die immer mehr Geld benötige, die Unterstützung ihrer Umwelt zu sichern, während gleichzeitig im Bereich der Forschung der fruchtbare wissenschaftliche Streit zwischen den Schulen erloschen sei:

„Man rechnet offenbar nicht mit Dritten, deren Zustimmung gewonnen werden müßte.“ (S. 99). Darum werde nicht mehr in „zerstörerischer Absicht“ geforscht und nicht mehr „‚gegen‘ vorhandene Theorien“ gelesen, wie Gaston Bachelard es formulierte, auf den Kaube sich beruft (S. 101). [Autor: Mathias Eichhorn]

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Dr. Mathias Eichhorn ist Lehrer und arbeitet zurzeit als Pädagogischer Mitarbeiter am Lehrstuhl für die Didaktik der Sozialwissenschaften / Prof. Tim Engartner.

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